Klaus Satzke / Reform der Lehrerbildung durch Schweigen?

von Klaus Satzke

Es steht außer Zweifel, dass die Reform der Lehrerbildung eine der zent-ralen Voraussetzungen für das Gelingen einer allerorts (Beispiele: Wifo - Studie, Studien der Interessenvertretungen, OECD, zahlreiche Ar¬tikel von Bildungsjournalisten ...) geforderten Gesamtreform des österrei¬chischen Bildungssystems ist. Die beiden zuständigen Minister ließen vor einigen Monaten aufhorchen, als sie im Rahmen einer Pressekonferenz als lang-fristige d. h. über die Legislaturperiode hinausgehende Zielsetzung eine gemeinsame Ausbildung aller Lehrerinnen und Lehrer als realistische Aufgabenstellung ankündigten.
Nun befindet sich die Politik gerade hinsichtlich der Trägerinstitutionen für die Lehrerbildung (Universitäten und Pädagogischen Hochschulen) in einer einigermaßen unübersichtlichen Situation der Zuständigkeit, ist doch durch das Universitätsgesetz 2002 und das Hochschulgesetz 2006 ein hohes Maß an Eigenverantwortung an die genannten Institutionen gewandert. Das führt bei allen Berufsausbildungen zu Problemen, weil damit eine unmittelbare oder auch nur mittelbare Einflussnahme der die Absolventen „abnehmenden", d. h. anstellenden Institutionen schwierig bis unmöglich wird.
Man könnte vielleicht vor diesem Hintergrund eine gewisse Zurückhal-tung der Politik als Anzeichen für stille Diplomatie oder zumindest als eine Nachdenkphase interpretieren. Wenn aber seit der oben genannten Pressekonferenz so gar nichts von Seiten der Bildungspolitik zu einer der¬art wichtigen Frage zu hören ist, dann muss das eigenartig erschei-nen. Gerade für die Prozesse im Bildungssystem ist es kennzeichnend, dass sich die Dinge ja auch dann weiterentwickeln, wenn Politik nicht handelt, sondern schweigt. Politik läuft dann allerdings Gefahr, dass sie den Anschluss in wichtigen Fragen verliert und die Dinge ihren eigenen Weg nehmen.
In Sachen Lehrerbildung hat sich allerdings ohne Übertreibung so etwas wie eine Jahrhundertchance eröffnet (siehe Pressekonferenz), die man schlicht und einfach nutzen muss, auch wenn der Erfolg keineswegs si-cher und mit vielen Gefahren gepflastert ist. In dieser Situation ist kei¬nesfalls Hektik und auch nicht der permanente Kommentar der Politik gefragt, allerdings muss eine verantwortungsvolle Bildungspolitik Grund¬fragen thematisieren und Prozesse anbahnen, die Lösungswahrschein¬lichkeit besitzen.
Im Folgenden sollen einige Anzeichen für eine besorgniserregende Ver¬selbständigung der Entwicklung bei gleichzeitig hintergründigem Schwei-gen der Bildungspolitik genannt werden:

Wenn sich bereits die Gewerkschaft der AHS-Lehrer zu Wort meldet (08.06.2008, ERICH WITZMANN, Die Presse) und klar die Auffassung zum Besten gibt, der künftige Bachelor solle für die Nachmittagsbetreu¬ung, für Kurse der Erwachsenenbildung, „sicher aber nicht für den Schul¬unterricht" ausgebildet werden, dann steht das nicht nur im Widerspruch zu den mündlichen Wunschvorstellungen von Minister Hahn, sondern dann geht das diametral gegen die Intentionen einer gemeinsamen Aus¬bildung von Lehrern für den Bereich der Sekundarstufe I.
Und wenn sich wenig später die Universitätenkonferenz mit einem Posi¬tionspapier für eine universitäre Ausbildung der Sekundarstufe I und Se¬kundarstufe II - Lehrer meldet (APA0342 II, XI 19.06.2008 13:10:08), dies allerdings ebenfalls mit der Idee eines Bachelors verbindet, der le¬diglich Hilfs- und Stützfunktionen wahrnehmen darf, dann könnte der Eindruck entstehen, hier wird ganz bewusst ein echter Lehramtsab-schluss für den Bachelor in Misskredit gebracht.

Da bei all diesen Fragen unmittelbar Berufsinteressen und Zukunftsfra¬gen von Lehrerbildnern berührt sind, führt dies notwendigerweise zu ei¬ner aufgeheizten Gerüchteküche, die einem ruhigen Prozess der Ausei¬nandersetzung und Bewertung von Positionen alles andere denn förder¬lich ist.

Trotz aller Komplexität liegen aber wichtige Fragen einer neu zu gestal¬tenden Lehrerbildung klar auf dem Tisch, sie müssten nur zum Thema einer wie immer gearteten systematischen Behandlung und einer nicht unbegrenzten, aber strukturierten Zeitperspektive gemacht werden. Poli¬tik hat nicht immer nur zu „entscheiden", sie ist vielmehr auch verant¬wortlich für so etwas wie eine „professionelle" Themenentwicklung. Bei¬spiele gefällig?

- Zum einen ist es die Berücksichtigung der „Bologna - Struktur" im Rahmen der universitären Ausbildung für ein AHS - Lehramt, die unter dem Zeitdruck steht, eine Lösung noch in dieser Legislatur¬periode zu finden. Wer dem universitären Bachelor-Absolventen keine echte Lehrbefähigung zubilligt, der schafft ein nahezu unlös¬bares Problem in Relation zum PH-Bachelor, der die Pädagogische Hochschule als Hauptschullehrer verlässt. Man muss kein Experte für Lehrerbildung sei, um zum Schluss zu kommen, dass uns die parallele Ausbildung von zwei Bachelors unterschiedlichster Art zum internationalen Gespött machen muss. Unbestritten, 6 Se¬mester sind außerordentlich kurz, wahrscheinlich zu kurz für eine gute Ausbildung von Lehrern der Sekundarstufe I, aber wer zeigt hier Alternativen auf, bevor das Vorhaben endgültig in der Sack¬gasse landet und tot geredet ist?
- Neben der oben angedeuteten Strukturfrage geht es aber auch um die in¬haltliche Frage eines künftigen Sekundarlehrers für die Alters¬gruppe der 10 - 14-jährigen. Für diesen Schlüsselbereich des ös¬terreichischen Schulwesens, der gleichzeitig auch eine Schlüssel¬phase der individuellen, sozialen, emotionalen und intellektuellen Entwicklung unserer Schülerinnen und Schüler darstellt, leisten wir uns parallel an Uni und PH zwei Ausbildungen, die nur eines ge¬meinsam haben, nämlich jede auf ihre Art unzulänglich auf die ei¬gentlichen Berufsaufgaben vorzubereiten. Eine echte Qualitäts¬überprüfung hat es nie gegeben, die Probleme einer unbewältigten Praxis sprechen aber Bände. Was Not tut, ist eine professionelle in¬haltliche Auseinandersetzung mit den Fragen der fachlichen, fach¬didaktischen und berufspraktischen Ausbildung. Dabei hieße das nicht: „Ansetzen bei der Stunde Null!" Es ginge lediglich um ein Aufgreifen und Reflektieren vorhandener in- und ausländische Kon¬zepte im nationalen Dialog! Ohne Klärung von Zielvorstellungen und ohne Definition wichtiger Handlungsfelder kann eine Ausbil¬dung der Lehrer für den Bereich der Sekundarstufe I nicht gelin¬gen! Gibt es für diesen Klärungsprozess Personengruppen, Arbeits¬szenarien und Zeitpläne? Oder machen wir zuerst die Reform und legen dann die Prämissen der Ausbildung fest?
- Das wohl gewichtigste Problem ist aber die Frage der gegebenen uni¬versitären Strukturen und der Probleme, die sich daraus für ein anspruchsvolles Modell der Lehrerbildung ergeben. Eine neue Leh¬rerbildung auf universitärem Boden muss selbstverständlich für ei-ne solide fachliche Ausbildung sorgen, sie muss aber (auch hier sei auf leidvolle Erfahrungen in anderen Ländern verwiesen) unter dem Primat einer starken erziehungswissenschaftlichen Steuerung ste-hen, sonst bilden wir eben keine Lehrer aus, sondern Fachwis¬senschaftler zweiter Kategorie mit einem angelernten, unreflek¬tierten pädagogischen Wissen, das nach allen Erfahrungen für eine Bewältigung der schwierigen Berufsaufgaben nicht ausreicht. Für diese Problemstellung gibt es Antworten, zumindest liegen Erfah¬rungen von „schools of education" bis zu eigenen „Pädagogischen Fakultäten" vor, allerdings nicht in Österreich. Und natürlich geht es bei Fragen dieser Art nicht nur um guten Willen und Aneignung von Erfahrungsmaterial, sondern um Interessenpositionen, Macht, Einfluss und Karriereperspektiven! Unterliegt die Abklärung solcher Fragen wirklich nur der Selbstorganisation von Betroffenen oder gibt es noch eine Bildungspolitik, die zwar nicht vorschnell handelt, aber gestaltet und für die erforderlichen Rahmenbedingungen sorgt?
- Zuletzt noch ein Hinweis auf die Situation der „neuen" Pädagogi¬schen Hochschulen. Diese befinden sich bedingt durch ein miss¬glücktes Hochschulgesetz auf einer schwierigen Fahrt in eine un¬gewisse Zukunft, die täglich ungewisser wird. Wenn bis dato noch nicht einmal eine dienstrechtliche Klärung für die Aufgaben und Qualifikationen eines neuen Hochschullehrers vorliegt, dann muss man sich fragen (nicht nur bei dieser Thematik), was in den ver¬gangenen Jahren an Vorbereitungsarbeit wirklich geleistet oder nicht geleistet wurde. Es wäre jedenfalls ein Leichtes, auf dem Kla¬vier der Zukunftsängste der unmittelbar Betroffenen zu spielen. Wie soll unter den gegebenen Bedingungen der Mut und die Ges¬taltungskraft für eine weit reichende Kooperation mit den Univer¬sitäten gefunden werden? Ohne eine Klärung von Entwicklungsper¬spektiven wird es nicht gehen!

Wer sonst ist für die aufgezeigten Defizite verantwortlich, wenn nicht die Bildungspolitik! Lauter ihr neues Erfolgrezept Abwarten und Schweigen?