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Helmut Seel / Baustellen der Schulpolitik - Bildungspolitische Entwicklungen in der XXIII. Gesetzgebungsperiode des Parlaments

von Helmut Seel
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In der neuen XXIV. Gesetzgebungsperiode werden in den Koalitionsvereinbarungen der Regierungspartner - wer diese immer auch sein werden - in diesen Baustellenbereichen Problemlösungen zu suchen und zu finden sein.

Baustelle 1: Die Reform der Sekundarstufe I

Seit Jahrzehnten ist die Integration der Sekundarstufe I, der Schulen für die Zehn- bis Vierzehnjährigen, ein wesentliches bildungspolitisches Anliegen der SPÖ. Nur durch eine solche einheitliche Schulorganisation lassen sich die Bildungschancen der Heranwachsenden auch der sozial und regional benachteiligten Gruppen der Gesellschaft verbessern und Bildungsprivilegien abbauen. Bundesministerin Dr.Schmied hat sich diesem Bereich als einem wichtigen sozialdemokratischen Anliegen der Schulpolitik mit Nachdruck zugewandt. Dabei gelang ihr eine gewisse Aufweichung der starren Ablehnungsposition der ÖVP, insbesondere in der Steiermark. Sie bestellte den früheren Landesschulratspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Schilcher zu Vorsitzenden der Schulreformkommission. Dr. Schilcher vertritt hinsichtlich der schulorganisatorischen Gestaltung der Sekundarstufe I eine mit der SPÖ-Sicht übereinstimmende Position, was u. a. auch in seinem in der „Zukunft" (Heft 3, 2008) veröffentlichten Aufsatz „Bildungsreform 2008" zum Ausdruck kommt.

Der Ansatz, über die gesetzliche Grundlegung zu einer breiten Schulenwicklung zu einer Neuen Mittelschule voranzukommen, misslang jedoch. Die ÖVP lehnte den Plan der Bundesministerin ab, durch die Einführung der §§ 129, 129a und 129b im SchOG eine rechtliche Grundlage für eine solche Schulentwicklung in Modellregionen zu schaffen, die ausdrücklich nicht den Charakter von Schulversuchen gem. § 7 SchOG haben sollten. Als Kompromiss wurde die Einführung von besonderen Schulversuchen mit der „Neuen Mittelschule" in einem neuen § 7a SchOG gefunden. ( vgl. ENDLICH ETWAS NEUES - SCHULVERSUCHE MIT DER GESAMTSCHULE ? 19.04.07; LEIDER NUR SCHULVERSUCHE - DER ZWEIFELHAFTE ERFOLG DER ÖVP, 07.11.07). Dies bedeutet im Vergleich mit dem ersten Ansatz die Freiwilligkeit der Beteiligung (Zustimmung von zwei Dritteln der Lehrer- und Elternvertreter im SGA), die Verpflichtung zur Evaluation in Schulsystemvergleichen und damit den Aufschub der schulpolitischen Entscheidung bis zum Abschluss der Schulversuchsperiode (nach der Dauer von acht Schuljahren im Jahr 2016).

Es handelt sich eigentlich damit um eine bloße Replikation der Gesamtschulversuche von 1971 bis 1983, allerdings ohne vorgegebene Organisationsmodelle. Die Durchführung in regionalen Versuchsinseln (etwa alle Mittelstufenschulen eines Bezirks) wurde abermals nicht zugelassen (vgl. NEUE SCHULVERSUCHE MIT DER GESAMTSCHULE - WAS IM MITTELSTUFENBEREICH NOCH NICHT UNTERSUCHT WURDE , 24.04.07). Die bessere Stichprobenbildung im Interesse einer aussagekräftigeren wissenschaftlichen Evaluation ist damit auch dieses Mal nicht gelungen, was sich bei den schulpolitischen Entscheidungen nach Abschluss der Schulversuche auswirken könnte. Man denke an die. Argumentation der ÖVP nach Abschluss der Gesamtschulversuche 1983: Trotz des durch die wissenschaftliche Evaluation bestätigten erfolgreichen Verlaufs lehnt sie die Einführung der Gesamtschulen wegen der fehlenden Beteiligung der AHS ab.

Aber auch schon die Einrichtung bloß von Schulversuchen mit der „Neuen Mittelschule" muss als schulpolitischer Erfolg gewertet werden, hatte doch Bundesministerin Gehrer 2006 im Zuge der Novellierung des SchOG wegen der Abschaffung der Pädagogischen und der Berufspädagogischen Akademien sowie der Pädagogischen Institute als Folge des Gesetzes über Pädagogischen Hochschulen auch die gesetzlichen Grundlagen für die Schulversuche zur Erprobung von Differenzierungsvarianten in den Hauptschulen (§ 131b SchOG ) stillschweigend liquidiert und damit auch den Schulverbünden (der Kooperation von AHS-Unterstufen mit regionalen Hauptschulen) ihre rechtliche Grundlage entzogen.

Neben der Sicherung der Finanzierung für die Schulversuche „Neue Mittelschule" und deren quantitativen Ausbau stellt in Zukunft die Neuordnung der Leistungsbeurteilung im Bereich der Hauptschule eine wichtige Aufgabe dar. (vgl. NEUE SCHULVERSUCHE MIT GESAMTSCHULEN IM GESTRÜPP SCHULGESETZLICHER RAHMENBEDINGUNGEN, 26.05.07; DAS PROBLEM DER LEISTUNGSBEURTEILUNG IN DER SEKUNDARSTUFE I DES ÖSTERREICHISCHEN SCHULSYSTEMS, 13.03.08). Die derzeit geltenden Festlegungen im § 16 (2) des SchOG, auf welche sich die Regelungen in den §§ 40 und 68 SchOG, betreffen die Differenzierung in drei Niveaustufen (fälschlich „Leistungsgruppen" genannt) im Lehrplan. Diese sind von den Aussagen im § 15 (2) SchOG zu unterscheiden, welche auf die Zusammenfasssung der Schüler nach Leistungsniveaus in zwei oder drei Lerngruppen (korrekt als „Leistungsgruppen" bezeichnet) Bezug nimmt. Diese Festlegungen sind für die Schulversuche mit der „Neuen Mittelschule" unbrauchbar, eine bessere Regelung war im § 129a (3) vorgesehen. Diese hatte sich an den „Didaktischen Grundsätzen" des Lehrplans 2000 für die Hauptschule orientiert: „Die Anforderungen der höchsten Leistungsgruppe haben jene der Unterstufe der AHS zu entsprechen. Die Anforderungen der übrigen Leistungsgruppen sind so zu dimensionieren, dass sich jede Leistungsgruppe nach Möglichkeit um eine Notenstufe von der nächst höheren unterscheidet." In diesem Sinn sollte die Neuordnung eines einheitlichen Beurteilungssystems für die Sekundarstufe I erfolgen. Die Sekundarsufe I müsste allerdings erst in einer Novellierung des § 3 SchOG als Untergliederung der Sekundarschulen ausgewiesen werden. (vgl. DIE LANGFORM DER AHS ALS HINDERNIS DER SCHULREFORM IN ÖSTERREICH, 27.05.08).

Eine nicht unproblematische Annäherung an das Problem der Leistungsbeurteilung stellt die Einführung von Leistungsstandards dar. (vgl. LEISTUNGSSTANDARDS UND BILDUNGSSCHULE, 17.04.08). Zu deren Verordnung wurde der zuständige Bundesminister in der Novellierung des SchUG im Juli 2008 ermächtigt. Damit wurde eine bereits von Bundesministerin Gehrer ausgehende Initiative realisiert. Zwar wurde im Vorfeld dieser Novellierung von Bundesministerin Dr.Schmied mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass die Ergebnisse der „Standard"-Tests - es handelt sich um Operationalisierungen von Bildungszielen der Lehrpläne - nur als Orientierungshilfen für die Lehrer im Interesse der Erreichung vergleichbarer Leistungsniveaus im gesamten Schulsystem dienen sollten und keine Einfluss auf die Notengebung in den einzelnen Klassen haben dürften. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass ein anderer Unterrichtsminister die Funktionen der Leistungsstandards anders interpretiert und daraus ein System von Aufnahmeprüfungen in die höheren Schulen am Ende der 4. bzw. der 8.Schulstufe entwickeln lässt. (vgl. HOFFENTLICH KEIN BILDUNGSPOLITISCHES EIGENTOR ! 25.08.08). Die besondere Unterstützung dieser Neuerung durch den Schulsprecher der ÖVP gibt jedenfalls zu denken. Die Frage der Aufnahmeprüfung in die AHS-Unterstufe war ja in den vergangenen Jahren immer wieder ein Thema im bildungspolitischen „Sommerloch" (vgl. VORWÄRTS INS 20. JAHRHUNDERT - DISKUSSION ÜBER DIE AUFNAHMSPRÜFUNG IN DIE AHS, 06.08.07).

Baustelle 2: Die Reform der Lehrerbildung

Die hochschulische Ausbildung der Pflichtschullehrer - und damit die Vereinheitlichung der Ausbildung aller Lehrerkategorien auf universitärem Niveau - ist ein Anliegen der Sozialdemokraten seit der I. Republik. 1999 war man dem Ziel nahe gekommen. In großkoalitionärer Eintracht wurde im Akademiestudiengesetz die Absicht legistisch fixiert, innerhalb von acht Jahren eine „Hochschule für Bildungsberufe" zu schaffen, deren organisatorischer und wissenschaftlicher Status dem der Universitäten entsprechen sollte. Die ÖVP (Bundesministerin Gehrer) nützte jedoch das bildungspolitische Zeitfenster zwischen der Abschaffung der Zweidrittelmehrheit für Schulgesetze in der Novellierung der Bundesverfassung 2005 und dem Ende der XXII. Gesetzgebungsperiode 2006 mit der Regierungskoalition zwischen der ÖVP und FPÖ/BZÖ, um ein „Gesetz über Pädagogische Hochschulen und ihre Studien" im National- und Bundesrat durchzupeitschen, das diesen Absichten nicht entsprach und daher von der SPÖ, welche einen Alternativentwurf vorlegte, abgelehnt wurde. (vgl. EINE DRINGENDE NOTWENDIGKEIT DER BILDUNGSREFORM: REPARATUR DES HOCHSCHULGESETZES 2005, 05.12.07)

Dieses Gesetz über Pädagogische Hochschulen (PH-Gesetz 2005) erfüllt nicht die Intentionen des Akademiestudiengesetzes 1999. Die neuen Pädagogischen Hochschulen erreichen nicht einmal den Status von Fachhochschulen, sondern bleiben nur postsekundäre Bildungseinrichtungen. Weder eine hochschulmäßige organisatorische Autonomie (Satzungsfreiheit, Hochschulkollegien zur Leitung der Hochschulen und zur Wahl des Rektors) noch eine Sicherung der Lehr- und Forschungsfreiheit im Sinne der Universitäten und Fachhochschulen (bei letzteren durch den Fachhochschulrat fundiert) wurde durch das PH-Gesetz geschaffen. Mehrheitlich vom Unterrichtsminister zusammengesetzte Hochschulräte schlagen die Rektoren und Vizerektoren vor, der Unterrichtsminister ernennt sie. Die ÖVP nutzte dies zur schwarzen Einfärbelung aller Hochschulleitungen in Österreich. (vgl. AKADEMISCHE HOCHSTAPELEI ? 13.12.07; NICHT EINMAL FACHHOCHSCHULNIVEAU ! 13.03.08). Die Studiengänge für Ausbildung der Volks- bzw. Hauptschullehrer blieben sechssemestrig, die studienrechtliche Bedeutung der Graduierung zum Bachelor of Education blieb hinsichtlich des Zugangs zu postgradualen Universitätsstudien ungeklärt. Ein eigenes postgraduales Master-Studium im Sinne eines Professionalisierungskontinuums wurde im PH-Gesetz nicht eingeführt. Eine Gleichwertigkeit mit dem neunsemestrigen universitären Lehramtsstudium mit Magister-Graduierung wird damit nicht erreicht.

Eine Novellierung des PH-Gesetzes im Sinne des SPÖ-Konzepts wurde von Bundesministerin Dr.Schmied bedauerlicher Weise nicht in Angriff genommen, sie beschränkte sich auf den Vollzug des von der SPÖ im Parlament abgelehnten Gesetzes der Gehrer-Ära. Sie folgte vielmehr einem diffusen Vorschlag des ÖVP-Wissenschaftsministers Dr. Hahn zu einer Ausbildung aller Lehrerkategorien an den Universitäten, für welche man seiner Ansicht nach bis 2010 erste Strukturen erarbeiten könnte. (vgl. VOM SPATZ IN DER HAND UND DER TAUBE AM DACH - STRATEGIEN DER LEHRERBILDUNGSREFORM, 29.O4,08; ÜBER DEN UMGANG MIT ZEITFENSTERN IN DER BILDUNGSPOLITIK - ODER: WAS DU HEUTE KANNST BESORGEN, DAS VERSCHIEBE NICHT AUF MORGEN, 15.07.08). Diese Positionierung von Unterrichtsministerin Dr. Schmied ist deshalb schwer nachzuvollziehen, da in ihrem Engagement für eine gemeinsame Mittelstufenschule (Neue Mittelschule) ja eine Zusammenführung von AHS-Unterstufe und Hauptschule intendiert ist und in der Schulversuchsphase eine Zusammenarbeit von AHS- und Hauptschullehrern vorgesehen ist. Zumindest eine Weiterentwicklung der Hauptschullehrerausbildung zu einem Master-Studium im Zuge einer Novellierung des PH-Gesetzes hätte dazu eine wichtige flankierende Maßnahme dargestellt.

Durch eine Festlegung im Koalitionsabkommen 2006 wurde eine Reform der universitären Lehramtsstudien angestoßen. (DER ZWEITE SCHRITT DER LEHRERBILDUNGSREFORM, 10.06.07). Die im Universitätsgesetz 2002 (vgl. § 54 Abs. 2) ausdrücklich von der Einführung der „Bologna"-Studienstruktur (Gliederung der traditionellen Diplomstudien in ein Bachelor- und ein postgraduales Master-Studium) ausgenommenen Lehramtsstudien sollten nun doch in den neue Studienstruktur übergeführt werden. Zwei Veränderungsmöglichkeiten wurden andiskutiert: Bachelor-Studium zum Lehramt für die Mittelstufe des Schulsystems (AHS-Unterstufe), aufbauendes Master-Studium zum Oberstufenlehramt (AHS-Oberstufe, BHS) als eine Variante, Bachelor-Studium als Grundstudium (Qualifizierung nur für pädagogische Hilfsdienste wie Nachmittagsbetreuung), aufbauendes postgraduales Master-Studium als eigentliches Lehramtsstudium für die Mittel- und Oberstufe als die andere.

Die erste Variante wurde zwar von Wissenschaftsminister Dr.Hahn in Erwägung gezogen und hätte wohl eine schrittweise Zusammenführung mit der Hauptschullehrerausbildung an den Pädagogischen Hochschulen erlaubt. (vgl. DA STREITEN SICH DIE LEUT HERUM - FRAGEN AN DIE BILDUNGSPOLITIK, 13.12.07). Von der AHS-Lehrer-Gewerkschaft auf Grund der Absicht der Sicherung der privilegierten Ausbildung der AHS-Lehrer (vgl. DIE REFORM DER UNIVERSITÄREN LEHRAMTSSTUDIEN: KOORDINIERUNG ODER DISKRIMINIERUNG IN DER ÖSTERREICHISCHEN LEHRERBILDUNG, 13.06.08) und den Universitäten wurde dieser Ansatz jedoch abgelehnt und die zweite Variante ins Auge gefasst. Die Universitäten reklamierten darüber hinaus die gesamte Fachlehrerausbildung für die Sekundarstufe I (und damit auch die Hauptschullehrerausbildung) für sich. (vgl. ENDLICH AM ZIEL ? DIE UNIVERSITÄTEN WOLLEN DIE GESAMTE SEKUNDARLEHRERBILDUNG ÜBERNEHMEN, 22.06.08). In diesem Fall würde die Ausbildung der Volks-(Grund-)schullehrer auf dem Bachelor-Status zurück bleiben. Den Pädagogischen Hochschulen könnte man dann allerdings leichter die gleichwertige Ausbildung von Vorschulpädagoginnen übertragen.

Baustelle 3: Die Dauer der Grundbildung

Seit 1962 gibt es in Österreich eine Unterrichtspflicht von neun Schuljahren vom 6. bis zum 15. Lebensjahr. Im internationalen Vergleich der Schulpflichtzeiten liegt Österreich damit nicht sehr gut. In vielen Staaten reicht die Bildungspflicht bis zum 16. Lebensjahr und umfasst vielfach zehn Schuljahre. Das Bild wird noch problematischer, wenn man die österreichische Schulorganisation in Betracht zieht. Die Dauer der allgemeinen Grundbildung reduziert sich auf acht Jahre, wenn man die Regelungen bezüglich des neunten Schuljahres ins Auge fasst. Da man sich bei der Einführung der neunjährigen Unterrichtspflicht auf eine Veränderung der Übertrittsebene nicht einigen konnte (SPÖ-Vorschlag: 5.Mittelschulstufe; ÖVP-Konzept: 5.Grundschulstufe), wurde das neunte Schuljahr den Schülern in den Vollzeit-Oberstufenschulen in den Schulbesuch eingerechnet. Da der Eintritt in die Berufsschule, welche das Arbeitsverhältnis der Lehre ergänzt, erst mit dem 16. Lebensjahr möglich ist, wurde zur Überbrückung der Erfüllung der Schulpflicht der Polytechnische Lehrgang geschaffen.

Dieser stellt eine inhaltlich gut gestaltete Abschlussstufe der allgemeinen Grundbildung dar, wird aber - da er keine Berechtigungen verleiht - eher als zu umgehender Blinddarm der Schulorganisation betrachtet. Schüler, welche durch die Wiederholung von Schulstufen Jahre der Unterrichtspflicht absolviert haben, erreichen dieses abschließende Grundbildungsjahr bedauerlicherweise nicht, obwohl es gerade für sie von besonderer Bedeutung wäre. Sie verlassen die Schule ohne Abschluss der Grundbildung (Hauptschulabschluss). Diese „Schulabbrecher" werden auf 8 - 10% des Schülerjahrgangs geschätzt. Sie finden in der Folge am schwersten von allen Heranwachsenden einen Platz im Beschäftigungssystem.

Es war aus diesen Gründen ein wichtiger Aspekt der Reform im Bildungssystem, als die Unterrichtsministerin Dr. Schmied bei ihrer Forderung nach einer gemeinsamen Schule von den Sechs- bis Fünfzehnjährigen gesprochen hat. Und man konnte hoffen, dass in der Folge der Rückstand im internationalen Vergleich, nämlich eine zehnjährige Schulpflicht für die Sechs- bis Sechzehnjährigen thematisiert werden würde. Die Schwierigkeiten, welche die Bundesministerin offensichtlich bereits bei der Bemühung um die Schaffung einer gemeinsamen Schule für die Zehn- bis Vierzehnjährigen erfahren musste (vgl. Baustelle 1), ließen die Perspektiven der gemeinsamen Schule für die Sechs- bis Fünfzehnjährigen allerdings aus der Diskussion verschwinden.

Die Feststellung schwerwiegender Defizite in den Schulleistungen bei den vierzehnjährigen Absolventen der Sekundarstufe I (PISA 2000, 2003, 2006, SIMSS 1983 bzw. TIMSS 1998) aktualisierte die Diskussion um eine Verlängerung der Unterrichtszeit. Da man offensichtlich die Expansion der Grundbildungspflicht bis zum 16. Lebensjahr angesichts der damit verbundenen Folgen für die Organisation des berufsbildenden Schulwesens (BMS,BHS) nicht in Erwägung ziehen wollte, wurde die Vorverlegung des Zeitpunkts des Beginns der Schulpflicht angedacht. (vgl. VORVERLEGUNG DER SCHULPFLICHT ODER VERPFLICHTENDES KINDERGARTENJAHR ? 18.06.07). Als Alternative dazu wurde die Einführung eines verpflichtenden kostlosen Kindergartenjahrs für die Fünf- bis Sechsjährigen in Erwägung gezogen und von der SPÖ vorgeschlagen. Dafür sprachen vor allem pädagogische Gründe. Das Diskussionsergebnis und die daraus gezogene bildungspolitische Kompromisskonsequenz kann nicht befriedigen: ein verpflichtendes Kindergartenjahr für die Fünfjährigen nur für Kinder mit sprachlichen Entwicklungsdefiziten auf Grund einer Art Schulreifeuntersuchung für alle Fünfjährigen. Für diese Kinder sind spezielle Programme zur Förderung der sprachlichen Kompetenz in der Unterrichtssprache Deutsch vorgesehen. (vgl. VIEL LÄRM UM NICHTS, 03.08.07).

In den einzelnen Bundesländern hat diese Regelung unterschiedliche Bedeutung erhalten. In Bundesländern, in welchen der kostenlose Besuch des Kindergartens bereits eingeführt ist (Niederösterreich, Vorarlberg), ist die Besucherquote in der Altersstufe der Fünfjährigen bereits sehr hoch, Bundesländer mit kostenpflichtigen Kindergärten haben Nachholbedarf. Der neuerliche Vorschlag einer Vorverlegung des Schulpflichtalters durch den Wiener Landeshauptmann im Sommer 2008 ist zweifellos nicht durch neue erziehungswissenschaftliche Forschungsergebnisse begründet. Er kann wohl nur aus finanzpolitischen Erwägungen erfolgt sein: Die Verfassung ordnet die Erhaltung der Kindergärten den Bundesländern, die Erhaltung der Pflichtschulen jedoch dem Bund zu. Da nun nach Ablauf der Gesetzgebungsperiode auch die ÖVP das verpflichtende Kindergartenjahr für die Fünfjährigen fordert, ist zu erwarten, dass eine Reform in dieser Richtung erfolgen wird. Eine gemeinsame Finanzierung durch Bund und Länder wird noch gesucht.

Aus sozialdemokratischer Perspektive der Bildungspolitik spricht gegen eine Verlängerung der Grundbildungspflicht durch die Vorverlegung der Schulpflicht neben den pädagogischen Gründen wohl auch, dass dadurch die Forderung nach einer Ausdehnung der allgemeinen vollzeitlichen Grundbildungspflicht bis zum 16. Lebensjahr erschwert wird. Dies muss angesichts der Herabsetzung des Wahlpflichtalters zum 16. Lebensjahr und der damit unverzichtbar gewordenen politischen Bildung in der Endphase der Grundbildung als bildungspolitischer Katastrophenfall angesehen werden.

Baustelle 4: Die Reform der Schulverfassung und der Schulverwaltung

Ein wesentliches Kennzeichen des österreichischen Schulwesens ist seine föderalistische Struktur, welche bereits auf die Monarchie zurückgeht („Schule - Kirche - Gesetz" 1868). Sie blieb auch in der Bundsrepublik Österreich erhalten. Der Staat (Bund) war für die Verwaltung und Erhaltung des höheren Schulwesens zuständig, das niedere Schulwesen (Pflichtschulen) war Sache der Bundesländer. Das betrifft auch die Lehrer: „Bundeslehrer" in den höheren Schulen, „Landeslehrer" in den Pflichtschulen, jeweils mit eigenem Lehrerdienstrecht. Erst nach dem II.Weltkrieg (1948) wurde eine einheitliche Besoldung der „Landeslehrer" eingeführt, für welche der Bund nun die Personalkosten den Bundesländern refundiert (Vertrag gem. Art.15a B-VG).

Die Schulgesetzgebung war bis 1962 nur durch eine „paktierte Gesetzgebung" (Gesetzesbeschlüsse im Parlament und in den Landtagen), 1962 erfolgte im neu geschaffenen Art. 14 der Bundesverfassung die Einführung der Notwendigkeit einer Zweidrittelmehrheit im Parlament beim Beschluss über Schulgesetze, wobei der Bund bezüglich der Pflichtschulen nur für die Grundsatzgesetzgebung zuständig ist, die durch Ausführungsgesetze der Länder zu ergänzen ist.

Die Schulverwaltung erfolgte zunächst auf vier Ebenen: Bundesministerium - Landesschulräte - Bezirksschulräte - Ortsschulräte (1955 abgeschafft). Landes- und Bezirksschulräte agierten als Schulbehörden des Bundes mit Kollegialorganen zur Mitbestimmung.

Es liegt auf der Hand, dass dieses komplexe System mit mehreren Entscheidungsebenen zum Gegenstand der Bemühungen um Verwaltungsvereinfachung wurde. 1994 wurde der Entwurf zu einer Novelle des Art. 14 der Bundesverfassung mit dem „Ziel einer verstärkten Regionalisierung der österreichischen Schulverwaltung" von der ÖVP vorgelegt, dem der Unterrichtsminister Dr. Scholten und die SPÖ nicht zustimmten. Auch im 2003 eingesetzten „Verfassungskonvent", der 2005 erfolglos beendet wurde, konnte kein Konsens bezüglich der Änderung der Schulgesetzgebung und Schulverwaltung erreicht werden.

Allerdings wurde 2005 eine Einigung von ÖVP und SPÖ bezüglich der Novellierung des Art. 14 B-VG gefunden: Die Notwendigkeit der Zweidrittelmehrheit für Schulgesetze wurde weitgehend aufgehoben. Erhalten blieb sie für Beschlussfassungen bezüglich der Schulpflicht, der Schulgeldfreiheit, des Privatschulwesens und der Notwendigkeit der Strukturierung im Bereich der Sekundarschulen. Die letztere Bestimmung ist allerdings interpretationsbedürftig; sie könnte durch die Gliederung in allgemeinbildende und berufsbildende Schulen einerseits und die Gliederung der Sekundarschulen in eine Sekundarstufe I und II erfüllt werden. Eine diesbezügliche Novellierung des § 3 SchOG erscheint dringend.

Anfangs 2008 legte ein Arbeitskreis zur Verfassungsreform Vorschläge zu einer Änderung der Bundesverfassung bezüglich des Schulwesens vor. Wesentliche Punkte sind: Aufhebung der Sonderregelung des Verhältnisses von Bundes und Ländern in Artikel 14; Schulgesetzgebung generell durch den Bund (Parlament), Schulverwaltung durch die Landeshauptleute als mittelbare Bundesverwaltung gem. Artikel 102 und 103 B-VG (unterstützt durch eine Bildungsdirektion als Landesbehörde); daher Aufhebung der Artikel 81 a und 81 b B-VG, welche derzeit die Schulverwaltung und Schulaufsicht regeln; Vereinheitlichung des Dienstrechts aller Lehrer als „Bundeslehrer". (vgl. DAS „SCHWARZE LOCH" IN DEN VORSCHLÄGEN ZUR VERFASSUNGSREFORM - DIE SCHULAUFSICHTSBESTIMMUNGEN OHNE REST VERSCHWUNDEN, 12.04.08)

Diese vorgeschlagene Neuordnung der Schulverwaltung hätte gravierende Folgen: Entdemokratisierung durch Aufhebung der gemäß der auf Grund der Landtagswahlergebnisse zusammengesetzten Kollegialorgane der Bundesschulbehörden auf Landes- und Bezirksebene; Schulverwaltung auf Bezirksebene durch die Bezirkshauptmannschaften als nachgeordnete Dienststellen des Landeshauptmanns ohne Wahllegitimation. (vgl. DIE ENTDEMOKRATISIERUNG SCHREITET VORAN - ERKENNTNISSE AUS DEN VORSCHLÄGEN ZUR VERFASSUNGSREFORM, 11.04.08)

Im Zusammenhang damit stehen die Bemühungen, die Kompetenzen der Schulleiter im Sinne autokratischer Schulstrukturen zu verändern. Im Interesse der Sicherung der Schulqualität soll ihnen auch die Zuständigkeit und Verantwortung für die Anstellung und Entlassung von Lehrer übertragen werden. (vgl. DER „STEIN DER WEISEN" IST GEFUNDEN - QUALITÄTSICHERUNG DURCH DIE SCHULLEITER, 22.04.08; PROFESSIONALISIERUNG DES LEHRERS UND VERRECHTLICHUNG DER SCHULE - EIN WIDERSPRUCH ? 03.06.08). In dieser Linie der Verwaltungsveränderung liegt wohl auch die oben bereits erwähnte Einführung von Leistungsstandards. Sie sollen die Output-Kontrolle des Schulsystems ermöglichen oder verstärken, die Input-Steuerung des Schulsystems würde hingegen eine Verstärkung der Lehrerkompetenzen, eine Erweiterung der Selbstkontrolle durch die Lehrerkollegien und die Einführung effizienter Beratungsorgane erfordern.

Die Diskussion der Verfassungsreform wurde durch eine Entscheidung der Bundesregierung zunächst ausgesetzt. Aufgeschoben ist jedoch nicht aufgehoben !