ÖVP-Bildungssprecher Abg. Werner Amon hat mit seiner Bemerkung, die Zurufe von Hannes Androsch an die Bildungsministerin (... systembedingte Verabreichung von Placebos ...) seien entbehrlich, letztlich nur bestätigt, dass das Bildungsvolksbegehren erhebliche Unruhe in die Bildungspolitik der Koalitionsregierung gebracht hat. Das Paket aus drei Gesetzesvorlagen inklusive eines Planes für die Umsetzung von 9 insgesamt Punkten zur Schulreform, das vom Ministerrat bestätigt wurde, besitzt unübersehbar Merkmale des Unausgegorenen, Unfertigen und Unüberlegten. Ankündigungspolitik muss auf einmal Hausaufgaben machen und gerät dabei unter gehörigen Zeitdruck!
Ganz schlimm ergeht es dabei dem Projekt einer flächendeckenden (soll heißen, auf die Hauptschule beschränkten) Neuen Mittelschule. Der „Stufenplan zum Ausbau der Neuen Mittelschule bis 2016" ist nämlich kaum nachvollziehbar, weil schlicht und einfach nirgends vollständig einsehbar, weder in den Pressepapieren noch auf der Homepage des Ministeriums. Und die im Gesetzespaket enthaltene Regelung zur Mitverwendung von Landeslehrern an Bundesschulen kann ja wohl nicht als entscheidender Beitrag zu diesem Stufenplan verstanden werden. Aber letzten Endes sind ja auch „Fahrpläne", „Stufenpläne" etc. nur Bestandteil einer Politik, die substanzielle Fragen immer wieder mittels Ankündigung aufschiebt.
Wenn Amon feststellt, dass „die Umwandlung aller Hauptschulen in Mittelschulen es ermöglicht, einen Qualitätsschub und Fördermöglichkeiten durch individuelle Leistungsdifferenzierung an den Standorten zu sichern", dann ist dem entgegenzuhalten, dass weder über die Individualisierung und Differenzierung mittels Teamteachings noch über die Konzepte zur flexiblen Leistungsdifferenzierung Ergebnisse vorliegen, die eine eindeutige Umsetzungsstrategie erlauben. Das ist die Folge einer Strategie, die einen Schulversuch mitten im Entwicklungsprozess abbricht, um ihn eilig ins Regelsystem zu übertragen. Hinzu kommt die Vielzahl von bundesländerbezogenen Modellen, die die Frage aufwirft, welches davon denn nun eigentlich Gegenstand der Übertragung sein soll. Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, dass eine Bildungspolitik, die in den 80er-Jahren bei der Entscheidung für eine Hauptschulreform (7. SchOG - Novelle) die damals vorliegenden Evaluationsergebnisse unbeachtet ließ, nun in aller Eile eine Übertragung in das Regelschulen ohne jegliche Evaluationsergebnisse vornimmt. Helmut Seel hat diese mehr als fragwürdige Vorgangsweise und die daraus resultierenden offenen Fragen in seinem Beitrag „Bruchlandung der Neuen Mittelschule" auf der Website www.bpag.at glasklar analysiert.
Im Gegensatz zum sogenannten Fahrplan für die Einführung der Neuen Mittelschule ist die im Maßnahmenpaket enthaltene Novelle zum Bundes-Schulaufsichtsgesetz überraschend konkret, aber auch fragwürdig. Institutionelle bzw. strukturelle Veränderungen bei den Landes- und Bezirksschulräten gibt es zwar nicht, stattdessen wird über das bestehende System ein „umfassendes Qualitätsmanagement" gestülpt, das sich bei näherem Hinsehen als ein wahrer Evaluatorentraum entpuppt:
Der zuständige Bundesminister hat demnach für einen Nationalen Qualitätsrahmen zu sorgen, auf dessen Grundlage
verpflichtend in 1- bis 3-jährigen Abständen Entwicklungspläne, Qualitätsberichte und Qualitätsprogramme auf allen Ebenen der Schulverwaltung und der Schulen zu erstellen sind,
verpflichtend periodische Zielvereinbarungen auf allen Ebenen der Schulverwaltung und der Schulen (unter Einbeziehung der zur Zielerreichung erforderlichen Maßnahmen und Leistungen) zu treffen sind.
Das ist wahrlich die Erfüllung eines Wunschtraumes für jeden professionellen Evaluator, wertet er doch am Ende des Prozesses die Berichtsdaten von unzähligen Schulen, 130 Bezirksschulräten und 9 Landesschulräten aus.
Dieser Gesetzesentwurf ist getragen vom Glauben daran, dass mit Zustandsanalysen und Zielvereinbarungen die Qualität des Unterrichts zu verbessern ist. Im Vorblatt zur Regierungsvorlage wird das klar ausgesprochen:
„Die Effizienz des österreichischen Schulwesens soll durch einen Paradigmenwechsel von der Inputsteuerung und der damit verbundenen Anordnungs- und Erlasskultur hin zu einer Output- und Prozesssteuerung mit entsprechender Verantwortungs- und Ergebniskultur gesteigert werden."
Damit wird Schule zur Blackbox, die man im Eingangsbereich mit Daten und Zielvereinbarungen füttert und bei der man im Ausgangsbereich dann die Zielerreichung misst. Was im Inneren der Blackbox geschieht, das bleibt verborgen und ist auch nicht wirklich von Interesse. Von der im obigen Zitat genannten Prozesssteuerung ist kaum etwas zu bemerken. Die Präferenz für die Output-Maßnahmen verdrängt das Interesse an allen Maßnahmen, die den Unterricht selbst und seine Qualität betreffen (Erfahrungsaustausch im Team, professionelle Beratung, systematische Fortbildung und Ausbildung). Der Mangel dieses Konzeptes besteht in der fehlenden Verknüpfung von Input- und Output-Orientierung, im erdrückenden Aufwand für die Erhebung des Ist-Zustandes und im fehlenden Interesse für jene Faktoren, die tatsächlich die Qualität des Unterrichtes betreffen.
Aber abgesehen von diesen inhaltlichen Einwänden: Die geltenden und unverändert bleibenden Strukturen sichern auch in Zukunft eine Schulaufsicht, die von den Intentionen der Ministerin und des Ministeriums meilenweit entfernt ist. Diese Schulaufsicht orientiert sich verständlicher Weise an den Intentionen des vom Landeshauptmann ernannten Amtsführenden Präsidenten und der Politik des Landes. Da nun einmal Bildung nicht eine einfache Sachfrage ist, sondern auch ein Prestigeprojekt des jeweiligen Landes, beeinflusst dies nachhaltig das Agieren der Schulaufsicht. Fazit: Wenn die Hausaufgaben betreffend Verfassung und Schulgesetze nicht gemacht sind (und das Projekt der Verfassungsreform wurde von dieser Bundesregierung ja fallen gelassen), bleiben die angepeilten Veränderungen leere Worte.
Zum Konzept eines Qualitätsmanagement gehört auch die Novelle des Schulunterrichtsgesetzes, mit der die „die Stellung der einzelnen Schulen" gestärkt werden soll: Die Schulleiter sollen Qualitäts-, Personal- und Bildungsmanager werden. Sie sind künftig ebenfalls für Personalführung und -entwicklung, Schul- und Unterrichtsentwicklung sowie für die Außenbeziehungen der Schulen verantwortlich." (Zitat aus den Erläuterungen zur Novelle auf der Website des BMUKK)
Im Gesetzesentwurf heißt es dann bezüglich Schulleiter ganz lapidar:
„Seine Aufgaben umfassen insbesondere Schulleitung und -management, Qualitäts-management, Schul- und Unterrichtsentwicklung, Führung und Personalentwicklung sowie Außenbeziehungen und Öffnung der Schule."
So einfach kann man es sich nicht machen! Da wird lediglich angekündigt, dass es so sein soll, aber es erfolgt keine Einbindung dieser Zielvorstellung in entsprechend geänderte strukturelle Gegebenheiten. Ohne eine Erweiterung der Kompetenzen inhaltlicher, organisatorischer und finanzieller Art, und das bedeutet, ohne Deregulierung von der Ebene der Schulbehörden in Richtung Schule kann das nicht funktionieren. Mit anderen Worten: Ohne wesentlich erweiterte Schulautonomie sind erweiterte Kompetenzen für den Schulleiter ein Scheinmanöver, das Entscheidungsspielräume vorspiegelt, ohne diese tatsächlich zu öffnen. Darüber hinaus bedarf es aber nicht nur einer Erweiterung der Entscheidungsspiel-räume, sondern auch einer Neufassung der Entscheidungs- und Mitwirkungsrechte der Schulpartner, weil erweiterte Rechte und Aufgaben der Schulleitung einer demokratischen Kontrolle bedürfen.
Forderungen dieser Art machen selbstverständlich die angepeilte Entwicklung einer an Qualitätsstandards orientierten Schulentwicklung um ein Vielfaches komplizierter. Aber kann jemand wirklich glauben, dass eine umfassende Schulreform durch ein paar wohlklingende Floskeln aus dem Begriffsinventar gerade aktueller pädagogischer Strömungen wirklich auf Schiene gesetzt werden kann?
*Zitat Hannes Androsch lt. Presse v. 5.5.2011