Aufforderung zur Klarheit in der Diskussion zur Leistungsbeuteilung auf der Mittelstufe des Schulsystems

von Helmut Seel

Die Diskussion über die Leistungsdifferenzierung in der Sekundarstufe i (Schulen der Zehn- bis Vierzehnjährigen) ist erneut ausgebrochen. Sie zeigt wieder einmal, dass nicht einmal Schulpolitiker die Problemlage richtig verstanden haben. Es ist nämlich notwendig, zwischen den im Schulunterrichtsgesetz (§§ 31b, 31c SchUG) festgelegten drei Leistungsniveaus zur Leistungsbeurteilung einerseits und der im Schulorganisationsgesetz (§§ 15 bzw. 18 SchOG) angeordneten Führung von Leistungsgruppen zur Leistungsdifferenzierung in der Hauptschule zu unterscheiden.
Über die im SchUG vorgesehenen Leistungsniveaus werden die Berechtigungen bestimm, die mit dem Abschluss der 8. Schulstufe (4. Klasse der Hauptschule) erworben werden: Das obere Leistungsniveau (häufig verwirrend „1. Leistungsgruppe" bezeichnet), entspricht dem Leistungsniveau der AHS-Unterstufe auf Grund des wortidenten Lehrplans dieser Schularten. Schüler, die in der Hauptschule in den leistungsdifferenzierten Fächern Deutsch, Fremdsprache und Mathematik auf der obersten Niveaustufe positiv abschließen, haben daher damit die gleichen Berechtigungen erworben, wie sie in der AHS-Unterstufe bei positiver Beurteilung erreicht werden: prüfungsfreier Übertritt in die Oberstufe der AHS und in berufsbildende höhere Schulen (§ 40 bzw. § 68 SchOG).
Das mittlere Leistungsniveau („2.Leistungsgruppe") der Hauptschule berechtigt dazu ebenfalls, wenn die Beurteilung „Sehr gut" oder „Gut" in den leistungsdifferenzierten Unterrichtsfächern vorliegt. Die positive Beurteilung auf dem mittleren Niveaustufe berechtigt zum prüfungsfreien Übertritt in die BMS (§ 55 SchOG). Die positive Beurteilung auf der unteren Leistungsebene („3. Leistungsgruppe") führt nur zum erfolgreichen Abschluss der Hauptschule.
Die Anpassung des einheitlichen Lehrplans für alle Schularten der Sekundarstufe I an die Leistungsniveaustufen in der Hauptschule erfolgt durch Reduzierungen im Lehrstoff durch die Lehrer.
Im SchOG wird festgelegt, dass die Hauptschule zur Leistungsdifferenzierung in Deutsch, in der Fremdsprache und in Mathematik Leistungsgruppen zu führen hat, und zwar mindestens zwei beim Bestehen nur einer Stammklasse. Die Zahl der Leistungsgruppen ist von der Schülerzahl abhängig. Wird für jedes Leistungsniveau eine eigene Leistungsgruppe, für welche die Teilungsziffer gilt, eingerichtet, ergeben sich bei zwei Stammklassen üblicher Weise vier Leistungsgruppen: eine für das obere, zwei für das mittlere und eine für das untere Leistungsniveau. Sie werden stammklassenübergreifend gebildet.
In den Schulversuchen „zur Erprobung flexiblerer Formen der Leistungsdifferenzierung in der Hauptschule", welche von 1991 bis 2006 gelaufen sind, wurde im Modell „Neue Mittelschule" die Bildung von Leistungsgruppen durch die Einrichtung eines Team Teaching ersetzt, die Niveaus der Leistungsbeurteilung blieben aber erhalten und kamen im Zeugnis zum Ausdruck.
Angesichts der laufenden Diskussion ist daher zu fragen: Bleibt in der neuen „Neuen Mittelschule" die Unterscheidung der drei Beurteilungsniveaus erhalten, auch wenn die Führung von Leistungsgruppen zur äußeren Differenzierung abgeschafft und durch die Individualisierung in Zweilehrer-System ersetzt wird?
In den Modellplänen zur Neuen Mittelschule, die alle den Lehrplan der AHS anwenden, wird mit dem Problem der Leistungsniveaus und der Leistungsgruppen unterschiedlich umgegangen. In Vorarlberg wird die Zuordnung aller Schüler zu den drei Leistungsniveaus sofort vorgenommen, und zwar unabhängig von einer eventuellen Führung von Leistungsgruppen. Ein Abschlusszeugnis der Vorarlberger Mittelschule, das dem der AHS-Unterstufe gleichwertig ist, erhalten nur Schüler, die in Deutsch, in der Fremdsprache und in Mathematik auf dem oberen Leistungsniveau positive abschließen. Alle anderen Schüler erhalten ein Zeugnis der Hauptschule mit Berücksichtigung der Leistungsniveaus („Leistungsgruppen").
Im Modellplan der Steiermark wird, wie auch in anderen Bundesländern, die Leistungsniveaubeurteilung nur dann herangezogen, wenn Schüler bei den AHS- Anforderungen versagen. Sie erhalten dann auf Wunsch der Eltern ein Zeugnis der Mittelschule, in dem jedoch die Beurteilung nach dem Lehrplan der Hauptschule mit ihren Leistungsebenen angemerkt ist.
Beide Varianten rechnen daher mit einem weiteren realen oder fiktiven Bestehen der Hauptschule als Schule der Schulversager und stehen damit im Widerspruch zur Absicht des Ersatzes alle Hauptschulen durch die Neue Mittelschule.
Eine weitere Variante der Problemlösung findet sich im Plan der Wiener Mittelschule. Hier orientierte man sich am wortidenten Lehrplan insofern, als zwei Drittel der Unterrichtszeit der im Grundkurs zur Unterrichtung des Kernstoffes im der heterogen zusammengesetzten Stammklasse mit Team Teaching absolviert werden und für ein Drittel der Unterrichtszeit Leistungskurse eingerichtet werden: einen Erweiterungskurs und einen Übungskurs. In einer komplexen Abschlussbeurteilung, in welche die Absolvierung der verschiedenen Leistungskurse berücksichtigt wird, werden die Übertrittsberechtigungen zugesprochen.
Ein schulpolitischer Kompromiss könnte gefunden werden: Die Bundesministerin schafft zwar die Führung der Leistungsgruppen in der Neuen Mittelschule ab, hält aber an den drei Leistungsniveaus zur Beurteilung auf der Sekundarstufe I fest und sichert damit Schülern der Neuen Mittelschule die Übertrittsberechtigungen, welche die Hauptschüler derzeit haben. Der Schulsprecher der ÖVP, der mit seinem Appell zur Erhaltung der Leistungsgruppen ohnehin die Erhaltung der Niveauebene der Leistungsbeurteilung meint, ist zufrieden gestellt und kann an eine Einführung der Beurteilung auf der mittleren Leistungsebene in die AHS denken.
Bei dieser Gelegenheit könnte die Unterrichtsministerin auch die Fragen beantworten, die bezüglich der „Bildungs"- (besser Leistungs-)Standards noch immer bestehen: Sind diese auf die Mindestleistungen ausgerichtet und daher dem Leistungsniveau der untersten Ebene /"3. Leistungsgruppe") entsprechend ? Oder orientieren sie sich an der Leistungen der oberen Leistungsstufe („1. Leistungsgruppe") und sollen in missbräuchlicher Verwendung als Ausleseinstrument für die Sekundarstufe II dienen?