Neue Wege bei der Leistungsbeurteilung?

von Elfriede Schmidinger

Es ist zu hoffen, dass die Begutachtung zur Klärung des Schülerportfoliobegriffs führt. Sollte im § 22 wirklich ein Schülerportfolio gemeint sein, müsste dies unmissverständlich formuliert werden, wie: „Die Schüler der „Neuen Mittelschule“ führen in jeder Schulstufe ein Portfolio, in dem sie ihre Kompetenzen, Begabungen und Stärken ausweisen.“ Ist etwas anderes gemeint, sollte ein passenderer Begriff gewählt werden. Sonst besteht in Zukunft die Aufgabe der Lehrerfortbildung vor allem aufzuklären, was kein Portfolio ist!

In den zur Begutachtung ausgesandten Gesetzestexten zur „Neuen Mittelschule“ findet sich mehrmals das Wort „Portfolio“. Im SchOG spielt es bei den Übertrittsbestimmungen von der „Neuen Mittelschule“ in die weiterführenden Schulen eine Rolle: Wenn in nur einem differenzierten Pflichtgegenstand das Bildungsziel der Vertiefung von einem Schüler bzw. von einer Schülerin nicht erreicht wird, kann er/sie trotzdem ohne Aufnahmsprüfung in eine weiterführende Schule übertreten, wenn die Klassenkonferenz auf Grund der Leistungen in den übrigen Unterrichtsgegenständen und unter Berücksichtigung des Schülerportfolios feststellt, dass er/sie den Anforderungen der weiterführenden Schule genügen kann. Im SchUG wird das Schülerportfolio definiert.

Zum ersten Mal könnten neben den Ziffernnoten auch qualitative Urteile bei der Gesamteinschätzung der Schülerleistungen herangezogen werden, wodurch eine neue Qualität bei der Beurteilung erreicht würde. Besonders zu begrüßen wäre, dass von den möglichen alternativen Formen das Schülerportfolio gewählt wurde, da es nicht nur eine geeignete Form für summative Beurteilungen ist, sondern einerseits durch seine lernsteuernde formative Funktion die individuelle Lern- und Leistungsfähigkeit der SchülerInnen fördert, andererseits auch die LehrerInnen bei der Individualisierung und Personalisierung des Unterrichts unterstützt.

Damit mit dem Portfolio die angeführten positiven lernsteuernden Effekte erzielt werden können, ist ein individualisierter ziel- bzw. kompetenzorientierten Unterricht notwendig, in dem die SchülerInnen Lernarrangements bzw. –umgebungen vorfinden, die - so weit wie möglich - selbstbestimmtes und eigenverantwortetes Lernen an authentischen Lernaufgaben anregen und unterstützen. Ein wesentlicher Teil dieses Unterrichts muss eine reflexive Praxis sein, in der die SchülerInnen selbst ihr Lernen und ihre Lernergebnisse an der Sach- und/oder Individualnorm orientiert qualitativ bewerten und dazu vielfältige Rückmeldungen erhalten. Die Rückmeldungen unterstützen das Lernen, dienen jedoch gleichzeitig auch der kommunikativen Validierung der Beurteilungen. Das Portfolio kann verschiedene Funktionen erfüllen. Wenn es, wie in diesen Begutachtungstexten vorgesehen, für die Leistungsbeurteilung eingesetzt wird, wählen die SchülerInnen selbst aus ihren Produkten, die im Unterricht als Lern- und Reflexionsergebnisse entstehen, ihre besten Arbeiten als direkte Leistungsvorlagen sowie darauf bezogene Rückmeldungen der Lehrperson und MitschülerInnen für ihr Portfolio aus, die ihre individuellen Bemühungen, Fortschritte und Leistungen in einem oder mehreren Bereichen dokumentieren (vgl. Brunner, Häcker, Winter (Hrsg.), Das Handbuch Portfolioarbeit, Kallmeyer 2006 u. a.). Dem im Portfoliounterricht stärker selbstbestimmten Lernen der SchülerInnen entsprechend sind sie im Schülerportfolio aktiv an der Leistungsbeurteilung beteiligt.

Die im § 22 Abs. 1a SchUG vorgenommene Beschreibung des Schülerportfolios sagt jedoch etwas anderes: „Dem Schüler der NMS ist für jede erfolgreich absolvierte Schulstufe ein Schülerportfolio auszustellen, das in schriftlicher Form die individuellen Begabungen des Schülers ausweist.“ Offensichtlich hat bei dieser Formulierung der Portfoliobegriff der Banker Pate gestanden, die mit Portfolio eine Zusammenstellung von Aktien, Wertpapieren und/oder Investitionen verstehen, die ein Bankfachmann für einen Kunden machen kann. Im pädagogischen Bereich macht Portfolio nur Sinn, wenn der/die SchülerIn selbst sein/ihr eigenes Portfolio erstellt, es kann von niemand anderen, auch nicht von der Lehrperson „ausgestellt“ werden. Denkbar wäre, dass die Lehrperson in einer Rückmeldung an den Schüler bestätigt, dass das Portfolio die auf Grund der Unterrichtsarbeit entstandenen Arbeiten des Schülers enthält, um eventuellen Missbrauch zu verhindern. Auch die Einschränkung auf schriftliche Arbeiten widerspricht der Stärken- und Kompetenzorientierung eines Schülerportfolios. So sind z.B. Tondokumente besser als schriftliche Arbeiten geeignet, die Sprechkompetenzen in Deutsch und der Fremdsprache zu zeigen.

Die Analyse der Begutachtungstexte zur Neuen Mittelschule offenbart damit keine neuen Wege in der Leistungsbeurteilung. Man wählte den Portfoliobegriff vielleicht, weil er bei der innovativen Lehrerschaft gut ankommt und der Mode entspricht. Die SchülerInnen bleiben im Unterricht jedoch weiterhin fremdbestimmte „Objekte“ und dürfen nicht selbstbestimmte aktive Akteure, also „Subjekte“ ihres Lernens, sein. Es stellt sich auch die Frage, in welchem Zusammenhang das „Schülerportfolio“ im Begutachtungstext zur „Neuen Mittelschule“ zur „Potentialanalyse“ als Instrument des „Nahtstellenmanagements“ im „Positionspapier der Vorsitzenden aller Lehrergewerkschaften: Wie Österreichs Schule noch besser wird“ zu sehen ist, das vorige Woche beim GÖD-Bundeskongress beschlossen wurde:„LehrerInnen der abgebenden und aufnehmenden Bildungseinrichtungen erstellen gemeinsam ein Gutachten (Potentialanalyse), das Angaben über den momentanen Leistungsstand und die Lernmotivation, ein Stärken- und Schwächen- sowie ein Interessens- und Neigungsprofil und daraus abgeleitet die Empfehlung und gleichzeitig die Berechtigung für eine oder mehrere Schularten bzw. Schulformen enthält.“Diese Potentialanalyse sollen die Eltern zusätzlich zu den Ergebnissen der Bildungsstandardtestungen am Ende der 8. Schulstufe erhalten. Die Ähnlichkeit der Formulierungen im SchUG und SchOG zu diesem Text fallen auf! Diese Potentialanalyse hat jedoch mit einem Schülerportfolio nichts zu tun.