Bildungsstandards in Mathematik – Anlass zum Nachdenken!

von Helmut Seel

Die veröffentlichten Ergebnisse der Bildungsstandards in Mathematik am Ende der 8. Schulstufe haben für Aufregung gesorgt. Auch einige vorschnelle und primitive Schlüsse wurden daraus gezogen.

Das bessere Abschneiden der AHS-Unterstufen gegenüber den Pflichtschulen (Hauptschulen. Neue Mittelschulen) wird als Begründung einer Notwendigkeit ihres weiteren Bestehens herangezogen. Das Ergebnis ist jedoch keine Überraschung. Eine solche wäre es, wenn die AHS-Unterstufe mit ihren ausgesuchten Schülern (Note Sehr gut oder Gut am Ende der 4. Schulstufe der Volksschule) keinen Leistungsvorsprung erreicht hätte.

Die Behauptung, die AHS-Unterstufe wäre grundsätzlich die leistungsstärkere Schule,
lässt sich leicht in Frage stellen, wenn nicht nur die Mittelwerte (AHS-Unterstufe 600 Punkte, Pflichtschulen 504 Punkte bei einem Gesamtdurchschnitt von 535 Punkten) beachtet werden, sondern auch die Leistungsstreuung herangezogen wird. Die schlechteste AHS-Unterstufe erreichte nur 440 Punkte, die beste Hauptschule 670 Punkte. Die beste AHS-Unterstufe wies knapp weniger als 700 Punkte aus, die schlechteste Hauptschule kam auf knapp über 350 Punkte.

Die Schlüsse daraus: Die beste Gesamtschule (Hauptschule mit der gesamten Bandbreite der Schülerpopulation abzüglich der AHS-Schülerquote) erreichte insgesamt den besten Rangplatz von allen Schulen, vor vielen AHS-Unterstufen mit ihrem ausgesuchten Schülermaterial, das im Verlauf der Schuljahre weiter bereinigt wird. Die besten Hauptschüler erreichten ähnliche Werte wie die besten AHS-Schüler. anders sind die Durchschnittswerte nicht erklärbar. Auch in den AHS-Unterstufen erreicht 1 % der Schüler nicht einmal die erste Kompetenzstufe, und 13 % landen auf dieser, welche nur eine lückenhafte Beherrschung der Standardleistung ausweist. 42 % der Pflichtschüler erfüllt die Leistungsnorm und 1 % übertrifft diese. In der AHS liegen, wenig überraschend, 11 %. Fazit: In beiden Schultypen finden sich Schüler in allen Kompetenzstufen und im Versagerbereich.

Leistungsvergleiche zwischen Schulen oder Bundesländern sind nur unter Berücksichtigung der jeweiligen Übertrittsquoten in die AHS nach der 4. Volksschulstufe sinnvoll. Dies könnte beispielsweise und abgesehen vom Anteil an Migrantenkindern die Leistungswerte in Wien erklären. Leider enthält der Bericht über die Bildungsstandards in Mathematik zu den Übertrittsquoten keine Vergleichszahlen.

Die Befunde sprechen insgesamt durchaus für eine Gesamtschule für die Zehn- bis Vierzehnjährigen. Leistungsverluste bei den besseren Schülern sind nicht zu befürchten, Leistungsverbesserungen bei den schwächeren Schülern durchaus zu erwarten. Diese Befunde decken sich mit den groß angelegten Kontrolluntersuchungen der Schulversuche 1971 bis 1983. Ohne Leitungsverluste könnte also eine gerechtere Schulorganisation eingeführt werden, die auch ein höheres Maß an sozialer Integration leisten könnte. Die Einführung von Aufnahmeprüfungen in die AHS, wie es neuerdings von Vorarlberg vorgeschlagen wurde, ist hingegen kontraindiziert: Die Sicherheit von Prüfungswerten ist nicht wesentlich höher als die von Schulnoten, die unterschiedlichen Möglichkeiten, Kinder auf eine solche Prüfung vorzubereiten, bevorzugt ein weiteres Mal die bildungsinteressierten und bildungswilligen Eltern.

Wichtig wäre auch die Möglichkeit einer Kombination der Leistungen in Mathematik mit denen in der Lesefertigkeit. Zweifellos tritt ein Leistungsversagen in der Mathematik auch auf, wenn Schüler wegen mangelhafter Lesefähigkeit die Aufgabenstellungen nicht verstehen. Auf Grund des Durchführungsplans der Leistungsstandrads-Überprüfungen kann damit aber erst 2015 gerechnet werden. Bis dahin wird es notwendig sein, diese Zusammenhänge aus der Verbindung der Daten von PISA und PIRLS zu erschließen. Daraus ist zu entnehmen, dass sich die Verteilung in der Lesefähigkeit an der Sekundarstufe I gegenüber der Volksschule nicht wesentlich verändert. Defizite in der Lesefertigkeit am Ende der Grundschule werden in den Mittelstufenschulen nicht mehr behoben. Eine Verbesserung des Leseunterrichts in der Volksschule unter Berücksichtigung der vorliegenden wissenschaftlichen Befunde ist, verbunden mit in stärkerer individueller Förderung, daher ein zentrales Anliegen der österreichischen Schulreform.

Welche Form der Organisation der Gesamtschule für die Sekundarstufe I, die traditionelle Hauptschule oder die Neue Mittelschule, im Hinblick auf die Schulleistungen zu präferieren ist, kann aus den vorliegenden Befunden noch nicht erschlossen werden. Dies beruht nicht nur auf der geringen Zahl der Neuen Mittelschule in der Untersuchung (es ist ja nur die erste Schulversuchskohorte einbezogen), sondern wohl auch deswegen, weil die Versuche zur Neuen Mittelschule drei Schuljahre lang ohne einheitliche Organisation gelaufen sind, sondern ganz unterschiedliche Bundesländer-Varianten gegeben waren. Diese wurden im Vergleich nicht bewertet, sondern in der Novellierung des Schulorganisationsgesetz 2011 einheitliche Organisationsform vorgegeben. Leider sind die 2007 angelaufenen Vergleichsuntersuchungen zwischen der AHS-Unterstufe, der Hauptschule und der Neuen Mittelschule 2010 vom Unterrichtsministerium eingestellt worden (vergl. Eder, F./ Hörl, G. HG.: Schule auf dem Prüfstand, Wen 2010). Schlüssige Vergleichsbefunde werden bezüglich eines Vergleichs der traditionellen Hauptschule und der Neuen Mittelschule dadurch erst in zwei bis drei Jahren vorliegen.