Vorschulklassendiskussion ohne umfassenden Sachverstand ?

von Helmut Seel

Zunächst zur Erinnerung:
Bundesverfassung Artikel 8: „Die deutsche Sprache ist – unbeschadet der den sprachlichen Minderheiten bundesgesetzlich eingeräumten Rechte – die Staatssprache der Republik“.
Daher Schulunterrichtsgesetz § 46: „Unterrichtsprache ist die deutsche Sprache. Soweit nicht für Schulen, die im besonderen für die sprachlichen Minderheiten bestimmt sind, durch Gesetz oder zwischenstaatliche Vereinbarungen anderes vorgesehen ist“.
Weiters Schulpflichtgesetz § 1: „Für alle Kinder, die sich in Österreich dauernd aufhalten, besteht Schulpflicht“. Und § 6 Absatz 2b: „Schulreif ist ein Kind, wenn angenommen werden kann, dass es dem Unterricht in der ersten Schulstufe zu folgen vermag, ohne körperlich oder geistig überfordert zu sein“. Sowie § 6 Absatz 2d: „Die Aufnahme der schulpflichtig gewordenen Kinder, die nicht schulreif sind, hat in eine VorschulSTUFE zu erfolgen“.
Da es das wesentliche Kriterium der Schulreife ist, dass das Kind dem Unterricht in der ersten Schulstufe zu folgen vermag, ist dem Stadtschulrat für Wien beizustimmen, dass auch ein Defizit in der Beherrschung der Unterrichtssprache als Grund für mangelnde Schulreife angesehen werden kann (muss).

Dazu das Wesentliche aus dem Schulorganisationsgesetz:
§ 11 Abs. 1: „Die Volksschule umfasst 1. jedenfalls der Grundschule, bestehend aus der Grundstufe I und der Grundstufe II“; Abs. 2: „Die Grundstufe I umfasst bei Bedarf die Vorschulstufe und jedenfalls die 1. und 2. Schulstufe.“
§ 12 Abs. 2: „Die Grundschule ist in der Grundstufe I 1. mit einem getrennten Angebot von Vorschulstufe (bei Bedarf) sowie 1. und 2. Schulstufe oder 2. mit einem gemeinsamen Angebot von Vorschulstufe und Grundstufe I zu führen“.
§ 13 Abs. 1: „Der Unterricht in der Volksschule .... ist von einem Klassenlehrer zu erteilen. Für noch nicht schulreife Kinder (bei gemeinsamer Führung von Schulstufen der Grundstufe I), für Kinder mit sonderpädagogischen Förderbedarf sowie für Kinder mit nichtdeutscher Muttersprache, welche die Unterrichtssprache nicht ausreichend beherrschen, kann ein entsprechend ausgebildeter Lehrer zusätzlich eingesetzt werden“.

Durch die Bestimmungen in § 12 Abs. 2 Z 2 SchOG und § 25 Abs. 8a SchUG wurde die Möglichkeit geschaffen, eine Schuleingangsstufe einzurichten, in deren Klassen die Schüler der 1. und 2. Schulstufe sowie die Schüler der Vorschulstufe gemeinsam unterrichtet werden. Der Klassenverband umfasst drei Schulstufen, in ihn werden jedes Jahr alle schulpflichtigen Kinder des Einzugsbereichs ohne Rücksichtnahme auf die Schulreife aufgenommen. Die Schuleingangsstufe kann in zwei oder drei Schuljahren absolviert werden, je nachdem wie lange sie brauchen, die 2. Schulstufe erfolgreich zu beenden. In die Eingangsstufe werden zu Beginn jedes Schuljahrs so viel Schüler aufgenommen, wie zu Ende des vorhergehenden Schuljahrs in die 3. Schulstufe aufgestiegen sind. Im Bedarfsfall sind mehrere Schuleingangsstufen parallel zu führen. Unter Anwendung von § 26 SchUG kann die Schuleingangsstufe im Sonderfall auch nur in einem Schuljahr abgeschlossen werden.

Die unterschiedliche Verweildauer in der Eingangsstufe wird nicht im gleichen Ausmaß als Versagen erlebt wie eine Verweigerung des normalen Schuleintritts wegen fehlender Schulreife oder eine Schulstufenwiederholung in der Grundstufe I der Volksschule. Die Notwendigkeit der Zuerkennung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs erhält eine sicherere Beurteilungsgrundlage. Im Bedarfsfall erlaubt sie das Aufsteigen in die 3. Schulstufe nach dem Lehrplan der Sonderschule (§ 25 Abs. 5a SchUG). Bei Schülern, die Sprachförderkurse besucht haben, kann § 25 Abs, 5c SchUG wirksam werden.

Die Schuleingangsstufe ist eine planmäßig (d. h. aus pädagogischen Gründen) eingerichtete Mehrstufenklasse. In der Reformpädagogik ist die Mehrstufenklasse ein Gestaltungsprinzip der Jenaplan-Schule Peter Petersens, der in seinen Schriften die Vorteile der Mehrstufenklasse als Erziehungsraum ausführlich dargestellt hat. Die Altersstreuung der Schüler ermöglicht und verstärkt das wirkungsvolle Lernen der Schüler von einander. Leistungsvorsprünge verstärken durch die Vorbildwirkung die Motivation und ermöglichen gegenseitige Hilfestellung. In ihrem Selbstverständnis erleben die Schüler, wie sie aus der Rolle des hilfebedürftigen Neulings in die des erfahrenen Könners und Helfers hineinwachsen. Der Vortragsunterricht des Lehrers kann weitgehend durch die Gruppenarbeit ersetzt werden. Wichtige Hinweise zur didaktisch-methoduischen Gestaltung der Eingangsstufe gibt der Lehrplan der Volksschule.

Zur aktuellen Diskussion: Schüler mit Sprachdefiziten, insbesondere Schüler mit Migrationshintergrund, welche als nicht schulreif beurteilt werden, müssten daher nicht in eigenen Vorschulklassen (SchOG § 12 Abs. „ Z 1) zusammengefasst werden. In der Schuleingangsstufe (SchOG § 12 Abs, 2 Z 2) wäre auch eine integrative Organisationsform schulrechtlich gegeben. Bei entsprechender Auslegung von § 13 Abs. 1 könnte zu dem Lehrerteam, bestehend aus dem Klassenlehrer und dem Lehrer für die Vorschulstufe. ein weiterer Lehrer für die Kinder mit nichtdeutscher Muttersprache eingesetzt werde. Er könnte in intensivem Kleingruppenunterricht im Rahmen der verbindlichen Übung „Sprechen und Sprache“ zusätzlich fördernd eingreifen (Sprachförderkurse). In integrativen Unterrichtsabschnitten, die auf Grund der weitgehenden Übereinstimmung der Lernbereiche (Verbindliche Übungen) der Vorschulstufe mit den Unterrichtsgegenständen der Grundschule möglich sind, können die Kinder mit deutscher Umgangssprache als Sprachvorbilder für Kinder mit unterrrichtsprachlichen Defiziten wirken.