Schulpolitischer Geniestreich der ÖVP: Gesamtschuldiskussion auf 2025 vertagt?

von Helmut Seel

Die Nebel lichten sich. Warum Schulversuche mit der Gesamtschule bis 2025? Die Industriellenvereinigung hat in ihrem Schulreformplan  „Beste Bildung für Österreichs Zukunft“ eine neunjährige Gesamtschule vom 5. bis zum 15. Lebensjahr vorgeschlagen.  Das Konzept ist nicht neu. Es wird in den skandinavischen Staaten seit Jahrzehnten als „Grundschule“ praktiziert, an welche dann die verschiedenen Formen der Sekundarstufe II anschließen:  vierklassige Gymnasien und verschiedene berufliche Bildungsgänge. In dieser Grundschule ist die Sekundarstufe I aufgehoben und mit der Primarstufe vereinigt.  Unterschiedliche Formen einer Binnengliederung sind möglich. Meist wird die „Grundschule“ in drei dreijährige  Teilbereiche gegliedert. Im dritten Zyklus ist meist Fachlehrerunterricht  vorgesehen. Auch verschiedene Formen einer Leistungsdifferenzierung werden gestaltet.

In den Vereinbarungen der SPÖ und der ÖVP zur Bildungsreform sind Schulversuche mit einer solchen neunklassigen Gesamtschule in Aussicht genommen. Wenn diese 2016 beginnen, dann endet der erste  Durchlauf  2025 und kann dann evaluiert werden. Für diese Schulversuche gilt die 15%-Klausel (Höchstausmaß der Beteiligung 15 % der Schulen/Schüler des Bundeslandes).

 Die Aussagen blieben diesbezüglich bisher (gewollt?) unklar. Man hatte ja eine Lösung der anstehenden Problematik des Nebeneinanders von zwei Schularten im Bereich der Sekundarstufe I (AHS-Unterstufe  und Neue Mittelschule) und der damit gegebenen verfrühten Selektion nach der 4. Schulstufe der Volksschule erwartet. Gesamtschulen im Bereich der Sekundarstufe I sind in den  meisten west- und südeuropäischen Staaten vor allem aus demokratiepolitischen Gründen eingerichtet worden. Nur der deutsche Sprachraum zeigte sich bisher reformresistent, offenbar noch von den Traditionen einer neuhumanistischen Bildung mit einer gymnasialen Langform als Schule der gehobenen Gesellschaftsschichten geprägt.

 In den Bemühungen um eine gemeinsame Schule für alle Zehn- bis Vierzehnjährigen hat die SPÖ offenbar eine weitere bildungspolitische Niederlage erlitten. Dies versucht man mit den neuen Schulversuchsplänen zu vertuschen.

Völlig unverständlich ist, dass die SPÖ diesem neuen Modell einer österreichischen Schulorganisation kommentarlos zugestimmt hat. Es wurde bisher in den zuständigen Gremien der Partei nicht diskutiert und entspricht auch nicht der schulpolitischen Linie, nach der sie seit der Ersten Republik um eine Gesamtschullösung der Sekundarstufe I gekämpft hat. Schulversuche führten immer wieder nur zu Kompromisslösungen: 1927 zur Einführung der Hauptschule mit zwei Klassenzügen neben den Mittelschulen, 1983 zur eine reformierten Hauptschule mit der Beschränkung der Leistungsdifferenzierung auf die  Sprachen und Mathematik neben der AHS-Unterstufe. Die Schulversuche von 1971 bis 1983 wurden wissenschaftlich begleitet und evaluiert. Die Befunde, die für eine Integration der Mittelstufenschulen sprechen, wurden dokumentiert und sind verfügbar. 2008 wurden neuerlich Schulversuche mit der Neuen Mittelschule gestartet, die aber 2012 von der Unterrichtsministerin Dr. Schmied wegen  eines billigen bildungspolitischen Erfolgs abgebrochen wurden: Im Deal mit der ÖVP, in dem sie dieser den weiteren Bestand der AHS-Unterstufe zusicherte, durfte sie ohne Evaluation alle Hauptschulen per Gesetz zu Neuen  Mittelschulen  machen.

 Die Unterrichtsministerin Heinisch-Hosek findet keine klaren Worte zum Sachverhalt. Ob Mut oder Einsicht fehlen, sei dahingestellt. Sie sollte sich allerdings fragen, ob sie die richtige Frau am richtigen Platz ist.

 Die Frage der Schulen für die Sekundarstufe I (Zehn- bis Vierzehnjährige) wird im Koalitionsbericht zur Bildungsreform gar nicht angesprochen. Vorarlberg könnte daher ohne Rücksicht auf einer Prozentklausel eine einheitliche Sekundarschule bundeslandweit einführen. Auch das Bundesland Wien sollte sich von der Prozentklausel nicht gehemmt fühlen, ihre allgemeine Mittelschule als Ergebnis der Schulversuche von 2008 einzurichten.

H.S.