Die unerledigten Hausaufgaben einer Mittelstufenreform


Bildungsministerin Dr. Hammerschmid hat in einem ORF-Interview (ZIB 2, 27.6.2016) erkennen lassen, dass sie dem Thema Gesamtschule für die laufende Legislaturperiode keine besondere Priorität beimisst. Dies mag das Ergebnis einer realistischen Einschätzung sein, weil sich beim Koalitionspartner ganz offensichtlich die beharrenden Kräfte durchgesetzt haben.

Mit der kurzzeitigen Diskussion über Prozentgrenzen für Gesamtschul-Modellregionen wurde im Grunde genommen nur verschleiert, dass die Vereinbarungen im Rahmen der Bildungsreformkommission zu diesem Thema im Wesentlichen darauf hinauslaufen,

In dieses Gesamtbild passt, dass bezüglich der ersten 4 Jahre des Projektes– also im Grundschulbereich - bis dato keinerlei Aussagen vorliegen, was denn die wesentlichen Merkmale des Modells sind und worin die Unterschiede zur Regelform der Grundschule bestehen (siehe auch Helmut Seel, „Aus Bruchstücken ein Ganzes machen“, www.bpag.at ).

Der Strategie des Aufschiebens von Entscheidungen dürfte allerdings entgegenstehen, dass gerade in ländlichen Räumen ein wachsendes Bewusstsein für jene Benachteiligungen entstanden ist, die sich aus dem reduzierten Schulangebot bzw. der geringeren Schulortnähe im Vergleich zum städtischen Bereich ergeben (siehe die Diskussion in Vorarlberg und Tirol). Für bildungsbewusste Mittelschichteltern in diesen Regionen kann eine in seinen Konturen immer noch weitgehend unklare Modellregion mit einer fast 10-jährigen Laufzeit und einer völlig ungewissen Zukunftsperspektive mit Sicherheit keine befriedigende Lösung darstellen. Überdies müssen die aktuellen Detailergebnisse der Zentralmatura zusätzlich den Eindruck verstärken, dass der Weg zur Reifeprüfung regional und punktuell mit sehr unterschiedlichem Schwierigkeitsgrad absolviert werden kann. Bildungsgerechtigkeit sieht anders aus! Die Regierungsparteien sollten sich daher nicht täuschen: Das Angebot einer wohnortnahen, möglichst viele Bildungschancen eröffnenden und nachdrücklich qualitätsorientierten Mittelstufe hat hohe Dringlichkeit und durchaus politische Brisanz. Weitere 10 Jahre des Stillstands und der inhaltsleeren Wortgefechte werden kaum Akzeptanz finden!

Unabhängig vom Schicksal des Modellregionen-Projektes liegen allerdings genügend bildungspolitische Hausaufgaben auf dem Tisch, deren Erledigung eine schrittweise Mittelstufenreform möglich machen würde und die daher nicht auf die lange Bank geschoben werden sollten.

Lehrerbildung

Die neue, gesetzlich verankerte Lehrerbildung und das dort vorgesehene System einer neuen Sekundarlehrerausbildung ist in ihrer Bedeutung für den Mittelstufenbereich gar nicht hoch genug einzuschätzen, würde es doch in Zukunft für alle Schulen im Mittelstufenbereich formal gleich qualifizierte Lehrerinnen und Lehrer sicherstellen. Antworten auf die Frage, ob die Kooperation zwischen Hochschulen und Universitäten tatsächlich gelingt und ob eine schlüssige inhaltliche Konzeption für eine einheitliche Ausbildung gefunden wurde, die lt. Gesetz den gesamten Sekundarbereich (Mittelstufe + Oberstufe) in einem Lehramt erfassen soll, sind von eminenter Bedeutung. Unglaublich, dass es zum  gesamten Themenbereich bis jetzt praktisch keinerlei Informationen gibt, obwohl eine eigenen Qualitätssicherungskommission eingesetzt wurde!

Unterrichtsqualität

Auch die Frage, ob es in den Neuen Mittelschulen und in den Gymnasien mit ihren immer heterogener werdenden Klassen wirklich gelingt, die Leistungsschwächeren  ausreichend zu fördern und die Leistungsstärkeren hinreichend zu fordern, ist kein Thema der Zukunft, sondern eine Aufgabe der Gegenwart.  Angesichts der Ergebnisse, die die  Überprüfung der Bildungsstandards auf der 8. Schulstufe geliefert hat, muss man sich fragen, ob die Zielvorstellungen des  Schulunterrichtsgesetzes und der Verordnung über die Bildungsstandards (leistungsdifferenzierter Unterricht, grundlegende und vertiefte Allgemeinbildung) in der Unterrichtsrealität tatsächlich erfüllt werden.

Unterstützungssysteme

Das Gelingen der schwierigen Individualisierungs- und Differenzierungsaufgaben in der Mittelstufe ist allerdings nicht einfach nur eine Bringschuld der Schulen, sondern auch und in besonderer Weise eine Frage der konzeptionellen, personellen und materiellen Unterstützungssysteme. Auf der Konzeptebene besteht dringender Klärungsbedarf, was das finanziell aufwendige Teamteaching leisten kann und soll, welche Formen der inneren Differenzierung erfolgsversprechend sind und unter welchen Bedingungen äußere Formen der Differenzierung (Leistungsgruppen) vertretbar und sinnvoll sind. Hier geht es nicht um unterrichtswissenschaftliche Handbücher, sondern um professionelle Mindeststandards für erfolgreichen Unterricht unter Berücksichtigung der bislang nur angekündigten erweiterten Schulautonomie.

Schulverwaltungsreform

Die personellen und materiellen Unterstützungssysteme sind nicht zu trennen von den strukturellen Fragen der Schulverwaltung. Stimmt die Auffassung des Rechnungshofes, dass die bestehenden Verwaltungsstrukturen dazu führen, dass Ressourcen versickern und nicht ausreichend an die Schulen gelangen? Eine Frage dieser Brisanz wird man nicht einfach unbeantwortet stehen lassen können und die aktuelle Diskussion über besondere Zuwendungen für Brennpunktschulen wird sich wohl nicht alleine auf zusätzliche neue Ressourcen,  sondern auch auf eine bessere Verteilung und Nutzung vorhandener Mittel stützen müssen. Eine Reform der Schulverwaltung, die ja nun seit Jahren ein Thema ist, wird sich daher auch nicht weiter aufschieben lassen!

 Soziale Durchmischung

Die Frage der sozialen Durchmischung von Schulen wurde merkwürdiger Weise lange Zeit im Rahmen einer oftmals  abgehobenen Schulreformdiskussionen „verschlafen“ und  ist keinesfalls nur ein Nebenaspekt der Gesamtschuldiskussion. Es ist  in Zeiten mit massiven Migrationsbewegungen und wachsenden sozialen Verwerfungen ein eminent wichtiges und heikles Thema (sieh Kurt Scholz, Die Presse v. 14.6.2016) der gegenwärtigen Schule. Die neue Ministerin hat das Thema zumindest verbal aufgegriffen. Aber ändert das etwas an der Tatsache, dass Schulentwicklungsplanung in der Vergangenheit und wohl auch in der Gegenwart nicht mit der notwenigen Dringlichkeit in die regionalen  Raumordnungskonzepte (Wohnraumplanung, Verkehrsverbunde, wirtschaftliche Standortplanung, soziale und kulturelle Stützpunkte …) eingebracht wurde?

Schlussfolgerungen

Eine noch so zögerliche Bildungspolitik wird nicht umhin können, sich den aktuellen Herausforderungen zu stellen und nachweisen müssen, dass sie Probleme rechtzeitig erkennt und auch zu lösen vermag. Ohne realistische Visionen einer besseren Schule wird sie das aber nicht bewältigen! Am Ende einer konsequent betriebenen Mittelstufenpolitik sollte eine Mittelstufe mit einheitlichen Rahmenbedingungen (Lehrpläne und regelmäßig überprüfte anspruchsvolle Bildungsstandards) stehen, mit zumindest formal gleich qualifizierten Lehrerinnen und Lehrern an allen Schulen, einer hohen Unterrichtsqualität an allen Schulen,  einer ausgewogenen Vielfalt in der Angebotsstruktur und regionalen Strukturen, die Ghettobildungen im schulischen Umfeld systematisch verhindern. Man wird sich ja noch etwas wünschen dürfen!

K.S.