Zehn Jahre Schulpolitik unter sozialdemokratischer Leitung (Kurzfassung)

von Helmut Seel

Nach der Nationalratswahl 2006 (XXIII. Gesetzgebungsperiode), die der SPÖ die Mehrheit im Nationalrat brachte, sowie in der XXIV. Gesetzgebungsperiode ab 2008 übernahm Dr. Claudia Schmied die Leitung des Unterrichtsministeriums in einer Koalitionsregierung der SPÖ und der ÖVP. Sie startete eine Reihe von Reformmaßnahmen, welche von ihrer Nachfolgerin Heinisch—Hosek in der XXV. Gesetzgebungsperiode ab 2012 weitergeführt wurden. Im Rahmen der Regierungsumbildung 2016 während der XXV. Gesetzgebungsperiode, die im Normalfall bis 2018 läuft, wurde Dr. Sonja Hammerschmid zur Bildungsministerin bestellt. In dieser Periode möchte die Bundesregierung in einem „Schulpaket" noch die Schulverwaltung, die Schulautonomie und den Ausbau der Ganztagsschule neu regeln.

2006 wurde der neoliberale Kurs im Bildungswesen fortgesetzt, der 2002 (in der Zeit der FPÖ-ÖVP-Koalitionsregierung) die Privatisierung der Universitäten gebracht hatte. Im Plan zur Schulreform, den die Industriellenvereinigung 2014 vorlegte („Beste Bildung für Österreichs Zukunft”), findet sich dementsprechend der Vorschlag zur Privatisierung des gesamten Schulsystems. Nur dort, wo sich für eine Schule kein privater Betreiber findet, sollte die öffentliche Hand als Schulerhalter eingreifen. Ein wichtiger Grund für diese Privatisierung bestünde darin, dass damit die Lehrer (so wie die Universitätslehrer) ihren Beamtenstatus verlieren würden und dadurch im Staatshaushalt die Personalkosten für das Schulwesen nicht mehr aufscheinen würden. Die staatlichen Leistungen für das Schulsystem würden sich dann in der Förderung der privaten Schulträger erschöpfen („Pro Kopf“-Finanzierung). Einsparungen ließen sich dann wesentlich leichter durchführen.

Diesem Denken ist auch die Veränderung in der Steuerung des gesamten Schulwesens zuzuschreiben: die „Output"-Orientierung der Kontrolle der Schülerleistungen und damit der Lehrerqualität. Dazu zählt die Einführung der „Bildungsstandards“ für die 4. und die 8. Schulstufe 2008 und die Einrichtung der „Zentralmatura“ (Standardisierte kompetenzorientierte Reifeprüfung, in Kraft ab 2015/16). Die traditionelle Steuerung des Schulwesens durch die Lehrpläne, die Lehrerbildung, welche die Professionalität zur eigenverantwortlichen Gestaltung des Unterrichts zum Erreichen der Bildungsziele der Schule vermittelt, und die Schulaufsicht durch Schulinspektoren wird als unzureichend angesehen.

Leistungsdefizite des Schulsystems im internationalen Vergleich werden durch die PISA- Tests aufgewiesen. Die OECD führt diese Leistungsvergleiche (Program for International Student Assessment) in den Kompetenzen im Lesen, in der Mathematik und in den Naturwissenschaften bei den Fünfzehn- bis Sechzehnjährigen (Ende der Schulpflicht in den meisten Staaten) in dreijähriger Folge durch. 2015 nahmen 72 Staaten, darunter alle 35 Mitgliedstaaten der OECD teil. In PISA 2015 erreichte Österreich Platz 26 und verschlechterte sich gegen PISA 2012. Im Einzelnen: Lesen durchschnittlich 470 Punkte (Skalen-Maximum 600 Punkte) Platz 24; im Vergleich D 497, CH 513, CZ 479, SL 483 - Naturwissenschaften Österreich 494 Platz 31; D 520, CH 517, CZ 500, SL 512 — Mathematik Österreich 496; D 513, CH 534, CZ 493, SL 501. Die Zahl der Risiko-Schüler (Lernziele in mindestens einem Lernbereich nicht oder nur teilweise erreicht) beträgt rd. ein Drittel der Schüler, davon 18 % in allen Lernbereichen.

Auch die laufende Entdemokratisierung der Schulverwaltung ist ein Zeichen neoliberalen Denkens. So wurden 2013 die Bezirksschulverwaltung abgeschafft und damit auch das Kollegialorgan Bezirksschulrat (zusammengesetzt aus Fachleuten und Elternvertretern gemäß den Bezirkswahlergebnissen bei den Landtagswahlen). Geplant ist derzeit der Ersatz der Landesschulräte durch Bildungsdirektionen, wobei auch dabei das Kollegialorgan (zusammengesetzt nach den Ergebnissen der Landtagswahlen) als Mitbestimmungsgremium verloren geht. Eine Expertengruppe zur Beratung des Bildungsdirektors ist dafür kein Ersatz.

Im Rahmen der wieder aufgegriffenen Idee einer größeren Schulautonomie (erstmals vereinbart im Regierungsprogramm der XX. Gesetzgebungsperiode 1994)  sind ebenfalls Tendenzen zur Reduzierung der Mitbestimmung erkennbar. Die Stellung der Schulleiter soll gestärkt werden, insbesondere durch seine Mitwirkung bei der Anstellung und Entlassung der Lehrer und der Disposition über die der Schule zugeteilten Geldmittel im Bereich der Anzahl der Klassen und der Gruppenbildung. Die Lehrergewerkschaften lehnen besonders die Aufgabe einer gesetzlichen Regelung der Klassengröße („Teilungsziffer“) vehement ab.

Die Abschaffung der Kategorie der „Landeslehrer“ („Pflichtschullehrer” der Volks- und Mittelschulen, der Polytechnischen Schulen sowie der Berufsschulen) mit einem eigenen Dienstrecht erscheint dringlich. Die „Landeslehrer“ werden vom Staat („Bund“) nur indirekt über den Finanzausgleich nach einem vereinbarten Stellenplan finanziert und werden von den Bundesländern angestellt. Überschreitungen des Stellenplans sind jedoch üblich und führen zu erhöhten Kosten. Die Lehrer der Mittleren und der Höheren Schulen werden vom Staat direkt angestellt („Bundeslehrer“). Eine zentrale Verwaltung der gesamten Lehreranstellung und Lehrerbesoldung auf Bundesebene erscheint aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung wichtig.

Die bereits angeführten schlechten Ergebnisse im PlSA-Test 2016 haben die bildungspolitische Diskussion angeregt. Die schlechten Leistungen besonders im Lesen drängen zu einer Reform der Grundschule (vgl. Nationaler Bildungsbericht 2016). Das Klassenlehrersystem wird als eine der Ursachen angesehen,  dass es zu Mängeln in der Unterstützung der Schüler mit Lernschwächen kommt. Der Klassenlehrer konzentriert sich auf die Förderung der vermeintlich und tatsächlich begabten Kinder, um sie auf den Übertritt in die AHS vorzubereiten. Eine Reform der Grundschule, die laut § 9 SchOG „eine für alle Schüler gemeinsame Elementarbildung” zu vermitteln hat, wird daher nur gelingen, wenn man sie von der Selektionsaufgabe entlastet. Dies ist nur durch die Einführung einer Gesamtschule im Bereich der Sekundarstufe I möglich.

Diese  Problemlösung will man offenbar nicht wahrnehmen. Das Wort “Gesamtschule" spricht niemand aus, es ist zum „Unwort“ der Bildungspolitik geworden. Die Schulversuche mit einer Gesamtschule für die Sechs- bis Vierzehnjährigen in Versuchsregionen, die im Koalitionsabkommen für die laufende XXV. Gesetzgebungsperiode vorgesehen waren, werden in dieser Zeit bis 2018 nicht mehr kommen. Da diese Schulversuche auch evaluiert werden sollen, könnten bildungspolitische Entscheidungen erst 2025 erfolgen.