Zehn Jahre Schulpolitik unter sozialdemokratischer Leitung

von Helmut Seel

1. Bildungspolitischer  Hintergrund

 Nach der Nationalratswahl 2006 (XXIII. Gesetzgebungsperiode), die der SPÖ die Mehrheit im Nationalrat brachte, sowie in der XXIV. Gesetzgebungsperiode ab  2008 übernahm Dr. Claudia Schmied  die Leitung des Unterrichtsministeriums in einer Koalitionsregierung der SPÖ und der ÖVP. Sie startete eine Reihe von Reformmaßnahmen, welche von ihrer Nachfolgerin  Gabriele Heinisch-Hosek in der  XXV, Gesetzgebungsperiode ab 2012 weitergeführt wurden. Im Rahmen der Regierungsumbildung 2016 während der XXV Gesetzgebungspeiode, die im Normalfall bis 2018 läuft, wurde Dr. Sonja Hammerschmid zur Bildungsministerin bestellt. In dieser Periode möchte die Bundesregierung in einem „Schulpaket“ noch die Schulverwaltung, die Schulautonomie und den Ausbau der Ganztagsschule neu regeln.

2006 wurde der neoliberale Kurs im Bildungswesen, der durch Einsparungsmaßnahmen (Beispiel: Stundenkürzung in allen Schultypen und Schulstufen 2003 durch die Unterrichtsministerin Elisabeth Gehrer) und Privatisierungen (Beispiel Universitäten 2002, Personal nunmehr Vertragsbedienstete mit Kollektivertrag) von SPÖ-ÖVP-Koalition  bedauerlicher Weise fortgesetzt. Im Plan zur Schulreform, den die Industriellenvereinigung 2014 vorlegte („Beste Bildung für Österreichs Zukunft“), findet sich dementsprechend der Vorschlag zur Privatisierung des gesamten Schulsystems. Nur dort, wo sich für eine Schule kein privater Betreiber findet, sollte die öffentliche Hand als Schulerhalter eingreifen. Ein  wichtiger Grund für diese Privatisierung bestünde darin, dass damit die Lehrer (so wie die Universitätslehrer) ihren Beamtenstatus verlieren würden und dadurch im Staatshaushalt die Personalkosten für das Schulwesen nicht mehr aufscheinen würden. Die staatlichen Leistungen für das Schulsystem würden sich dann in den Förderung der privaten Schulträger erschöpfen („Pro Kopf“-Finanzierung). Einsparungen ließen sich dann wesentlich leichter durchführen.    

Diesem Denken ist auch die Veränderung in der Steuerung des gesamten Schulwesens zuzuschreiben: die „Output“-Orientierung der Kontrolle der Schülerleistungen und damit der Lehrerqualität. Dazu zählt Einführung der „Bildungsstandards“ für die 4. und  die 8. Schulstufe 2008 und die Einrichtung der „Zentralmatura“ („Standardisierte  kompetenzorientierte Reifeprüfung“), in Kraft ab dem Schuljahr 2014/15, welche von einet zentralen Prüfungskommission im Unterrichtsministerium geleitet wird. Die traditionelle Steuerung des Schulwesens durch die Lehrpläne,  die Lehrerbildung, welche die Professionalität zur eigenständigen und eigenverantwortlichen Gestaltung des Unterrichts zum Erreichen der Bildungsziele der Schule vermittelt, und die Schulaufsicht durch Schulinspektoren wird als unzureichend angesehen. Auch die Lehrplanreform der Oberstufenschulen (Modulare Gestaltung ab der 10. Schulstufe) dient diesem Zweck der Vereinheitlichung der  Schulen. Eine kreative individuelle Unterrichtsgestaltung wird dadurch sehr eingeschränkt, dass die Wiederholungsprüfungen in späterer Zeit auch bei anderen Lehrern abzulegen möglich sein muss.   

Leistungsdefizite des Schulsystems im internationalen Vergleich werden durch die PISA-Tests aufgewiesen. Die OECD führt diese Leistungsvergleiche  (Programme for International Student Assessment) in den Kompetenzen im Lesen, in der Mathematik und in den Naturwissenschaften bei den Fünfzehn- bis Sechzehnjährigen (Ende der Schulpflicht in den meisten Staaten) in dreijähriger Folge durch. 2015 nahmen 72 Staaten, darunter alle 35 Mitgliedstaaten der OECD teil.  In PISA 2015 erreichte Österreich Platz 26 und verschlechterte sich gegen PISA 2012. Im einzelnen: Lesen durchschnittlich 470 Punkte (Skalen-Maximum 600 Punkte) Platz 24; im Vergleich D 497, CH 513, CZ 479, SL 483 – Naturwissenschaften Österreich 494 Platz 31; D 520, CH 517, CZ 500, SL 512 – Mathematik  Österreich 496; D 513, CH 534, CZ 493, SL 501 Die Zahl der Risiko-Schüler (Lernziele in mindestens einem Lernbereich nicht oder nur teilweise erreicht) beträgt rd. ein Drittel der Schüler, davon 18 % in allen Lernbereichen.  Besonders die Leistungsdefizite im Lesen korrelieren positiv mit dem sozio-ökonomischen  Status des Elternhauses.                                  . 

Auch die laufende Entdemokratisierung der Schulverwaltung ist ein Zeichen neoliberalen Denkens. So wurden 2013 die Bezirksschulverwaltungen abgeschafft und damit auch das Kollegialorgan Bezirksschulrat (zusammengesetzt aus Fachleuten und Elternvertretern gemäß den Bezirkswahlergebnissen bei den Landtagswahlen). Geplant ist derzeit der Ersatz der Landesschulräte durch Bildungsdirektionen, wobei auch dabei das Kollegialorgan (zusammengesetzt nach den Ergebnissen der Landtagswahlen) als  Mitbestimmungsgremium verloren geht. Eine Expertengruppe zur Beratung des Bildungsdirektors ist dafür kein Ersatz.

Im Rahmen der wieder aufgegriffenen Idee einer größeren Schulautonomie (erstmals vereinbart im Regierungsprogramm der XX. Gesetzgebungsperiode 1994) sind ebenfalls Tendenzen zur Reduzierung der Mitbestimmung erkennbar. Die Stellung de Schulleiter soll gestärkt werden, insbesondere durch seine Mitwirkung bei der Auswahl (Anstellung und Entlassung) der Lehrer und der Disposition über die der Schule zugeteilten Geldmittel hinsichtlich der Anzahl der Klassen und der Gruppenbildung. Auch die Clusterbildung von Schulen (mehrere Schulen unter einer Leitung) zielt wohl auf Einsparungseffekte ab, wenngleich ein Schulverbund mehrerer wenig gegliederter Schulen auch die Unterrichtsqualität steigern könnte. Die Lehrergewerkschaften lehnen besonders die Aufgabe einer gesetzlichen Regelung der Klassengröße („Teilungsziffer“) vehement ab.

Die Abschaffung der Kategorie der „Landeslehrer“ („Pflichtschullehrer“ der Volks- und Mittelschulen, der Polytechnischen Schulen sowie der Berufsschulen) mit einem eigenen Dienstrecht erscheint allerdings dringlich. Die „Landeslehrer“ werden vom Staat („Bund“) nur indirekt über den Finanzausgleich nach einem vereinbarten Stellenplan finanziert und werden von den Bundesländern angestellt. Überschreitungen des Stellenplans sind jedoch üblich und führen zu erhöhten Kosten. Die Lehrer der Mittleren und der Höheren Schulen werden vom Staat direkt angestellt („Bundeslehrer“). Eine zentrale Verwaltung der gesamten  Lehreranstellung und Lehrerbesoldung durch eine Bundesbehörde erscheint aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung wichtig.

2.  Die Neue Mittelschule

Die Unterrichtsministerin Dr. Schmied wollte 2006 über eine Novellierung des Schulorganisationsgesetzes (SchOG) eine „Neue Mittelschule“ als gemeinsame Schule für  alle Zehn- bis Vierzehnjährigen einführen. Sie griff damit eine zentrale schulpolitische Forderung der Sozialdemokraten auf: die „Allgemeine Mittelschule“ als Gesamtschule auf der Sekundarstufe I des Schulsystems. Diese wurde bereits in der Ersten Republik 1920 aufgestellt und führte 1927 zu einem schulpolitischen Kompromiss. Neben der Unterstufe der traditionellen Mittelschulen (achtklassige, zur Matura führende schulgeldpflichtige Wahlschulen) mit den Typen Gymnasium, Realgymnasium, Realschule und Frauenoberschule wurde als Pflichtschule die Hauptschule als Gesamtschule mit zwei Klassenzügen zur Leistungsdifferenzierung eingeführt. Die Lehrpläne wurden im Interesse der Durchlässigkeit aufeinander abgestimmt. Diese Organisation des Schulsystems blieb auch in der Zweiten Republik zunächst erhalten. 1962 erhielten die Mittelschulen die Bezeichnung „Allgemeinbildende höherer Schulen (AHS)“, 1983 wurden in der Hauptschule an Stelle der Differenzierung durch die zwei Klassenzüge fachspezifisch zusammengesetzte Leistungsgruppen mit drei Leistungsniveaustufen in den Sprachen und in der Mathematik eingerichtet. Die höchste („erste“) Leistungsgruppe erreichte - durch die wissenschaftliche Evaluation bestätigt – das Leistungsniveau der AHS-Unterstufe. .Ein prüfungsfreier Übertritt in höhere Schulen war  bei positiver Beurteilung in der höchsten (“ersten“) Leistungsgruppe oder mit mindestens „Gut“ in der mittleren („zweiten“) Leistungsgruppe möglich.

Die UNESCO hat zum Zweck der internationalen Vergleichbarkeit der Schulorganisation der verschiedenen Staaten („International Standard Classification of Education“) eine Gliederung der Bildungssysteme eingeführt: Primarstufe (Level 1 ,Grundstufe, in Österreich die Schulstufen 1 – 4 der Volksschule), Sekundarstufe I (Level 2, Mittelstufe bis zum Ende der Schulpflicht, in Österreich die Schulstufen 5 bis 9), Sekundarstufe II (Level 3, Oberstufe, in Österreich die Schulstufen 9 -13), Postsekundäre Schulen zur Berufsbildung mit Diplomabschluss (Level 4 , in Österreich die Berufsbildenden höheren  Schule/BHS mit ihrem 5. Jahrgang und die Kollegs der Berufsbildenden höheren Schulen  und Tertiärstufe  (Level 5, Berufsbildung an den Hochschulen mit akademischem Abschluss).

Der Plan zur Einführung der Neuen Mittelschule (NMS) scheiterte 2007 am Widerstand der ÖVP als Koalitionspartner.  Es wurden nur Schulversuche in zahlenmäßig begrenztem Ausmaß (SchOG § 7a) zugelassen, welche durch eine wissenschaftliche Begleitung vergleichend evaluiert werden  sollten. Die Rahmenbedingung für die Versuchschulen war, Modelle der Differenzierung und Individualisierung des Unterrichts an Stelle der Leistungsgruppen der Hauptschule zu entwickeln.

2011 kam eine Vereinbarung der Unterrichtsministerin Dr. Schmied mit der ÖVP zustande: Einführung der Neuen Mittelschule an Stelle der Hauptschule und Anerkennung des Bestands der Unterstufe der AHS. Die Schulversuche und ihre Evaluierung wurden abgebrochen. 2012 erfolgte die entsprechende Novellierung des SchOG: Einführung der Neuen Mittelschule (§ 21a, b SchOG), Auslaufen der Hauptschule. Die Organisationsform der Neuen Mittelschule wurde vom Unterrichtsministerium ohne Berücksichtigung  der unterschiedlichen Schulversuchsmodelle in den Bundesländern festgelegt. Der Unterricht wird in leistungsheterogen zusammengesetzten Klassen geführt. In den Sprachen (Deutsch, Englisch) und in Mathematik kommen im Ausmaß von sechs Stunden Zweitlehrer ((AHS-Lehrer im Schulversuch, nun Kannbestimmung) zur besseren Individualisierung der Lernhilfe zum Einsatz. Als Maßnahme der Leistungsdifferenzierung werden die Schüler in de 3. und 4. Klasse (7. und 8. Schulstufe) in den Sprachen und in der Mathematik nach den Kriterien „Grundlegende Allgemeinbildung“ bzw. „Vertiefte Allgemeinbildung“ beurteilt. Im Vergleich: Die „Note „Sehr Gut“ in der „Grundlegenden Allgemeinbildung entspricht der Note „Befriedigend! in Bereich der „Vertieften Allgemeinbildung“. Mit der Beurteilung mindestens mit „Gut“ in der „Vertieften Allgemeinbildung“ ist der prüfungsfreie Übertritt in die höheren Schulen möglich. Diese Unterscheidung ist sowohl bei Grundstoffen als auch bei den Erweiterungsstoffen des Lehrplans zu  beachten.

Besonders in Wien trat Widerstand gegen das Organisationsmodell des Ministeriums auf.  Die Wiener Mittelschule der Schulversuche sah eine andere Form der Leistungsdifferenzierung vor. Nur die Kernstoffe des Lehrplans wurden gemeinsam erarbeitet. In einem Teil der Unterrichtszeit wurden Lerngruppen gebildet. Mit den leistungsstärkeren Schülern wurden die Erweiterungsstoffe des Lehrplans durchgenommen, mit den  leistungsschwächeren Schülern wurde im Kernstoffbereich geübt. Einige Wiener Mittelschulen werden weiterhin in dieser Organisationsform geführt.

Die Form der Leistungsdifferenzierung, besser Beurteilungsdifferenzierung in der NMS ist notwendigerweise intransparent und unpräzise. Darunter leidet die Motivation der Schüler. Erfolge werden nicht adäquat rückgemeldet, die individuelle Unterstützung im Misserfolgsfall ist schwierig. Die Konsequenz ist, dass die Zahl der Übertrittsberechtigten in die höheren Schulen im Vergleich zur Hauptschule angestiegen ist. Rückmeldungen besonders aus den Berufsbildenden höheren Schulen (BHS) weisen allerdings darauf hin, dass viele Schüler mit mangelhaften Kompetenzen übertreten wollen und daher negative Beurteilungen in de BHS anwachsen. Auch Mängel in der Arbeitshaltung wird oft hingewiesen Die endgültige Organisationsform der Neuen Mittelschule ist wohl noch nicht gefunden.

 Der § 7a des SchOG wurde verändert. Nun sind an den AHS Schulversuche mit der Neuen Mittelschule möglich. Damit wurde das Nebeneinander von Wahlschule (AHS) und der Pflichtschule (NMS) prolongiert, ein echter Fortschritt im Hinblick auf eine gemeinsame Schule aller Zehn- bis Vierzehnjährigen wurde nicht erreicht.

3. Die Reform der Lehrerbildung

In langer Tradition ist die österreichische Lehrerbildung zweigleisig. Die Lehrer der höheren Schulen werden  seit der Mitte des 19. Jahrhunderts an den Universitäten ausgebildet. Seit 1972 ist das Lehramtsstudium ein Diplom- (Master-) Studium in den wissenschaftlichen Grundlagen für je zwei wählbare Unterrichtsfächer. Die Lehrerbildung für die Pflichtschulen weist mehrer Entwicklungsschritte auf.  Sie erfolgte seit dem 19. Jahrhundert  für Volksschullehrer an Lehrerbildungsanstalten (Berufsbildenden Mittelschulen mit Matura-Abschluss). Hauptschullehrer qualifizierten sich  anschließend  im Selbststudium für drei Unterrichtsfächer. Im SchOG wurden 1962 die Pädagogischen Akademien zur Pflichtschullehrerausbildung als postsekundäre Schulen (Zugang  mit  Matura) eingerichtet.

Die im internationalen Vergleich dringliche Akademisierung der Pflichtschullehrerbildung führte 2005  zur Einrichtung der Pädagogischen Hochschulen  (Gesetz über die Organisation der Pädagogischen Hochschulen und ihrer Studien – Hochschulgesetz 2005). Ein echter Hochschulstatus wurde durch dieses Gesetz jedoch nicht erreicht. Es fehlte die hochschulgemäße Autonomie (Selbstbestimmungs- und Selbstverwaltungsgremium mit dem Recht zur Leiterwahl) und der Wissenschaftsstatus (Forschungsverpflichtung und Lehrfreiheit). Die Lehrpläne wurden vom Unterrichtsministerium verordnet, die Verwaltung entsprach der einer höheren Schule im Postsekundarbereich.

Auf Grund dieser Defizite erschien eine Weiterentwicklung in der Lehreraubildung notwendig. Nach der Nationalratswahl  2008 wurde daher im Koalitionsabkommen zwischen der SPÖ und der ÖVP für die XXIII. Gesetzgebungsperiode  die Einsetzung einer Expertengruppe mit dem Auftrag beschlossen, eine zwischen Pädagogischen Hochschulen und Universitäten abgestimmte und durchlässige  Struktur für die gesamte Lehrerausbildung auf tertiärer Stufe des Bildungssytems  zu erarbeiten. Sie sollte auch der seit 2000 für die Universitäten vorgegebenen „Bologna-Struktur“ der Studien (Bachelorstufe – Masterstufe – Doktoratsstufe) entsprechen. Der Entwurf einer „PädagogInnenausbildung Neu“ wurde in mehreren Schritten (Expertengruppe – Vorbereitungsgruppe – Entwicklungsrat) diskutiert.

Der Entwurf sah folgenden  Aufbau vor: 8 Semester Bachelorstudium – Praxisjahr – 2 bis 4 Semester Masterstudium, Graduierung zum Master of Education (M Ed). Im Bachelorstudium werden die pädagogischen, fachwissenschaftlichen und didaktischen Grundlagen der Lehrtätigkeit vermittelt. Dabei wird zwischen Primarstufe und Sekundarstufe unterschieden. Im Masterstudium für Sekundarstufenlehrer war eine Differenzierung zwischen dem Lehrer für die Sekundarstufe I (2 Semester) und Sekundarstufe II (4 Semester) vorgesehen. Die Ausbildung der Elementarstufenlehrer (Vorschulische Erziehung: Kindergarten) verblieb an der Bildungsanstalt für

Elementarpädagogik (fünfklassige berufsbildende höhere Schule mit Diplomprüfungsabschluss), bei einem anschließenden  Lehramtsstudium an  einer Pädagogischen Hochschule werden 2 Semester angerechnet. Die Primarstufenlehrer werden  an den Pädagogischen Hochschulen ausgebildet. Das Studium zum Sekundarstufenlehrer kann an Pädagogischen Hochschulen nur im Verbund mit einer Universität eingerichtet werden. Universitäten können alle Lehramtsstudien anbieten.

Bei der Erstellung der Regierungsvorlage lehnte die ÖVP die Differenzierung bei den Sekundarstufenlehrern ab. Unter Zeitdruck wegen des bevorstehenden Endes der XXIV. Gesetzgebungsperiode wurde die einheitliche Sekundarstufenlehrerbildung von der SPÖ akzeptiert. Diese Regelung entspricht auch dem SchOG, welches im Sekundarstufenbereich alle Schulen ab der 9. Schulstufe zusammenfasst: AHS, BHS, BMS, Berufsschule, Hauptschule/NMS, Polytechnische Schule. Eine Gliederung in Sekundarstufe I und Sekundarstufe II hat die  ÖVP stets abgelehnt, weil sie darin eine Bedrohung der Langform der AHS befürchtete. Dies ist zu bedauern, hat doch die Sekundarstufe I spezifische Aufgaben entsprechend der Alterstufe der Zehn- bis Vierzehnjährigen: Ausgliederung des Fächerkanons im Rahmen des Fachlehrerunterricht, Abschluss der Allgemeinbildung mit dem Ende der Schulpflicht. Eine Gesamtschule würde dazu auch demokratiepolitisch wichtige soziale Integrationsleistungen ermöglichen.

Das Lehramtsstudium besteht nun aus drei Abschnitten: 8 Semester Bachelorstudium – 2 Semester Induktionsphase (Schulpraktikum) – 2 bis 4 Semester Masterstudium  In der Induktionsphase übernimmt der Studierende den Unterricht in einer Ausbildungsschule mit der Unterstützung durch einen qualifizierten Mentor. Mit dem anschließenden Masterstudium, das auch berufsbegleitend möglich ist, wird die Lehrerausbildung abgeschlossen.

Dem neuen Lehramtsstudium entsprechend wurde 2016 das Lehrerdienstrecht verändert. Für die Aufnahme in den Schuldienst ist der Mastergrad (M Ed) sowohl für die „Landeslehrer“ (Volksschule, NMS, Polytechnische Schule, Berufsschule) als auch für „Bundeslehrer“ (AHS , BHS, BMS) erforderlich.  Die Lehrer in der NMS und der AHS-Unterstufe werden gleich besoldet (Grundbezug der Sekundarstufenlehrer). Sie gelten als Lehrer der Sekundarstufe I. Für den Unterricht in der Sekundarstufe II (AHS-Oberstufe, BHS, BMS) werden Zulagen gegeben. Die Anfangsgehälter werden angehoben, die Gehaltskurve wird abgeflacht. Das neue Dienstrecht tritt mit dem  Schuljahr 2017/2018 in Kraft.

In einer weiteren Novellierung des Dienstrechtsgesetzes wurde dem Hochschulanspruch der neuen Pädagogischen Hochschulen Rechnung getragen. Für die höchste Personalkategorie  ist nun die Habilitation (Erwerb der Lehrbefugnis) an einer Universität oder eine als gleichwertig vom Qualitätssicherungsrat anerkannte Leistung nach dem Erwerb des Doktorgrades notwendig. abilitation ist die Forschungskompetenz  nachzuweisen. Der neu geschaffene Qualitätssicherungsrat approbiert auch die  Curricula der Lehramtsstudien an den Pädagogischen Hochschulenochschulen. Die Universitäten sind bei der Erlassung der Curricula durch ihren Senat autonom. In manchen Fällen gestaltete sich die Kooperation von Pädagogischen Hochschulen und der Universitäten der  Region bei der Curriculumentwicklung  schwierig. So verweigerte beispielsweise die Universität Wien die Zusammenarbeit mit den Pädagogischen Hochschulen der Region. schwierig. Es besteht eine Tendenz, dass die Universitäten die gesamte Sekundarlehrerbildung an sich ziehen. Da dieser Abschluss die Lehrbefähigung auch für die höheren Schulen umfasst, wird wohl die Anstellung als „Bundeslehrer“ angestrebt werden. Dies könnte zu Lehrerengpässen in der NMS führen. Es ist außerdem zu befürchten, dass im Rahmen der neuen Sekundarlehrerbildung eine spezifische Ausbildung für die Mittelstufenschulen  nicht vorgesehen wird. Eine weitere diesbezügliche Reform der Lehrerbildung wird trotz des Widerstandes der ÖVP notwendig sein.

4. Aufbau von Kontrollsystemen

Es zählt zu den wesentlichen Aufgaben einer neoliberalen Bildungsökonomie, den Einsatz der finanziellen Mittel für das Bildungssystem zu kontrollieren. Dazu ist es notwendig, die Ergebnisse zu erfassen. Die Bildungsziele sind als Kompetenzen (Integration von Wissen, Können und Haltung) in den Unterrichtsgegenständen (Fächer) im Lehrplan definiert. Ihre Erreichung ist mit entsprechenden objektiven  Prüfungsinstrumenten (Tests) zu erfassen, die sich am Lehrplan orientieren. Dabei entsteht ein grundsätzliches Problem. Die österreichischen Lehrpläne sind in der Regel Maximallehrpläne. „Die Auswahl der Unterrichtsinhalte und Unterrichtsverfahren“ (Lehrplan der Neuen Mittelschule, ähnlich auch in anderen Lehrplänen) ist die Aufgabe des Lehrers. Da diese zentral vorbereiteten Prüfsysteme den ganzen Lehrplan

repräsentativ abbilden, entsteht die Tendenz, auch im Unterricht alle möglichen Unterrichtsinhalte zu behandeln („durchzunehmen“). Dies geht zu Lasten  schülerzentrierter und schüleraktivierender  Unterrichtsverfahren und macht den Schulerfolg in hohem Maß von außerschulischer Unterstützung des Lernens („Nachhilfe“) abhängig.

Trotz solcher Bedenken wird in einer Novellierung der SchUG (§ 17a) die Einführung von „Bildungsstandards“ angeordnet.  Sie sollen drei Funktionen erfüllen: Orientierung (geben vergleichende Rückmeldung),  Förderung (weisen individuelle Unterstützungsbedürfnisse auf) und Evaluation (lösen Systemveränderungen aus). Eine vierte wird nicht genannt: Sie informieren über die Lehrerqualität. Überprüfungen der Standards der Bildungsarbeit finden am Ende der vierten Schulstufe (Deutsch/Lesen und Mathematik) und der achten Schulstufe (Deutsch/Lesen, Englisch und Mathematik). Wäre die Aufdeckung individueller Leistungsmängel die wichtigste Funktion. so ist der Zeitpunkt schlecht gewählt, da die Zeit zur Förderung fehlt.

Außerdem hat die Auswahl der Prüfungsfächer einen unerwünschten Nebeneffekt: Dadurch werden „Hauptfächer“ bestimmt und die anderen Unterrichtsgegenstände zu „Nebenfächern“ degradiert. Das steht im Widerspruch zu den „Bildungs“-Standards. Die Formalfächer (Werkzeugfächer: Sprachen und Mathematik) vermitteln oder bearbeiten Informationen „über etwas“ bzw. berechnen „etwas“. Die Realfächer liefern die Grundlagen, die Inhalte des Lernens. Sie sollen die wesentlichen Dimensionen der gegenständlichen und gesellschaftlichen Welt aufschließen und müssen den Fortschritten in den Wissenschaften Rechnung tragen (Erweiterung des Fächerkanons (Geographie und Wirtschaftskunde, Geschichte und Politische Bildung, Biologie und Umweltkunde, Informatik, Berufsorientierung). Sie sind daher auch die Träger der meisten fächerübergreifenden „Unterichtsprinzipien“ (Gesundheitserziehung etc.). Die Realienfächer sind wie auch die musisch-künstlerischen Fächer in höherem Ausmaß von der Auswahlaufgabe de Lehrer betroffen als die systematisch aufbauenden Formalfächer. Diese lassen sich leichter hinsichtlich der Fortschritte im Lernen zentral lehrplanbezogen überprüfen. In den Sprachen kommt es in diesem Zusammenhang zu einem speziellen Problem.  Sie können selbst Gegenstand künstlerischer Gestaltung werden. Als Literatur werden die Sprachen zu „Realien“ und sind von der Auswahlnotwendigkeit betroffen.

Bei den Standardtests in Deutsch nach der 4. Schulstufe 2012 ergab sich u. a., dass 25 % der Schüler die Lernziele nur teilweise und fehlerhaft und 13 %  gar nicht erreichten. Ähnlich schlecht waren die Leistungen im Bereich Textproduktion: 34 % der Schüler erreichten die Lernziele nur teilweise, 25 % gar nicht. Etwas besser waren die Leistungen in Mathematik (letzter Test 2014): 12 % der Schüler erreichten die Lernziele nur mangelhaft (teilweise), 11 % gar nicht. Es wurden jeweils alle Schüler dieser Schulstufe einbezogen.

Ebenso wurden bei den Testungen am Ende  der 8  Schulstufe alle Schülerinnen und Schüler einbezogen(AHS und NMS/Hauptschule) einbezogen. Auch hier nur die Zahlen der wenig oder nicht erfolgreichen Schülerinnen und Schüler:  Mathematik 2012 26 % erreichten die Ziele nur teilweise, 7 % gar nicht. Englisch 2013: Lesen 53 % teilweise erfolgreich, 14 gar nicht; Schreiben 30% nur teilweise erfolgreich, 37 % gar nicht. Ein Kommentar zur Unterrichtsqualität erübrigt sich angesichts dieser Werte. Nur auf den deutlichen Zusammenhang zwischen  Schulerfolg und sozio-ökonomischen Status sei noch hingewiesen.

Besondere Aufmerksamkeit hat die Einführung der Zentralmatura (Standardisierte kompetenzorientierte Reifeprüfung) erfahren, nicht zuletzt wegen etlicher Einführungsschwierigkeiten. Ihre Einführung wird vom Bildungsministerium mit der Sicherung einheitlich vorbereiteter Studenten für das Universitätsstudium. Im Schuljahr 2014/2015 starteten die Allgemeinbildenden höheren Schulen (AHS), 2015/2016 folgten die Berufsbildenden höheren Schulen (BHS). Im Drei-Säulen-Modell der Reifeprüfung (Vorwissenschaftliche  Hausarbeit/Diplomarbeit -  Schriftliche Prüfung/Klausurarbeiten - Mündliche Prüfung) werden die Klausurarbeiten und die mündlichen Kompensationsprüfungen im Fall einer mit „Nicht genügend“ beurteilten Klausurarbeit zentral gestaltet. Die Leistungsbeurteilung  an Hand eines vorgegebenen Kriterienkatalogs wird den Lehrern überragen. Nur im Fach Deutsch gibt es eine einheitliche Aufgabenstellung in AHS und BHS, in der Mathematik und in den Fremdsprachen sind die Aufgabenstellungen des Typen gemäß variierend gestaltet.  Was angesichts der unterschiedlichen Wochenstundenzahlen beachtlich ist, dass die Leistungen in Deutsch bei den   Reifeprüfungen am Ende des Schuljahres 2015/2016  in AHS und BHS annähernd gleich ausgefallen sind (5,9 % bzw. 5,5 % negative Beurteilungen nach den Kompensationsprüfungen).  In den Fremdsprachen waren die durchschnittlichen Leistungen der AHS besser (5,5 % bzw. 11,0 % negative Beurteilungen), in Mathematik lagen die BHS leistungsmäßig voran (21 % bzw. 13.0%). In Deutsch ist nur die Sprachkompetenz in verschiedenen Textsorten Prüfungsgegenstand. Die Literaturpflege wird dadurch zweitrangig, wodurch ein wesentliches Bildungsziel des Muttersprachenunterrichts verloren zu gehen droht.

Im Bereich der AHS bestehen deutliche Leistungsunterschiede zwischen der Langform  der Gymnasien und Realgymnasien und der Kurzform des Oberstufenrealgymnasiums. D as kann mit der unterschiedlichen  Dauer der Maturavorbereitung (8  bzw. 4 Jahre) erklärt werden. Das Oberstufenrealgymnasium erfüllt im österreichischen Schulsystem eine wichtige Funktion. Es ermöglicht die Entscheidung für die Reifeprüfung nach der Schulpflicht neben der BHS und stellt damit eine wesentliche Komponente der Verbesserung der Bildungschancen dar.   

 Leider wird die Bedeutung der Reifeprüfung  durch die Einführung von Zugangs- und Aufnahmeprüfungen der Universitäten für zahlreiche Studien reduziert. Dies könnte der Diskussion über die Abschaffung der Reifeprüfung, die seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts immer wieder geführt wird, neuen Auftrieb geben. Kritisiert wird der doppelte Abschluss der höheren Schulen: Positiver Abschluss der letzten Schulstufe und aufwändige Reifeprüfung. Betrachtet man die verschiedenen Gründe, die für die Maturaprüfung angeführt werden, so ist – wie schon der Grazer Universitätsprofessor für Pädagogik Eduard Martinak im Jahr 1901 feststellte - nur einer stichhältig: die Kontrolle der Lehrer. Dies passt allerdings zu den Tendenzen der neoliberalen Bildungspolitik.    

5. Perspektiven

Die bereits angeführten schlechten Ergebnisse im PISA-Test 2016 haben die bildungspolitische Diskussion angeregt. Die schlechten Leistungen besonders im Lesen  drängen zu einer Reform der Grundschule (vgl. Nationaler Bildungsbericht 2016). Das Klassenlehrersystem wird als eine der Ursachen angesehen, dass es zu Mängeln in der Unterstützung der Schüler mit Lernschwächen kommt. Der Klassenlehrer konzentriert sich auf die Förderung der vermeintlich und tatsächlich begabten Kinder, um sie auf den Übertritt in die AHS vorzubereiten. Eine Reform der Grundschule, die laut  § 9 SchOG „eine für alle Schüler gemeinsame Elementarbildung“ zu vermitteln hat, wird daher nur gelingen, wenn man sie von der Selektionsaufgabe entlastet. Dies ist nur durch die Einführung einer Gesamtschule im Bereich der Sekundarstufe I möglich.

Diese Problemlösung will man offenbar nicht wahrnehmen. Das Wort „Gesamtschule“  spricht von den Koalitionsparteien niemand mehr aus, es ist zum „Unwort“ der Bildungspolitik geworden. Nur mehr die Grünen fordern mit Nachdruck ihre Einführung. Die Schulversuche mit einer Gesamtschule für die Sechs- bis Vierzehnjährigen in Versuchsregionen, die im Koalitionsabkommen für  die laufende XXV. Gesetzgebungsperiode vorgesehen sind, werden in dieser Zeit bis 2018 wohl nicht mehr kommen. Da diese Schulversuche auch evaluiert werden sollen, könnten bildungspolitische Entscheidungen erst 2025 erfolgen.

Die bereits einleitend erwähnte Schulautonomie-Kampagne erscheint in diesem Zusammenhang als schulpolitisches Ablenkungsmanöver. Die Unterrichtsministerin Dr. Hammerschmid hat in einer Stellungnahme im ORF zur Autonomie mit großem Nachdruck auf die damit gegebene Freiheit und Eigenverantwortung der Lehrer als Gestalter individueller pädagogischer Prozesse hingewiesen. Auf den Widerspruch der individuellen Unterrichtsgestaltung und der  schulischen Schwerpunktsetzung zu dem Auf- und Ausbau zentraler Prüfsysteme ist sie nicht eingegangen. Als Erfolg im Hinblick auf eine bildungschancengerechte Schule ist anzumerken, dass es ihr gelungen ist, für den Ausbau der Ganztagsschulen beträchtliche Beträge aus der Abschlagszahlung der Banken für die Aufbebung der Bankensteuer zu sichern.

Der Rückblick auf zehn Jahre Bildungspolitik fällt ernüchternd  aus. Im Hinblick auf sozialdemokratische Vorstellungen eines Schulsystems der Bildungschancengerechtigkeit wurden keine Fortschritte gemacht. Die Allgemeine Mittelschule als Ziel wurde nicht erreicht, einen Mittelstufenlehrer konnte die ÖVP bei der Reform der Lehrerbildung verhindern. Die Schulautonomie geht zu Lasten der Mitbestimmung, die Kollegialorgane zur Schulverwaltung auf Bezirks- und  Landesebene beseitigt: Die Entdemokratisierung im Bildungswesen schreitet voran. Die Bildungspolitik ist offensichtlich für die SPÖ zweitrangig geworden.