Modellregionen und die verfahrene Schulsituation im großstädtischen Bereich


Niki Glattauer hat (wieder einmal) einen originellen Zugang zu einem komplexen Bildungsthema  gefunden (siehe Kurier, 25.6.2017 „Senf in Schulnoten“) und bewertet die einzelnen Kapitel des „Bildungsreformgesetzes 2017“mit Schulnoten. Autonomielösung: Sehr gut. Clusterlösung: Gut. Bildungsdirektionen: Befriedigend. Modellregionen: Genügend.

Nun kann man was die Einrichtung von Modellregionen betrifft auch anderer Meinung sein und einen Durchbruch in Richtung eines echten Gesamtschulkonzeptes unter Einbeziehung von Gymnasialstandorten sehen (siehe Helmut Seel in seinem Beitrag „Da ist uns doch etwas in den Schoß gefallen“).

Zustimmen muss man Glattauer aber jedenfalls, wenn man den großstädtischen Bereich in den Fokus der Betrachtung rückt.  Es ist schon bemerkenswert, wie die Bildungspolitik die Probleme in diesem Bereich seit Jahren schlicht und einfach negiert, obwohl nun auch in einer breiteren Öffentlichkeit – spät aber doch – die unhaltbare Situation in den sogenannten Brennpunktschulen diskutiert wird (siehe zuletzt Falter 26/17 „Fünf Lehrer erzählen“).  

Die gesetzliche Regelung zur Einrichtung  von  Modellregionen ist im Grunde genommen eine Art Lex Vorarlberg. Dort haben die Grünen und eine Teil der Landes-ÖVP erkannt, dass sich mit einem Gesamtschulmodell im ländlichen und mittel-städtischen Bereich eine unvernünftig frühe Schulwahlentscheidung und lange Anfahrtswege zum nächsten Gymnasium vermeiden lassen und gleichzeitig die Chance auf den späteren Besuch einer Oberstufenform gewahrt bleibt. Die sozialdemokratische Bildungspolitik hat bis zuletzt nicht erkannt oder nicht zu nutzen gewusst, dass die Gesamtschulidee in ländlichen Raum die klarsten Argumente für sich hat, weil dort der Zugang zum Gymnasium aus räumlichen Gründen behindert ist und damit ganz konkret Chancenungleichheit entsteht.  

Im großstädtischen Bereich, wo das Verhältnis von Hauptschulen / Neuen Mittelschulen und Gymnasien längst gekippt ist und an einzelnen Standorten katastrophale Verhältnisse herrschen, ist eine Gesamtschullösung hingegen in weite Ferne gerückt, weil weder eine „Umverteilung“ von Schülern und noch weniger eine „Umsiedlungspolitik“ eine realistische Annahme darstellen. Spätestens in den frühen 80er-Jahren – mit Abschluss der Schulversuchsphase - wäre eine rasche Systemumstellung vielleicht noch möglich gewesen, aber seither ist das Schulwesen buchstäblich aus den Angeln geraten und niemand kann ernsthaft erwarten, dass man (wieder einmal) mit einem Wechsel der Türschilder die Eltern davon überzeugen kann, dass eine sinnvolle Alternative zum Gymnasium bzw. zu Privatschulangeboten besteht. Wenn lt. Statistik 2013/14 in Wien  48,3, % der Schüler auf der 5. Schulstufe die Unterstufe einer AHS besuchen, dann kann sich jeder halbwegs interessierte Bürger ausrechnen, was das für die 42% der Hauptschulen / Neuen Mittelschulen bedeutet. Durch die jahrzentlange Blockade von strukturellen Reformen hat sich die Schulentwicklung in einem Ausmaß verselbständigt, das die gesetzlich geregelten Schularten nahezu als eine Art von Irreführung erscheinen lässt. An Schulen, wo die dominierenden Faktoren durch soziale Deklassierung und unbewältigte Migration bestimmt werden, kann nur durch massive Investitionen (Lehrpersonal – externe Beratung und Unterstützung – gezieltes Qualitätsmanagement) und vielfältige Kooperationen in Schulverbänden eine Lösung gefunden werden.  Einmal-Investitionen für Krisenstandorte – wie von Ministerin Hammerschmid angekündigt – werden da nicht reichen.

Der Problemsituation wird man weder durch Bildungsgrätzln, noch durch ein paar zusätzliche Ganztagsschulen Herr werden können. Für ein Sanierungsprogramm wird man richtig viel Geld in die Hand nehmen müssen und darüber hinaus sind echte Schulkooperationen (auch angeordnete) zwischen Neuen Mittelschulen und AHS-Unterstufen unerlässlich. Das herrschende Konkurrenzsystem, bei dem die einen nur Gewinnen und die anderen nur verlieren können, macht keinen Sinn, weil die Abstimmung mit Füßen längst entschieden ist. Nochmals: Im großstädtischen Bereichen geht es weder um eine abstrakte Gesamtschuldiskussion noch um eine Beschönigungs- und Behübschungspolitik, sondern um gezielte und aufwendige Sanierungspolitik, die Schulstandorte wieder attraktiver macht und schrittweise die sinnlose Parallelführung von Schularten abbaut. Es ist wohl schwer zu erklären, wieso sich eine hochrangig besetzte Bildungsreformkommission, die 2015 mit viel Getöse eingerichtet wurde, zu diesen dringenden Fragen weder geäußert noch Konzepte vorgelegt hat.

K.S.