Das Schulreformpaket der Regierung: Anstoß zu einem Musterwechsel?


1. Die pädagogische Bilanz der Schulreform in den 1960er Jahren

Die Mängel und Defizite, die im Gefolge der Bildungsexplosion gegen Ende der sechziger Jahre aufgezeigt wurden, verursachten eine gewisse schulreformerische Dynamik, die bis in die Mitte der siebziger Jahre anhielt, als das  Schulunterrichtsgesetz 1974 den innerschulischen Betrieb demokratisierte und Mitwirkungs-und Mitgestaltungsmöglichkeiten aller am Schulleben beteiligten Gruppen festlegte. Trotz der Hindernisse und Barrieren, die dann seit den 1980er Jahren den schulreformerischen Schwung gebremst haben, darf auch aus dem österreichischen Blickwinkel bei allen Unkenrufen im Großen und Ganzen einer Bilanz zugestimmt werden, die Klaus Klemm für die deutsche Bildungslandschaft zieht: die Schulreform habe mehr erreicht, als kleingläubige oder im mühsamen Alltagstrott sich verbrauchende Reformer glaubten.

2. Ergebnisse der PISA-Studie

Die durchwachsenen Ergebnisse der PISA-Studie zeigen allerdings mit großer Deutlichkeit und schöner Regelmäßigkeit messbare Defizite auf, die trotz der erfolgreichen Schulreformen während des vergangenen Jahrhunderts übrig geblieben sind:

• Unser Schulsystem produziert rund ein Viertel notorischer Verlierer, die unter jeder Qualifikationshürde durchschlüpfen.

• Die schichtspezifische Abhängigkeit der Bildungskarrieren unserer Schülerinnen und Schüler weist auf das Problem hin, dass wir zu

früh sortieren und damit volkswirtschaftliche Ressourcen vergeuden und persönliche Lebenschancen verschütten.

• Zahlreiche Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund kommen aus ihrer Ghettostellung nicht wirklich heraus.

• Die geringe Freude am Unterricht, welche die durchaus seriös gemachte PISA-Studie unseren Schülern attestiert, verringert Involvement und Lernmotivation.

• Die signifikanten Unterschiede zwischen Mädchen und Buben in allen drei getesteten Domänen weisen auf ein ernsthaftes Genderproblem hin, das nach einer geschlechtersensiblen Pädagogik verlangt.

• Aufmerksamkeit erfordern schließlich auch die unverändert schlechten Leseergebnisse, die Leseforscher unverblümt als ein Armutszeugnis für die Kulturnation Österreich bezeichnen.

3. Das Schulreformpaket der Regierung

Diese nach ministerieller Lesart unakzeptablen Ergebnisse der jüngsten PISA-Studie tragen zu einem Schulreformpaket bei, das allerdings die Gretchenfrage des österreichischen Schulsystems nach der Gesamtschule praktisch ausklammert, zumal die halbherzige Einrichtung diffuser Modellregionen bestenfalls eine Beruhigungspille darstellt. Der katholische Querdenker Rupert Vierlinger tröstet aber alle, die auf eine flächendeckende Einführung der Gesamtschule gehofft haben, mit seinem Statement, die Verteidigung einer elitären Sortiermaschine durch bislang privilegierte Schichten sei ohnehin ein Nachhutgefecht.

Die Schwerpunkte des angestrebten Schulreformpakets haben dennoch durchaus das Zeug für einen bildungspolitischen Musterwechsel, wenn die Reform nicht auf halbem Weg steckenbleibt oder zu einer Schmalspurvariante verkommt:

4. Ein Appell als Resümee

Um das Autonomiepaket trotz des anhaltenden gewerkschaftlichen Widerstands möglichst ohne Abstriche zu realisieren, sollte die Regierung viele Bundesgenossen sammeln:

In erster Linie ist es notwendig, zahlreiche Lehrerinnen und Lehrer aller Schulformen zu Weggefährten der schulreformatorischen Bemühungen zu machen, die selbstkritisch denken und verantwortlich und eigenständig handeln können.

Zu den wichtigen Partnern einer konzertierten Schulreform gehören neben den Lehrern die Eltern und Schüler, deren vermehrte Einbeziehung unschätzbare Vorteile hat, wenngleich sich manche Elternvereine als Reformbremse erweisen.

Zu diesen neuen Komplizen könnte aber auch einmal die Wirtschaft zählen. Klaus Jürgen Tillmann formuliert in diesem Zusammenhang provokant, es gebe offenbar ein Kapitalinteresse am Projektunterricht, und anstelle eingerosteter Glaubenskämpfe gibt es neue Dialogangebote und veränderte Interessenskonstellationen.

Zu den Befürwortern einer umfassenden Schulreform darf man aber auch die Kommunen rechnen, die ein nachvollziehbares Interesse daran haben müssen, pädagogisch intakte und bildungsökonomisch vertretbare Schulen zu unterhalten.

Trotz der einleitend angeführten Reformbewegungen des vorigen Jahrhunderts sind wir noch immer mit zahlreichen schulischen Reibungspunkten und Defiziten konfrontiert. Das lange diskutierte Autonomiepaket sollte jedoch effektivere Unterrichtsmethoden ermöglichen und ein ertragreicheres Zusammenleben erleichtern, damit unsere Schulen mit den gestiegenen Anforderungen der Gesellschaft und des Arbeitsmarktes erfolgreich umgehen können.

Robert Hinteregger