Bildungspolitik in der Krise


Die Präsentation  der Absichten im Bildungswesen durch die zukünftigen Koalitionspartner hat bereits massive und differenzierte Kritik erfahren. Leider gibt es noch keine Stellungsnahme der SPÖ. Man kann dieses Elaborat auch unter dem Aspekt des Weisheitsspruches „Die FPÖVP-Berge haben gekreißt und ein Bildungs-Mäuschen wurde geboren“ sehen. Der große Wurf ist nicht gelungen. Vielmehr wird das Versagen prolongiert im Hinblick auf die Bildungsdefizite bei einem Drittel der Pflichtschabsolventen im Lesen und in der Mathematik. Dies hätte eine umfassende Organisationsreform im Bereich der Primarstufe und der Sekundarstufe I des Schulsystem gefordert, ein Zweilehrersystem für die Schulstufen drei und vier und die eine gemeinsame Schule für die Stufen fünf bis neun mit entsprechender Leistungsdifferenzierung zur  Vorbereitung auf die verschiedenen Oberstufenbildungsgänge.

Vielmehr drängt sich ein anderes Bild auf: Verschiedene Hühner hacken unter der Aufsicht von einem türkisen und einem blauen Gockel an dem Systembrocken Schule herum und picken da und dort ein höchst fragwürdiges Bröckchen heraus: die Wiedereinführung der Ziffernnoten in der Volksschule, die leistungsbezogene Lehrerbesoldung, die Lehrerleistungsbeurteilung durch die Schüler, das Nachsitzen nach der neunten Schulstufe für Leseschwache und Rechennieten, der Missbrauch des Schulautonomie-Gedankens zur Schülerauslese nach der vierten Schulstufe durch die allgemeinbildenden höheren Schulen (AHS) mit gleichzeitiger Entwertung der Schulnoten der vierten Schulstufe hinsichtlich der Übertrittsberechtigung in die AHS.

 Das Bild lässt sich durch einen anderen Weisheitsspruch ergänzen: „Manchmal findet auch ein blindes FPÖVP-Bildungsexperten-Huhn ein Korn“. Eines davon ist die Verlegung der Leistungsstandarderhebungen von der vierten zur dritten sowie von der achten zur siebenten Schulstufe. Die Überprüfung am Ende der vierten  oder achten Schulstufe kann nur zur Lehrerkontrolle dienen, die Erhebung am Ende der dritten bzw. siebenten Schulstufe kann auch den Schülern nützen, da noch ein Schuljahr zur Reduzierung von Leistungsmängeln vor den jeweiligen Übertritten verfügbar wäre.

Ein solches Körnlein  ist auch die Einführung der fünfstufigen Notenskala in der Neuen Mittelschule (NMS). Dies mag überraschen. Man muss  aber an die Folgen denken: Die Maßnahme wird eine Abschaffung der bisherigen Differenzierung zwischen grundlegender und vertiefter Allgemeinbildung führen. Diese ist im leistungsheterogenen Klassenverband noch weniger genau und gerecht als eine Ziffernbenotung. Unterstützt werden müsste die Ziffernbeurteilung allerdings durch Maßnahmen der äußeren Leistungsdifferenzierung.

 Andererseits wird die Problematik der Notengebung gerade bei der NMS erkennbar. Schulnoten sind – auch wenn sie innerhalb einer Klasse gerecht erscheinen - immer relativ. Dies ist durch viele wissenschaftliche Untersuchungen bewiesen.  Im Hinblick auf den jeweiligen Standort der NMS entstehen geradezu zwei verschiedene Schultypen: die NMS im ländlichen Raum und die NMS im großstädtischen Bereich. Beide haben aber den gleichen Lehrplan und dieselben Bildungsaufgaben: Vermittlung einer  grundlegenden Allgemeinbildung, Vorbereitung zum Übertritt in Oberstufenrealgymnasien und in berufsbildende mittlere und höhere Schulen, Inklusion der behinderten Kinder, Integration der Migrantenkinder aus fremden Kultur- und Sprachräumen. Kann es in den NMS in der Großstadt nur „Genügend“ und „Nicht genügend“  geben, wenn man sie mit der NMS im ländlichen Raum vergleicht` ?  Die Inklusion und die Integration setzen gesellschaftlich repräsentative zusammengesetzte Klassen voraus.

Wichtig erscheint die Selektionsfunktion der NMS. Die Befähigten zu erkennen und zu fördern ist eine Aufgabe, die entsprechende Strukturen erfordert. Die weiterführenden Oberstufenschulen erwarten sich  leistungsmotivierte Schüler mit hinreichenden Kompetenzen in den Sprachen und in Mathematik. Derzeit ist  die Situation alles andere als zufriedenstellend.

Man könnte bei dieser Gelegenheit übrigens auch den Namen  der NMS in „Mittelschule“. ändern. Das Attribut  „Neu“ lässt unterschiedliche Interpretationen zu: „Neu“ im Vergleich mit der „alten“ Hauptschule (so ist er entstanden) oder „Neu“ im Vergleich mit den alten Mittelschulen (wie die höheren Schulen bis 1962 hießen).

H.S.