Deutschförderklassen – Ergebnis eines Systemversagens!


Über Statistiken lässt sich trefflich streiten! Die von Minister Faßmann präsentierten Daten über die Ergebnisse in Deutschförderklassen besagen aus seiner Sicht:  "Die Deutschförderklassen funktionieren. Mehr als 80 Prozent der Kinder konnten nach einem Jahr in die Regelklasse wechseln!“ (Der Standard, 13.10.2020). Ganz anders sieht das der Logopäde Ali Dönmetz (Der Standard, 12.10.2020): “Die Statistik, wonach österreichweit 32,2 Prozent der Kinder aus Deutschförderklassen den Wechsel in die Regelklasse geschafft haben, bedeutet im Umkehrschluss, dass sieben von zehn Kindern den Wechsel vom außerordentlichen in den ordentlichen Status nicht geschafft haben.“ Ein Blick in die Statistik legt die Ursache des Dissenses offen. Beide Herren  verschweigen, dass 52 % der Kurs-absolventen zwar (noch) nicht ausreichend Deutsch können, aber immerhin so viel, dass sie als außerordentliche  Schüler in die Regelklasse aufgenommen werden und dort ergänzenden Deutschunterricht erhalten. Der Status des „außerordentlichen Schülers“ bedeutet allerdings, dass damit ein Jahr der Schulpflicht verloren geht und in vielen Fällen kein regulärer Schulpflichtabschluss erreichbar sein wird. Das ist für den künftigen Bildungs- und Berufsweg eine Katastrophe, auf die beim erbitterten und durchaus untergriffiger Kampf um die Deutungshoheit bei den Deutschförderklassen zu wenig hingewiesen wird. Es wäre hoch an der Zeit, wenn sich bei den Verantwortlichen, allen voran beim Minister, die Erkenntnis durchsetzen würde, dass die Probleme der mangelnden Deutschkenntnisse bei Schulanfängern ohnehin nicht durch Testverfahren und  Schnellsiederkurse – seien sie nun integrativ im Klassenverband oder extern außerhalb des Klassenverbandes organisiert –ernsthaft lösbar sind.

Ein erfolgreicher Schuleintritt und der Erwerb grundlegender Kulturtechniken im Sprechen, Schreiben und Lesen ist notwendiger Weise im größeren Zusammenhang der Elementarbildung (Stichwort: verpflichtendes Kindergartenjahr), der vorschulischen Förderung in Vorschulklassen- und -gruppen sowie der pädagogischen Arbeit in den ersten beiden Schulstufen zu sehen. Mit anderen Worten: Wo mangelt es im Kindergarten und im Vorschulbereich beim grundlegenden Erwerb der Unterrichtssprache? Deutschförderklassen sind lediglich eine Symptomkorrektur und verdecken ein Systemproblem! Denken Sie systemisch, Herr Minister!

Man sollte sich vor Augen führen, dass für das Erreichen der grundlegenden Ziele der Grundschule bis zum Ende der 2. Schulstufe insgesamt zumindest 3 - 4 Jahre zur Verfügung stehen (das verpflichtende Kindergartenjahr, die Vorschulstufe, die 1. und 2. Schulstufe). Auch wenn zu berücksichtigen ist, dass die Kinder dieser Altersgruppe extrem unterschiedliche Lernerfahrungen mitbringen, so wäre es doch eine Bankrotterklärung unseres kostenintensiven Bildungswesens, wenn es diese Aufgabe nicht bewältigen könnte. Dazu müsste man aber endlich institutionell übergreifend denken, die vorhandenen Bildungspläne für die Kindergärten (um die Bund und Länder jahrelang gerungen haben) ernst nehmen und damit aufhören, lediglich punktuell am bestehenden System herumzudoktern.

Zweifellos war bereits die Art der Einführung der Deutschförderklassen im Jahr 2018, also zu Beginn der türkis-blauen Koalition, ein Sündenfall. Unter Rot-Schwarz war in mühsamen politischen Verhandlungen von Ministerin Hammerschmid ein Konzept ausgearbeitet worden, das integrativ geführte Sprachförderkurse oder in geblockter Form geführte Sprachstartgruppen vorsah und die Entscheidung über die jeweilige Organisationsform den regionalen Schulbehörden überließ. Gleichzeitig wurde eine Neuordnung des Schuleingangsbereiches vorgenommen, wobei Fragen der Leistungsbeurteilung und der getrennten oder schulstufenübergreifenden Führung von Schulklassen schulautonom und  schulpartnerschaftlich entschieden werden konnten. In den Erläuterungen zum damaligen Schulrechtsänderungsgesetz 2016 (bei dem die ÖVP mitverhandelte!) war vom Ziel einer Neuordnung des Schuleingangsbereiches die Rede. “Es soll der Übergang vom Kindergarten in die Volksschule unter Nutzung der im Kindergarten erhobenen Informationen über die Entwicklungssituation der Kinder, insbesondere deren für den Schulbesuch erforderlichen Sprachkenntnisse, kindgerechter und effizienter gestaltet werden.“

Die türkis-blaue Koalition agierte 2018 in diesen Fragen  wie der Elefant im Porzellanladen. Die flexiblen und autonomen  Regelungen wurden weitgehend gestrichen und stattdessen ein unflexibles System von Deutschförderklassen eingerichtet, dass keine Berücksichtigung von spezifischen Standortbedingungen ermöglicht. Das hat zur Folge, dass nun seit Jahren über die Vor- und Nachteile von extern geführten Klassen oder in den Klassenverband integrierten Lerngruppen gestritten wird, deren Sinnhaftigkeit weder von den Eltern noch von der Öffentlichkeit nachvollzogen werden kann.

Minister Faßmann ist zu fragen, was er über die Vorkenntnisse jener Schülerinnen und Schüler weiß, die vom Kindergarten in die Volksschule übertreten und ob es den Grundschulen möglich ist, auf diesen Vorkenntnissen sinnvoll aufzubauen. Mehrere der ÖVP zuzurechnende Familienministerinnen haben sich schließlich um Bildungspläne für den elementarpädagogischen Bereich bemüht. Wo sind die Ergebnisse dieser Bemühungen? Was wissen wir über die Sprachförderung im Kindergarten?  Und selbstverständlich ist auch  zu fragen, wie gut es den Grundschulen gelingt, auf diesen Ergebnissen aufzubauen und ob es gelingt, für den Schuleingangsbereich ein adäquates pädagogisches Konzept aufzubauen, das die vor Ort gegebenen räumlichen, personellen und finanziellen Möglichkeiten bestmöglich zu nutzen vermag. Außer Streit steht, dass es dafür ein Plus an Schulautonomie geben muss und die Wirksamkeit der Sprachfördermaßnahmen und die Effizienz des Ressourceneinsatzes eines laufenden Monitorings bedürfen. Es sollte doch möglich sein, dass in unserem finanziell aufwendigen Bildungssystem ein institutionenübergreifendes Bildungsprogramm verwirklicht wird, das auf überprüfbaren Qualitätsstandards aufbaut und sich vom Kindergarten über  Vorschulklassen und Vorschulgruppen bis zu den ersten beiden Schulstufen erstreckt. Das Regierungsprogramm sieht immerhin die Einrichtung eines Beirates für Elementarpädagogik vor, den Minister Faßmann endlich zu Anfang 2020 eingerichtet hat. Der Beirat soll “österreichweite Zusammenarbeit fördern und einheitliche Qualitätsstandards erarbeiten.” Von Ergebnissen hört man allerding wenig bis nichts, vor allem aber bleibt bislang die Frage des Gesamtkonzeptes, der institutionellen Kooperation und eines Qualitätsmanagements offen. Wie heißt es so schön im Regierungsprogramm: „Außerdem soll ein neuer, einheitlicher und verbindlicher Bildungs- und Betreuungsrahmenplan für alle elementaren Bildungseinrichtungen erarbeitet werden.” Sollte der nicht schon längst vorliegen? Und an anderer Stelle des Papieres heißt es: „Die Bundesregierung hat eine positive Sicht auf die Konzepte der flexiblen Schuleingangsphase sowie der Mehrstufenklassen und unterstützt die Umsetzung im Rahmen der Schulautonomie.“ Davon ist nichts zu bemerken!

Da wäre also noch viel zu tun für den Minister und seine Mitarbeiter! Fragwürdige Erfolgsmeldungen über Deutschförderklassen können jedenfalls nicht verschleiern, dass hier ein Systemversagen vorliegt!

K.S.