Eine Lehrplanreform – von harmlos keine Spur!


Die Erfahrung lehrt, dass kaum ein Bildungsminister der Versuchung widerstehen kann, an den Lehrplänen herumzufuhrwerken, sind sie doch einer der wenigen Kompetenzbereiche, wo der Minister als Verordnungsgeber unmittelbar zuständig ist. Das ist bei Minister Faßmann nicht anders, auch er kündigt schon seit gut eineinhalb Jahren eine Lehrplanreform an. Dann kam allerdings die Corona-Krise dazwischen und er hatte wahrlich andere Sorgen. Nun aber macht Faßmann wieder ernst mit der Lehrplanreform, auch wenn die schulischen Corona-Probleme gezeigt haben, dass es am wenigsten an den Lehrplänen lag, wenn die Schulen im Chaos der technischen, organisatorischen und strukturellen Probleme versanken. Allerdings muss der Minister ja auch das Regierungsprogramm erfüllen und dort heißt es: „Lehrpläne modernisieren: Ausarbeitung und flächendeckende Einführung von neuen, kompakt und konkret gehaltenen Lehrplänen in der Primar- und Sekundarstufe. … Fokussierung der neuen Lehrpläne auf Kompetenzvermittlung und klare Unterrichtsziele.“

Vielleicht hätte die grünen Verhandler stutzig machen müssen, dass es schon im Regierungsprogramm 2017 der türkis-blauen Koalition hieß: „Überarbeitung und Präzisierung aller Lehrpläne, der darin enthaltenen Inhalte, Ziele und Grundsätze des Unterrichts – Notenwahrheit wiederherstellen − Definition der Ziele und Kernkompetenzen, die Schulen vermitteln müssen.“ Und dort wurde auch vollends Klartext gesprochen mit folgendem bemerkenswerten Satz: “Werden die Inhalte der Lehrpläne, Anforderungen an das Personal oder Grundsätze der bestehenden Werte- und Gesellschaftsordnung bzw. die Grundsätze der Verfassung missachtet, sind Sanktionen zu setzen.“

Von all dem ist  allerdings in der kürzlich erfolgten Ankündigung einer Lehrplanreform (siehe Presse vom 19.5.2021) kaum die Rede. Da wird lediglich darauf hingewiesen, dass einige Gegenstandsbezeichnungen geändert werden sollen (z. B. Musik statt Musikerziehung). Und dafür brauche man eine Novellierung des Schulorganisationgesetzes! Die vollständige Wahrheit ist allerdings eine ganz andere. Im Begutachtungsentwurf heißt es, an allen mittleren und höheren Schulen müssen, an allen anderen Schulen können die Lehrpläne kumulativ oder alternativ Kompetenzen, Kompetenzmodelle und Kompetenzmodule enthalten. Da der Minister selbst der Verordnungsgeber ist, kann er das  „können“ de facto in ein „müssen“ umwandeln, wenn der Herr Minister nur will. Und das bedeutet dann grünes Licht für eine umfassende Umstellung der Lehrpläne in Richtung Kompetenzkataloge. Dass das der Minister auch tatsächlich vorhat, zeigt sich auch daran, dass im Gesetz der Kompetenzbegriff eigens definiert werde soll. Dafür werden Formulierungen des anerkannten, 2001 verstorbenen  Psychologen Franz Emanuel Weinert bemüht, von denen er aber später selbst nicht mehr überzeugt war. Aus guten Gründen ist es aber außerordentlich ungewöhnlich, wissenschaftliche Definitionen in ein Gesetz aufzunehmen, denn diese spiegeln bestenfalls den jeweiligen Stand der Wissenschaft wider, und der kann sich immer wieder ändern.  Aber Minister Faßmann hat ohnehin  den Zug längst abfahren lassen und die bereits eingerichteten Lehrplanarbeitsgruppen strikt auf einen Kompetenz-Kurs festgelegt, wie die ausgeteilten Tischvorlagen des Ministeriums belegen.

Wo liegt hier die eigentliche Problematik? Wenn die Politik wissenschaftliche Modelle in die Hand nimmt, dann verfolgt sie meistens Absichten, die einer politischen Logik und einem politischen Prozess entsprechen. Lehrpläne an sich sind ein eher überschätztes Steuerelement, aber in Verbindung mit approbierten Schulbüchern, einer entsprechend instruierten Schulaufsicht (jetzt Qualitätsmanagement) und den Leistungsbeurteilungsregelungen in Gesetzen und Verordnungen ist ein Instrumentarium vorhanden, das außerordentlich wirkmächtig  ist und – einmal in Gang gesetzt - kaum eine kritische Reflexion der gewollten und ungewollten Nebenwirkungen erlaubt. Das wird auch ziemlich unverhohlen in den Erläuterungen zum Gesetzestext ausgedrückt. Die Lehrpläne  „informieren darüber, über welche Kompetenzen alle Schülerinnen und Schüler am Ende eines Schuljahres verfügen sollen. Sie ermöglichen dadurch eine transparente und nachvollziehbare Kommunikation zwischen den Beteiligten über den Unterricht, die zu erwerbenden und tatsächlich erworbenen Kompetenzen und erbrachten Leistungen und damit letztlich auch über die Leistungsbeurteilung.“

Diese „Erläuterung“ bestätigt alle Sorgen, die seit mehr als 10 Jahren in Verbindung mit der Kompetenzorientierung von Unterricht geäußert wurden. Es droht eine systematische, enge Verklammerung von vorgegebenen, verbindlichen Kompetenzkatalogen und einer Leistungsbeurteilung auf der Basis von Testverfahren. Die Folge davon ist, dass die  riesigen Unterschiede, die zwischen den Schulen aufgrund unterschiedlicher Schülerpopulationen, differenter sozialer Umfeldbedingungen und einer wechselnden  Unterrichtsqualität bestehen, systematisch übersehen, verdeckt und geleugnet werden, nur um einem „teaching to the test“  zu dienen. Ein Leisten für alle Füße hat noch nie funktioniert!

Sozialdemokratische Ministerinnen haben an dieser Entwicklung im Fahrwasser des dominierenden Neoliberalismus der Jahrtausendwende mitgewirkt (siehe Zentralmatura), sie haben aber wenigstens bei den Lehrplänen eine gewisse Flexibilität zugelassen und einem Überhandnehmen der „Testitis“  Einhalt geboten. Nun droht im Schuleingangsbereich mit den Deutsch-Förderklassen und dem MIKA-Test eine Entwicklung, die sich dann in der 3. Schulstufe mit den „informellen Kompetenzmessungen“ fortsetzt. Die Aufnahmsprüfung von anno dazumal lässt grüßen! Es liegt in der Logik von Output-Messungen, dass man die Fehler beim Schüler / der Schülerin sucht, aber Systemursachen übersieht oder leugnet. Wie hieß es so schön im türkis-blauen Koalitionspapier: „Werden die Inhalte der Lehrpläne, Anforderungen an das Personal oder Grundsätze der bestehenden Werte- und Gesellschaftsordnung bzw. die Grundsätze der Verfassung missachtet, sind Sanktionen zu setzen.“

Man sollte nicht zu früh den Teufel an die Wand malen, aber fernab von bildungswissenschaftlichen Debatten gibt es eben eine (bildungs-)politische Logik.  In vielen Fällen schafft es die Grundschule mit ihren extrem unterschiedlichen  Rahmenbedingungen nicht mehr, allen Schülern eine breite, solide Grundbildung zu vermitteln. Die Eltern kämpfen mit allen Mitteln darum, ihre Kinder von der rufgeschädigten  Mittelschule fernzuhalten und die höheren Schulen klagen über das sinkende Begabungspotenzial der Schülerinnen und Schüler. Über zusätzliche Investitionen in Brennpunktschulen wird viel geredet, aber dazu wenig getan. Eine konservative Bildungspolitik weiß nur allzu genau, dass dort auch nicht die Klientel für  zukünftige Wahlerfolge liegt. Ein massiver Ausbau der Ganztagsschulen wäre eine richtige Antwort, aber die kostet viel Geld und außerdem gibt es da auch familienpolitische Ressentiments. Es liegt daher nahe, die Leistungsmessungsschraube langsam, aber beständig anzuziehen und den Zuzug zur höheren Schule um ein Stück rückzubauen. Dann hat man die LehrerInnen an der Kandare (Einhaltung gleicher Leistungsstandards), die Eltern mit Bildungsaspirationen entmutigt (statt freier Schulwahl eine Zuteilung aufgrund von Kompetenzmessungen)  und die höheren Schulen entlastet!

KS