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Klaus Satzke / Einfalt und Vielfalt der Bildungsdebatte

von Klaus Satzke
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Die Modellprojekte in Modellregionen bewirken gar merkwürdige Wellenbewegungen im Planschbecken der österreichischen Schulpolitik.

- Eine Gewerkschaft agiert gegen die Interessen der Berufsgruppe, die sie vertreten sollte.
- Die Vertreter der schulischen Vielfalt meinen die Zweifaltigkeit HS versus AHS, können sich aber keine Vielfalt im Rahmen einer gemeinsamen Mittelschule vorstellen.
- Die traditionell „konservativen" Sozialpartner legen ein Papier zur Schulreform vor, das man als „progressiver" bezeichnen muss, als das Papier der Perspektivengruppe in der ÖVP

Dass eine Gewerkschaft versucht, gegen die Interessen der eigenen Klientel zu agieren, gleichzeitig aber argumentiert, das Beste für ihre Mitglieder zu wollen, das kommt nicht so oft vor. Man kann ja für den Fall der Einführung einer Gesamtschule viele Befürchtungen an die Wand malen, aber den AHS - Lehrern einreden zu wollen, dass für sie dabei ein Beschäftigungsproblem entsteht, das ist schon zu viel der Irrationalität und bewussten Unwahrheit. Die Vorstellung, dass in einer künftigen neuen Mittelschule nur mehr Hauptschullehrer unterrichten (die dzt. als Absolventen der eben abgeschafften Pädagogischen Akademien nicht einmal einen Bachelor - Abschluss haben), das ist weder durch irgendeine Aussage der Bildungspolitik noch durch ein Projektpapier belegbar. Ganz im Gegenteil, die Mitarbeit der AHS - Lehrer ist nicht nur erwünscht, sondern notwendig.
Allerdings: Über Lehrerqualifikation und Lehrereinsatz in den Modellprojekten wird man wohl reden müssen, das müssen sich die Verantwortlichen sagen lassen.

Nur wer sich allerdings strikt weigert, auch nur in irgendeiner Form bei der offenen Bauplanung für eine Reform der österreichischen Mittelstufe mitzuwirken, der hat einen fragwürdigen „Vorteil": Er kann grundsätzlich dagegen sein und kann sich gleichzeitig beklagen, nicht dabei sein zu können. Das einzige, was die Berufsgruppe der AHS - Lehrer tatsächlich verlieren kann, das ist die „Langform-Ideologie". Muss tatsächlich für 10-jährige Kinder eine Auslese in Richtung eines 8-jährigen Ausbildungsganges getroffen werden? Und ist das ein gewerkschaftliches Ziel oder nicht vielmehr eine schlicht und einfach europaweit überholte Konzeption?

Zur Situation der Lehrerbildung ist allerdings eine weitere Feststellung notwendig: Derzeit sind weder die AHS - Lehrer noch die Hauptschullehrer wirklich für die spezifischen Aufgaben im Mittelstufenbereich des Schulwesens ausreichend vorbereitet. Offenkundig sind nur die Schwächen, sowohl der universitären und als auch der (seit kurzem) hochschulischen Ausbildung.

Die vor wenigen Tagen publizierten Aussagen der Sozialpartner sind voll zu unterstreichen. Sie fordern
„die Entwicklung eine Konzeptes für eine neuartiges Schulwesens im Rahmen der Schulpflicht, das durch entsprechend Leistungsdifferenzierung den individuellen Begabungen der Kinder gerecht wird, Schulverfassung und Schulverwaltung sind umfassend zu reformieren. Das Unterrichtsministerium soll für die Vorgabe von Zielen (u.a. Lehrpläne, Bildungsstandards) sowie deren Überprüfung zuständig sein. Die Schulen sollen in der Umsetzung über weitgehende Autonomie verfügen und via standardisierter Überprüfungen der Bildungsstandards einer externen Ergebniskontrolle unterzogen werden."

Wenn man das für richtig erachtet, und eine wachsende Zahl von schulisch interessierten und engagierten Meinungsträgern in Österreich hält das für richtig, dann muss klar sein:
Diese Ziele erreicht man nicht mit papierenen Modellen, sondern nur durch Reform der Strukturen, der Inhalte und der Verfahren. Und dafür brauchen wir die bestausgebildeten und fortbildungsbereiten LehrerInnen.

Doppelt zu unterstreichen ist auch, dass wir Schulen benötigen, die Autonomiespielräume haben und nützen. Daher wird eine künftige Mittelstufe auch eine Schule der Vielfalt sein müssen, die eben auch mehr bieten kann, als die derzeitige Einfalt der 2 parallelen „Klassenzüge" Hauptschule versus AHS. Unklar ist daher, warum sich Bundesministerin Schmied zunehmend eine Gesamtschuldebatte Marke „uralt" aufzwingen lässt.

Entscheidungsfreiräume im Lehrplan, Schulprofile und Schwerpunktbildungen im künstlerisch - kreativen oder naturwissenschaftlichen Bereich, Modelle zur Begabungsförderung, muttersprachlicher Zusatzunterricht und vieles andere mehr haben schon jetzt eine Vielfalt geschaffen, die nicht einmal dann zu vereinheitlichen wäre, wenn man das wollte. Gleichzeit steht die Schule vor Herausforderungen, die nach schul- und standortspezifischen Lösungen verlangen (ganztätige Betreuung, ausufernder Nachhilfeunterricht, Abschlussqualifikationen und Arbeitsmarktprobleme, veränderte Schülerstrom-Entwicklungen etc.), die nicht einfach durch das Zauberwort „gemeinsame Schule" gelöst werden können.
Ganz im Sinne der Sozialpartner wird es daher ein Mehr an Autonomie u. d. h. ein Mehr an Vielfalt geben müssen, jedenfalls mehr, als es der aktuell immer noch sehr enge Rahmen der Schulautonomie zulässt.

Was für eine zeitgemäße Form einer gemeinsamen Schule (wenn man so will „Gesamtschule") wirklich charakteristisch ist, das ist die klare Definition von Rahmenbedingungen, die für alle Schulen gelten müssen:

- die freie Schulwahl nach Abschluss der 4. Klasse der Volksschule (und damit das Ende des unseligen Notenkalküls, bei dem ein Befriedigend in einem einzigen Gegenstand Schulbahnentscheidungen bestimmt)
- die Sicherstellung eine Schulqualität an allen Schulen im Mittelstufenbereich, die das Erreichen von Grundqualifikationen (Standards) für die überwiegenden Mehrheit der SchülerInnen garantiert,
- eine Übertrittsregelung in Oberstufenformen, die für alle Schülerinnen und Schüler der Mittelstufe die gleichen Kriterien heranzieht (was bekanntlich derzeit nicht der Fall ist).

Aber innerhalb dieser Rahmenbedingungen kann an den Schulen der Mittelstufe nicht einfältige Einheitlichkeit herrschen, sondern jene Vielfalt, die für ein modernes Schulwesen notwendig und charakteristisch ist. Das hat die Aussage von der „gemeinsamen Schule der Vielfalt" gut transportiert!

Die Einhaltung und Sicherstellung dieser Rahmenbedingungen stellt eine große qualitative Herausforderung darstellt, die sich nicht durch „Wortzaubereien" verwirklichen lässt. Das alles setzt einen besseren Unterricht voraus, bei dessen Verwirklichung die Lehrerinnen und Lehrer mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu unterstützen sind. Das setzt aber auch Bereitschaft zum besseren Unterrichten voraus, auch wenn das mühsam und belastend ist.

Unbestreitbar ist, dass die Vielfalt Gefahren in sich birgt, wenn sie zum Vorwand für soziale Selektion wird. Soziale Selektion ist schrittweise zurückzudrängen, aber leider nicht einfach durch Dekret zu verhindern. Es braucht ein wachsames Auge und geeignete Beobachtungsinstrumente. Aber wozu haben wir eigentlich eine Schulaufsicht, wozu gibt es internationale Vergleichsmaßstäbe und was kann die Mitsprache der Eltern und Schüler bewirken? Es wäre schön, wenn sich die pädagogische und schulpolitische Debatte nicht an utopischen Idealen und an böswilligen Verzerrungen orientieren würde, sondern am Bestmöglichen, was unter realistischen Annahmen und unter Einsatz aller v erfügbaren Mittel verwirklichbar ist.