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Schulpädagogischer Rundumschlag in literarischer Form

von Helmut Seel
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Katharina Tiwald hat sich im Essay „Kollektive Schülerwerdung“ („Der Standard“ 8.9.2012, Album A1/2) ihren Frust über Schule und Lehrerbildung vom Leib geschrieben. Offensichtlich aus der Sicht der Hauptschulen und ihrer Lehrerausbildung, aber wohl generalisierbar auf alle anderen Arten und Stufen des Schulsystems. In jedem Fall aber gültig für die Neue Mittelschule, die ja wie die Hauptschule „Restschule“ neben der bestehenden bleibenden und weiter wachsenden AHS-Unterstufe ist und deren „Gesamtschul“-Anspruch die Selektionsfunktion im Hinblick auf die Schulen und Bildungsgänge der Oberstufe durch Differenzierungsmaßnahmen zu bewältigen hat.

Auch wenn man einer so totalen Schulkritik die Ansicht entgegenstellen muss, dass die Gesellschaft (das sind wir alle, Schulfreunde und Schulgegner) Erwartungen gegenüber einer Schule hat und sich ihre Mitglieder eine schullose Gesellschaft nicht vorstellen können, im Einzelnen ist vieles des Angeführten zu bedenken.

So etwa der Hinweis, dass „das Erzählerische, das in der Ausbildung so oft bemüht wird, in der Schule keinen Platz hat“, und dazu: „Hier herrschen Lückentext und zu ordnende Sätze. Zack, Punkt und Strich – beklemmendes Zerrbild einer normregierten Welt in einem als kindgerecht gedachten Format“ . Die Unkultur der Arbeitsbücher hat Schluss gemacht mit dem einsichtsorientierten Gespräch, dem Austausch der Meinungen und Ansichten, das zu einem gemeinsam formulierten Merktext geführt hat, der in Hefte geschrieben wurde.. „Aller Unterricht ist Sprachunterricht“ haben die Reformpädagogen zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts gewusst. Die Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Lückentextunterricht und Lesebefähigung steht im Übrigen noch aus..

Allerdings sollte man nicht überziehen: „Unsere Kinder haben keine Hilfe bei den Hausaufgaben, unsere Kinder sind überfordert“ ist nicht von der Hand zu weisen und nicht als „herbeiimaginierte Blödheit der Kinder“ abzutun. Lehrer, die wegen fehlenden Muts oder mangelhafter Befähigung zur Stoffauswahl Lehraufgaben in den außerunterrichtlichen Bereich delegieren, aber den Lernertrag in versetzungsrelevanten Prüfungen einfordern, gibt es eben in der Schule.

Auch das Schlaglicht auf die Pädagogischen Hochschulen erhellt Wichtiges. Geistige Unterforderung und „wissenschaftliche Sparflamme“ sind nicht selten Realität. Und so stimmt: „Damit vergibt die PH eine riesige Chance – nämlich eine nachhaltige Begegnung ihrer Studierenden mit hauseigener und anderer Forschung zu ermöglichen: zu zeigen, wie man an der Abstraktion das strukturierte Denken erlernt und/oder übt. ... Das vollmundige Versprechen, es handle sich um ein akademisches Studium, auf dem man aufbauen kann, ist nicht ohne weiteres einzulösen. Tatsächlich steigt man etwa als Bacc.ed etwa in das AHS-Lehramtsstudium für Deutsch vor Ende des ersten Studienabschnitts ein, und die Bachelors in Bildungswissenschaft haben ihren Namensvettern von der PH eine zweite Arbeit voraus.“ Der Weg zur Pädagogischen Universität ist tatsächlich noch weit. Ein Transfer der Lehrerbildung an die bestehenden Universitäten löst das Problem der Lehrerbildung aber nicht.

Denn: An der derzeitigen Lehrerbildung, speziell in der Pädagogischen Ausbildung, an den Universitäten ist vieles mangelhaft. Hier wie dort wird die Brücke zwischen theoretisch-wissenschaftlichen Studien und schulpraktischer Erfahrung nicht richtig geschlagen. Hier wie dort gelingt das Verlernen der fragwürdigen Erziehungs- und Unterrichtserfahrungen aus der eigenen Schulzeit nicht ausreichend, um auf Grund neu angeeigneter wissenschaftlicher Befunde professionell neues Verhalten zu kreieren. Und je weniger lang die Erfahrungen zurückliegen, desto stärker schlagen sie in der Praxis durch. In einem haben die AHS-Lehrer besser: Sie sind nur als Fachlehrer engagiert und können sich darauf zurückziehen. Und ihre Schüler denken daher weniger daran, sie mit allen möglichen Fragen zu überfallen, welche Jüngere mit Recht an Erfahrenere stellen und Orientierungshilfen erwarten.

Schließlich zum „Drinnen“ (in der Schule) und „Draußen“ (im gesellschaftlichen Umfeld). Es stimmt: „Es gehören Menschen von draußen in diese Ausbildung, mehr und selbstverständlicher Respekt vor politischer, kultureller, ökonomischer Leistung ... Mehr noch: das Draußen muss ins Drinnen hineinwachsen, damit das Drinnen kein Gefängnis wird und das Draußen kein Schock, wenn man dort landet.“ Aber entscheidend wird es sein, dass alle „Lehrer“ (innere und äußere) sich bewusst sind, dass sie den Sinn ihrer Tätigkeit nur in der Unterstützung des Lernens der „Schüler“ finden können. Und es erfordert umfangreiches lern- und motivationspsychologisches Wissen, um richtig und wirksam lehren zu können. Und Sozialpsychologie dazu, wenn Schule integratives soziales Lernen im Interesse eines erfolgreichen Zusammenlebens in einer demokratisch verfassten Gesellschaft leisten soll.