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Der Nationale Bildungsbericht 2012 – Fundgrube (für pädagogische Reformen) oder Endlager (für pädagogische Probleme) ?

von Helmut Seel
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Im Jahr 2009 wurde beschlossen, das österreichische Bildungswesen in einem Nationalen Bildungsbericht darzustellen und dies in einem dreijährigen Zyklus fortzusetzen. Der nun vorliegende zweite Nationale Bildungsbericht 2012 besteht wie sein Vorgänger aus zwei Bänden (Leykam Graz, ISBN 978-3-7011-7855-1).

Der erste Band enthält Daten und Zahlen zum österreichischen Bildungswesen, vielfach auch zeitliche Entwicklungen und internationale Vergleiche. Für jede aktuelle Diskussion über Schulfragen wird man hier Argumentationsgrundlagen suchen und finden. Weniger Nachfrage wird es für den zweiten, 433 Seiten umfassenden Band geben. Er enthält in fünf Themenbereiche (A: Kompetenzen der SchülerInnen, B: Kompetenzen der Lehr- und Leitungspersonen, C: Chancengerechtigkeit und Mehrsprachigkeit, D: Schulformen, E: Neue Steuerungsformen) je zwei Artikel, wobei die Zuordnung manchnal nicht ganz überzeugend ist.

Die Themenwahl des „Nationalen Bildungsberichtes 2012“ erfolgte in „Wechselwirkung zwischen politischen Akteurinnen und Akteuren, artikuliert durch das BMUKK, und der Bewertung durch Expertinnen und Experten“. Mit der Bearbeitung der einzelnen Themen wurden Wissenschaftlergruppen beauftragt. Die Texte wurden einem „Peer Review“ durch Experten aus dem deutschsprachigen Raum unterzogen. Die Beiträge weisen daher eine weitgehend übereinstimmende Gliederung auf: Klärung des Sachverhalts, Befunde zum Thema, Darstellung des österreichischen Ist-Zustands, Maßnahmen zur Veränderung der Sachlage. Dieser Uniformität entzieht sich nur L. Lassnigg mit seinem Beitrag zur Berufsbildung. Die Leitung hatte eine Steuerungsgruppe, bestehend aus den Universitätsprofessoren Bucher (Linz), Eder (Salzburg) und Spiel (Wien). Anzumerken ist, dass im Unterschied zum Bildungsbericht 2009 die Literaturangaben an das Ende eines jeden Beitrags gestellt werden, was die Lektüre wesentlich erleichtert.

Im Hinblick auf die verbindende Klammer „Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung an Schulen“ erscheint die Anordnung der Beiträge nicht optimal. Einleitend sollte der zweite Teil des zehnten Artikels stehen, der „eine Übersicht über die europäische Bildungspolitik und deren Einfluss auf Österreich“ bringt. Denn die Ausrichtung auf Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung in Österreich ist eine Folge der Entwicklungen in Europa. Der „Europäische Qualitätsrahmen“ soll nicht nur „arbeitsmarktrelevante, berufliche Qualifikationen abbilden, sondern die gesamte allgemeine und berufliche Bildung im Sinne des lebenslangen Lernens umfassen“ . Er „erzeugt keine Verbindlichkeiten oder Berechtigungen, sondern“ soll dazu „dienen, um Transparenz, Vergleichbarkeit und Übertragbarkeit zwischen den Mitgliedsstaaten herzustellen“. Österreich entwickelte auf dieser Grundlage einen Nationalen Qualifikationsrahmen, der 2009 dem Ministerrat vorgelegt wurde. In Österreich wurde als Instrument der Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung eine evidenzbasierte outputorientierte Steuerung des Schulsystems eingeführt, welche durch Bildungsstandards für die Gelenkstellen des Schulsystems und einheitlich vorgegebene Abschlussprüfungen (Zentralmatura an den Höheren Schulen) wirksam werden soll. Daher sollte an diese europapolitische Einleitung, welche aus dem Artikel E 10 Gutknecht-Gmeiner: „Europäische Bildungsperspektiven und nationale Bildungspolitik: Erfahrungen und Bewertungen des nationalen Umgangs mit EU-Initiativen“ stammt der Artikel über die Bildungsstandards (E 9 Altrichter et al.: „Bildungsstandards und externe Überprüfung von Schülerkompetenzen: Mögliche Beiträge externer Messungen zur Erreichung der Qualitätsziele der Schule“) anschließen, gefolgt von einem Grundsatz-Beitrag (C 5 Bruneforth et al.: „Chancengleichheit und garantiertes Bildungsminimum in Österreich“). Dann sollten die Artikel mit den Beiträgen zum personalen Qualität (A 2 Schober et al.: „Ergebnisorientierte Qualitätsentwicklung von Schule. Spezifische Kompetenzen von Lehrkräften, Schulleiterinnen und Schulleitern“), zur methodischen Kompetenz der Lehrer (B 4 Krainer et al.: „Fachdidaktik und ihr Beitrag zur Qualitätsentwicklung des Unterrichts“, A 1 Schabmann et al.: „Wie kommen Leseleistungen zustande?“ und A 2 Eder et al.: „Überfachliche Kompetenzen in der österreichischen Schule – Bestandsaufnahme, Implikationen , Entwicklungsperspektiven“) und zu den institutionellen Fragen (D 7 Hörl et a.: „Ganztägige Schulformen – Nationale und internationale Erfahrungen, Lehren für die Zukunft“, D 8 Lassnigg: „Die berufliche Erstausbildung zwischen Wettbewerbsfähigkeit, sozialen Ansprüchen und Lifelong Learning – eine Policy-Analyse“) durchgesehen werden. Wenig Neues bringt schließlich der Artikel C 6 von Herzog-Punzenberger et al.: „Die Situation mehrsprachiger Schüler/innen im östereichischen Schulsysrem – Problemlagen, Rahmenbedingungen und interntionaler Vergleich“.

Wer den zweiten Band des Bildungsberichts als Ganzes lesen möchte, dem wird daher empfohlen, diesem Lesepfad zu folgen. Im Archiv dieser Website findet sich die Gesamtbesprechung des 2. Bandes des Nationalen Bildungsberichts 2012. Einzelne Fragestellungen werden in nächster Zeit in Website-Beiträgen aufgegriffen.