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„Einfach kompliziert“ – Leistungsdifferenzierung in der Mittelschule

von K. L. Satzke
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Hans Rauscher, einer der maßgeblichen Journalisten dieses Landes, sieht sich zwar nicht als Bildungsexperte, meint aber: „Worüber man sich aber bei bloßer Betrachtung von außen sehr wohl ein Urteil anmaßen kann, ist die offen zutage liegende Tatsache, dass die Schulpolitik ein völlig vermurkstes, konzeptloses, von allen möglichen Interessen beherrschtes Trümmerfeld ist.“

Auslösend für diese Aussage, der man nur zustimmen kann, ist das Desaster mit der Neuen Mittelschule. Trotz nicht unbeträchtlicher zusätzlicher finanzieller und personeller Investitionen schneiden die Mittelschulen nicht besser ab als die Hauptschulen, in Einzelfällen sogar schlechter. Interessant sind in diesem Zusammenhang die Meinungen der Bildungsexperten. Die meisten Experten haben es jetzt immer schon gewusst, doch eine uneinsichtige Bildungspolitik hörte nicht auf die Warnungen. So argumentiert beispielsweise Günther Haider im Standard vom 6.3.2014
„Die Schuld liegt eindeutig bei den Regierungsparteien, im Speziellen bei Claudia Schmied und dem ÖVPler Werner Amon, die 2012 trotz aller Warnungen, trotz negativer Daten aus dem ersten NMS-Jahrgang und ohne eine Evaluation abzuwarten die NMS für alle Hauptschulen per Gesetz eingeführt haben.“ Leider verrät Haider aber nicht, was er damals der Ministerin vorgeschlagen hat. Es wäre aber an der Zeit, dass die wissenschaftliche Community nicht nur allgemeine Ratschläge gibt, sondern sich zu wichtigen Projekten konkret und nach Möglichkeit koordiniert äußert, und zwar nicht nur im Nachhinein, sondern zum Zeitpunkt, wo Reformen beschlossen und eingeleitet werden. Schule ist einfach zu wichtig, um sie einer verkorksten Bildungspolitik zu überlassen! Es ist Prof. Hopmann von der Uni Wien hoch anzurechnen, dass er ein zentrales Problem der neuen Mittelschule konkret anspricht. „Es ist ja klar, es gibt ein paar Lehrer mehr. Aber eine ausreichende Binnendifferenzierung – also dass ich den unterschiedlichen Fähigkeiten der Schüler Rechnung tragen kann – die ist in der NMS nicht vorgesehen. Das Ministerium hat ein Modell vorgeschlagen, von dem niemand weiß, ob es was bringt.“ Damit hat er zweifellos Recht! Wer im Schulorganisationsgesetz und im Schulunterrichtsgesetzt nach substanziellen Aussagen über den Unterricht in leistungsdifferenziert geführten Gegenständen sucht, der findet lediglich allgemeine Überschriften, die nichts klären und keinen Auftrag formulieren, keine Unterstützung anbieten, kein seriöses Monitoring vorsehen. Wie ist es möglich, dass in den vergangenen Jahren so viele Experten nur auf die zunächst abgesagte und dann doch zugesagte Evaluation warteten und nicht schon vorher auf zentrale Fehlentwicklungen hingewiesen haben?

Das Projekt Neue Mittelschule ist nichts anderes als - wieder einmal - der Versuch einer Hauptschulreform. Etwas anderes hat der Koalitionspartner nicht intendiert und auch nicht zugelassen.
Hauptschulen arbeiten unter extrem schwierigen Bedingungen, weil die Schulbahnentscheidung nach der Volksschule zu einer Selektion nach den Kriterien der sozialen Herkunft und der Lernbefähigung führt. Dieser Selektionsvorgang verursacht eines der zentralen Probleme des österreichischen Bildungssystems. Ein erheblicher Prozentsatz der Schülerinnen und Schüler erreicht nicht die Ziele einer grundlegenden Allgemeinbildung und wird damit zu einer ökonomischen und sozialen Zeitbombe. Das Projekt Mittelschule ist der Versuch, durch mehr Stundenaufwand und neue (in Wahrheit nicht ganz so neue) Lernformen wie z. B. offenes Lernen, Projektunterricht, flexible Lerngruppen, Teamteaching etc. die genannten Probleme zumindest zu mildern. Auch ohne Evaluation hätte man voraussagen können, dass das ein schwieriger Weg wird.

Eine Verkleinerung der Schülergruppengröße bringt für sich alleine nachgewiesener Maßen wenig bis nichts. Wer erinnert sich heute noch an die Senkung der Klassenschülerzahl ab dem Schuljahr 2007/2008? Was waren die Ergebnisse dieser Maßnahme? Wer nur die Schülerzahl senkt und sonst nichts macht, der verpulvert finanzielle Ressourcen!

Auch zur Wirkungsweise neuer Lernformen gibt es zahlreiche Studien, die keine nachhaltig positiven Effekte im Bereich der Lernleistungen nachweisen, wenn diese Maßnahmen isoliert und unbegleitet bzw. nicht unterstützt erfolgen.
Dafür gibt es plausible Erklärungen! Gleichgültig, ob Teamteaching oder flexible Lerngruppenbildung, beide Maßnahmen führen – wenn sie ernst genommen werden - zu einer erhöhten Komplexität des Unterrichtsgeschehens und daher auch zu erhöhten Anforderungen an den Lehrer bzw. das Lehrerteam. Wenn diese Aufgabenstellung nicht bewältigt wird, sind der finanzielle und der organisatorische Aufwand weitgehend sinnlos. Ohne eine wirklich professionelle, d. h. langjährige und konsequente Vorbereitung, Begleitung und Unterstützung sowie ein durchgängiges Monitoring sind keine Erfolge zu erzielen. Es ist wie bei der Umstellung eines Betriebes auf eine neue und bessere EDV-Anlage. Man muss sich vergewissern, ob das Personal die Neuerungen beherrscht bzw. man muss eine intensive Qualifikationsinitiative einschließlich der hierfür erforderlichen finanziellen und personellen Maßnahmen einleiten. Die Idee der Frau Ministerin, die Differenzierungsstunden im Rahmen der Autonomie einfach für etwaige andere Maßnahmen freizugeben, mutet in diesem Zusammenhang skurril an. In den Schulgesetzen ist immerhin von leistungsdifferenziert geführten Unterrichtsgegenständen die Rede!?

Eine Tragik besonderer Art besteht darin, dass die Verfasstheit unseres Bildungssystems die Realisierung der notwendigen Maßnahmen in professioneller Art und Weise aufgrund der gegebenen Kompetenzlagen gar nicht zulässt. Realiter hat die Ministerin keine ausreichenden Möglichkeiten, um direkt in die Planung und Umsetzung einzugreifen. Sie kann anregen und empfehlen, hat aber keinen Einfluss auf das Ob und Wie. Und was den Unterricht selbst – also den Kernbereich jeder Reform - betrifft, da weiß in vielen Fällen weder der Bundesminister noch der Landesschulratspräsident, vielleicht der Schulinspektor, am ehesten noch der Schulleiter Bescheid. Das ist nicht untypisch für quasi feudalistisch aufgebaute Systeme, wo eine Ebene der anderen Ebene nicht dreinredet und man davon ausgeht, dass jeder für sich schon das Richtige tun wird. Es ginge in diesem Zusammenhang aber nicht um ein anderes Aufsichts- und Kontrollsystem, sondern um ein Zusammenführen von Ressourcen und ein Zusammenwirken von Institutionen in einem neu geordneten System von Schulen. Man kann der Reformgruppe – sie hat ja schon 2 (!) Sitzungen durchgeführt – bei dieser Aufgabenstellung nur viel Erfolg wünschen!