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Die Neue Mittelschule braucht ein geeignetes Evaluationsdesign

von Klaus Satzke
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Es ist bedauerlich, wenngleich nicht untypisch, dass die Debatte um den Evaluationsbericht zur Neuen Mittelschule ebenso schnell ein Ende fand, wie sie begonnen hat. Wie es mit dem Schulentwicklungsprojekt „Neue Mittelschule“ weitergehen soll, das verschweigt uns die Bildungsministerin, aber auch das Studium der Evaluationsergebnisse ist hier nicht gerade hilfreich. Das hängt wohl damit zusammen, dass die Präsentation der Evaluation die Ministerin in eine Lose – Lose – Situation manövriert hat. Eine Relativierung der Ergebnisse hätte ihr wohl nur höhnische Kommentare eingebracht, eine positive Vorwärtsstrategie hingegen hätte zur Frage geführt, ob das im Einklang mit den wissenschaftlichen Datenanalysen steht. Hier zeigt sich, dass die öfter beschworene „Evidence Based Policy“ in der Praxis so ihre Tücken hat. Dies vor allem auch deshalb, weil man sich mit der Eigendynamik des jeweiligen Versuchsdesigns einer Evaluation auseinandersetzen muss, wenn man nicht in ein derartiges Dilemma geraten will. Mit dem gewählten Design der Evaluation konnte im Grunde genommen lediglich nachgewiesen werden, dass es bei komplexen Schulentwicklungsprozessen keine Wunder gibt. Und es wäre tatsächlich ein Wunder gewesen, wenn man in Verlauf eines nur 4-jährigen Entwicklungsprozesses (Novelle zum Schulorganisationsgesetz 2012) im Rahmen einer auf die Hauptschule begrenzten Reform das schlingernde Schiff aus der Gefahrenzone einer Rest-Hauptschul-Entwicklung  herausmanövrieren  hätte können. Man muss in Erinnerung rufen, dass die damalige Ministerin Dr. Schmied 2012 – offenbar in  Erkenntnis der Nicht-Machbarkeit einer Gesamtschullösung mit dem Koalitionspartner – den damaligen Schulversuch „NMS“  in  eine gesetzlich geregelte Hauptschulreform umfunktioniert hat. Das geschah wohl in der vagen Hoffnung, dass ein erfolgreiches, qualitätsorientiertes Reformmodell der Hauptschule / Neuen Mittelschule (mit mehr Lehrerstunden und sonstigen zusätzlichen Investitionen) auch für die AHS irgendwann einmal attraktiv sein könnte.

Die 2012 eingeleiteten Schritte zur Einführung der Neuen Mittelschule beruhen auf dem für die österreichische Bildungspolitik nicht untypischen Glauben, dass man mit einer Gesetzesregelung, zusätzlichen Ressourcen, ein paar vollmundigen Ankündigungen und medialer Begleitmusik Schulreform machen kann. Auch ohne Evaluation wäre voraussagbar gewesen, dass neue gesetzliche Regelungen (vertiefte und erweiterte Allgemeinbildung sowie flexible Differenzierungsformen), zusätzliche Ressourcen (7 Lehrerstunden) und die Ankündigung einer neuen Lernkultur noch lange nicht bedeuten, dass man damit kurzfristig die Schulen oder gar die Klassenzimmer erreicht. Dazu bedarf es eines nachhaltigen Prozesses der Kommunikation, der Beratung und Unterstützung der Lehrer und Lehrerteams (mit anderen Worten eines Prozesses der Qualitätsentwicklung), für den das Unterrichtsministerium selber weder die Kompetenz noch die Mittel hat.  Ohne die aktive Mithilfe durch eine sich selbst neu verstehende Schulverwaltung in den Ländern bewegt sich im bestehenden System wenig bis gar nichts!

Und natürlich bedarf es in diesem Zusammenhang auch eines begleitenden wissenschaftlichen Monitorings, das zeitgerecht auf Probleme aufmerksam macht und mögliche Alternativen aufzeigt. Das Design einer Evaluation von Schulversuchen mit Versuchs- und Kontrollgruppen und einer auf Mittelwertvergleichen und varianzanalytischen Untersuchungen beruhenden Evaluation bringt unter diesen Gegebenheiten nur wenig. Sollte sich da und dort das zarte Pflänzchen neuer, erfolgreicher Lernstrategien und einer systematischen und gezielten Unterstützung von Lernprozessen entwickelt haben, dann wird es mit ziemlicher  Sicherheit durch den Rasenmäher einer summativen Evaluation, die Mehrheitseffekte im Auge hat, unsichtbar gemacht.

An dieser Stelle sei der Hinweis gestattet, dass die wichtigen Systemfragen des Zusammenhanges von Schulorganisation und Lernorganisation bereits in den 80er-Jahren hinreichend geklärt wurden. Die auch international anerkannte Evaluation der damaligen Gesamtschulversuche hat nachgewiesen, dass eine Gesamtschullösung nicht zur befürchteten Nivellierung führen muss, sondern ein vertretbarer Reformschritt in Richtung einer  sozial integrativen und gerechteren, weil später selektierenden Schule wäre.  Eine Hauptschulreform kann das nicht leisten, aber sie kann krisenhafte Entwicklungen eindämmen und da und dort wichtige Beiträge für eine individuell erfolgreiche Schullaufbahn leisten. Für einen derartigen Reformprozess braucht man eine wissenschaftliche Begleitung, die beispielsweise in der Lage ist,  die komplexe Aufgabenstellung einer flexiblen Differenzierung (ein Kernstück der Neuen Mittelschule) zu analysieren, zu begleiten und zu Klärungen beizutragen. Genau das aber kann die aktuell präsentierte Evaluation nicht und es ist bedauerlich, dass dieser Aspekt in der knapp bemessenen Debatte über die Evaluationsergebnisse zu kurz gekommen ist. Helmut Seel hat in seinem Beitrag „Die Evaluation der Neuen Mittelschule“ nachgewiesen, dass mit der Evaluation  eine Vermengung von Elementen des ursprünglichen Schulversuchs-Designs mit Elementen des Übertragungsdesigns lt. Schulorganisationsgesetz-Novelle stattgefunden hat und daher nicht einmal klar ist, welche Modellvarianten einer Differenzierung beobachtet wurden.  Wir wissen jetzt zwar, dass nicht wenige Schulen an den neuen, komplexen Aufgabenstellungen gescheitert sind, aber woran sie konkret und im Detail gescheitert sind, das wissen wir nicht. Hinzu kommt, dass viele unterrichtsbezogene Daten auf Befragungen und Selbsteinschätzungen der unmittelbar Betroffenen beruhen und damit jede Menge an Subjektivität einfließen lassen.

Nun wäre es allerdings ein schwerer Fehler, wollte man mit einer Kritik am Evaluationsdesign andeuten, die Grundaussagen der Evaluation wären falsch. Sie sind nicht falsch, aber sie enttäuschen Erwartungen und Hoffnungen, die von Beginn an fragwürdig waren. Anstelle eines umgemodelten, zunächst eingestellten, dann doch wieder fortgeführten Evaluationskonzeptes für einen Schulversuch hätte es eines spezifischen Evaluationsdesigns für einen viel (!) jährigen Prozess der Qualitätsentwicklung an Hauptschulen bedurft, der letztendlich Auskunft über die Chancen und Grenzen einer auf diesen Schultyp zugeschnittenen  Schulentwicklung hätte geben  können.