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Zentralmatura: Mehr Transparenz wäre dringend notwendig!

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Nun liegen die Ergebnisse der Zentralmatura 2016 vor. Noch bleibt allerdings vieles im Dunklen. Ein Befund kann nicht überraschen, nämlich dass in den Oberstufenrealgymnasien nicht dieselben Ergebnisse wie in den  AHS-Langformen erreicht werden konnten. Zu unterschiedlich sind die maturarelevanten Lernzeiten in den beiden Schultypen. Die festgestellten Leistungsunterschiede zwischen des AHS-Langform und den Oberstufenrealgymnasien sind  systembedingt und sollten von der Schulverwaltung nicht klein- oder fortgeredet werden.

Die bisher veröffentlichten Ergebnisse im Bereich der berufsbildenden höheren Schulen sind noch weniger aussagekräftig. Die Angabe von Durchschnittswerten besagt wenig. Zu unterschiedlich ist die Stellung der allgemeinbildenden Unterrichtsfächer in den verschiedenen Schultypen: Höhere Technische Lehranstalten (HTL), Handelsakademien, Höhere Lehranstalten für Wirtschaftsberufe und Bildungsanstalten für Kindergartenpädagogik.  

Die Matura bestätigt den Erwerb einer  höheren Allgemeinbildung und der Hochschulreife (allgemeine Studienberechtigung). Sie ist in Österreich hauptsächlich auf drei schulischen Wegen zu erreichen: Langform der AHS mit acht Schulstufen, Oberstufenrealgymnasium mit vier Schulstufen,  BHS mit fünf Schuljahren,  wobei die Berufsbildung in den postsekundären Bereich reicht. Dazu kommt  schließlich die Berufsreifeprüfung als Sonderweg. In dieser Reihenfolge kommt auch zum Ausdruck, dass eine immer größere Zahl in der Gesellschaft das iödungminimumesellschaft das „Bildungsminimum“ anhebt. Auf der anderen Seite reicht die Matura nicht mehr aus, es entwickeln sich Zugangsprüfungen zu verschiedenen Studienrichtungen an den Universitäten und Fachhochschulen.  

Wollte man in der Zentralmatura das Leistungsminimum fixieren, das Maturanten aller Schultypen in der Muttersprache, in der grundständigen Fremdsprache  und in der Mathematik erbringen müssen, hätte man einen anderen Ansatz wählen müssen. Da in der  BHS die geringsten Unterrichtszeiten in den genannten Fachbereichen verfügbar sind, hätte die Entwicklung der Prüfsysteme von dort aus erfolgen sollen.

Die verschiedenen Institutionen weisen unterschiedliche Traditionen auf und bringen spezifische  bildungspolitische Interessen zum Ausdruck. Die Langform der AHS (Gymnasium, Realgymnasium) gehen auf den Organisationsentwurf 1849 zurück, der acht Klassen vorsah, gegliedert in eine vierklassige  Unterstufe  (Ziel höhere Allgemeinbildung) und in eine vierklassige Oberstufe (Ziel  Studienvorbereitung) für die Schultypen Gymnasium und Realschule. Auch die Grundstruktur des heutigen  Fächerkanons geht auf dieses Gesetz zurück. Das  Mittelschulgesetz 1927 betonte nach dem Vorbild des deutschen neuhumanistischen Gymnasiums den Langformcharakter (acht Klassen als Einheit) mit vier Schultypen (Gymnasium, Realgymnasium, Realschule und Frauenoberschule). Das Schulorganisationsgesetz 1962 machte aus den Mittelschulen allgemeinbildende höhere Schulen (AHS)mit den Typen  Gymnasium (zweite Fremdsprache ab der dritten, dritte Fremdsprache ab der fünften Klasse), Realgymnasium (zweite Fremdsprache ab der fünften Klasse, GZ und DG, erweiterte naturwissenschaftliche Fächer) und  Wirtschaftskundliches  RG für Mädchen. Nach der AHS-Reform 1988 wurden die Schultypen weitgehend in einem System von Pflicht-,  Wahlpflicht- und Wahlfächer aufgelöst.

Die AHS-Langform ist eine Wahlschule, die Eltern müssen ihre Kinder zum Besuch anmelden. Sie ist damit das perfekte Instrument der Bildungsvererbung, welche am österreichischen Schulsystem von verschiedenen Seiten kritisch festgestellt wird. Im Nationalen Bildungsbericht 2016  wird darauf hingewiesen, 

Die Mehrzahl der Kinder besucht jedoch nach der Grundschule weiterhin die Pflichtschule. Seit 1927 war dies die Hauptschule. Um den unterschiedlichen Interessen und Befähigungen der Pflichtschüler Rechnung tragen zu können, wurde sie als Gesamtschule mit Leistungsdifferenzierung in zwei Klassenzügen geführt. In der Hauptschulreform 1983  wurden im Interesse der Integration und der Differenzierung ergänzend zu den leistungsheterogenen Stammklassen fachspezifisch zusammengesetzte Leistungsgruppen in Deutsch, in der Fremdsprache und in Mathematik eingerichtet. Die Einstufung in den höchsten Leistungsgruppen führte zur Übertrittsberechtigung in die Oberstufe höherer Schulen. Dieser zweite schulorganisatorische „Verteilerkreis“ des österreichischen Schulsystems ist ein wichtiger Faktor der Bildungschancengerechtigkeit. In der ohne Schulversuche eingeführten Neuen Mittelschule ist es für die Lehr schwieriger geworden, die leistungsstärkeren Schüler rechtzeitig zu identifizieren und besonders zu fördern.

Die Entwicklung eines Oberstufenrealgymnasiums beginnt mit der Einrichtung der fünfklassigen Lehrerbildungsanstalt 1945, die mit der Reife für das Lehramt an Volksschulen und mit  der allgemeinen  Studienberechtigung abgeschlossen wurde. Immer mehr Absolventen wechselten an die Universität, nicht in  den Lehrerberuf. Mit der Einführung der Lehrerbildung an den Pädagogischen Akademien 1962  sollten die Musisch-pädagogischen Realgymnasien, in welche die alten Lehrerbildungsanstalten umgewandelt wurden, eine Zubringerfunktion erfüllen.  Zur Verbesserung der Bildungschancen im ländlichen Raum wurden MPRGs auch neu eingerichtet und erhielten weitere inhaltliche Schwerpunkte. Man wollte damit das AHS-Netz verdichten. Die neuen Oberstufenrealgymnasien konnte zu den vier Klassen auch eine Übergangsstufe führen. In der Übergangsstufe konnten die neuen Klassenverbände konstituiert und eine einheitliche Lehr- und Lernbasis für den maturabezogenen Unterricht geschaffen werden.

Dass auch die Reifeprüfung an Berufsbildenden höheren Schulen eine allgemeine Studienberechtigung begründet, ist darauf zurückzuführen, dass angenommen werden kann, dass höhere Bildung im Sinne von entwickelter Urteils-. Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit auch in der Auseinandersetzung mit den Inhalten beruflicher Bildung erworben werden kann, In den BHS substituieren Leistungen in den berufsbildenden Fächern  einen   geringeren Anteil der Fächer des traditionellen Fächerkanon der Allgemeinbildung. Ein Spezifikum stellt die unterschiedliche  Form der Mathematik dar.

Im Hinblick auf die Entwicklung einer umfassenden Zentralmatura wurde das Pferd von der falschen Seite aufgezäumt. Statt mit Prüfsystemen für die AHS-Langform zu beginnen, wäre ein Bildungsminimum in der Muttersprache, der grundständigen Fremdsprache und in der Mathematik zu definieren gewesen, ausgehend von den Reifeprüfungsergebnissen der BHS. Dass ein solches Leistungsminimum in den ORGs besser erfüllt werden könnte und der AHS: Langform-Maturant  keinerlei Schwierigkeiten mit diesen Aufgaben haben würde, wäre zu erwarten: Systembedingt ist in den verschiedenen maturaführenden Schulen jeweils ein Mehr an Wissen und  Können in den traditionellen Fächer der Allgemeinbildung gegeben.  Man sollte nicht von einem Weniger sprechen, das in den verschiedenen Schultypen nur erreicht werden   kann. Eine solche  Betrachtungsweise führt dazu, dass verschiedene Schultypen in ein schiefes Licht geraten und wichtige bildungspolitische Aspekte übersehen werden könnten.

H.S.