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Über die Lernresistenz der österreichischen Bildungspolitiker

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Alle Jahre wieder kommt der OECD-Bericht „Education at a Glance“. Und Jahr für Jahr wird dem österreichischen Schulsystem bescheinigt, dass es im internationalen Vergleich überdurchschnittlich viel kostet und nur Unterdurchschnittliches  leistet. Insbesondere wird die geringe Bildungsmobilität kritisiert,  im österreichischen Schulsystem sind vor allem die Kinder aus der höheren Bildungsschicht erfolgreich. Der Schulerfolg korreliert positiv mit dem Bildungsstand der Eltern. Die PISA-Studien weisen regelmäßig nach, dass  rund 20 % der Schüler am Ende der Schulpflicht  die Bildungsziele in der Muttersprache (vor allem im Lesen) und in der Mathematik  nicht erreichen.

Für die hohen Kosten des Schulsystems werden vor allem die im internationalen Vergleich niedrige durchschnittliche Klassenschülerzahl und die vergleichsweise hohen Lehrergehälter verantwortlich gemacht. Beides sind jedoch positive Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Schule. Der Fehler muss daher in der Schulorganisation liegen.

Dem Schulsystem fehlt eine gemeinsame Schule für die Zehn- bis Vierzehnjährigen, eine Gesamtschule. Es handelt sich dabei nicht um einen Ladenhüter sozialdemokratischer Schulpolitik, sondern um eine Voraussetzung für Bildungschancengleichheit. Das haben die meisten europäischen Staaten längst erkannt, die Staaten Skandinaviens ebenso wie die Südeuropas einschließlich Frankreichs. Man kann sich noch an das Erstaunen der Tiroler Politiker erinnern, als im PISA-Test die Südtiroler „Scuola Media“ bessere Leistungen aufwies als das österreichische Sekundarschulsystem.

Die Mittelstufe des österreichischen Schulsystems mit dem Nebeneinander von AHS-Unterstufe und der Neuen Mittelschule  wirkt sich auf die Grundschule aus. Die Qualifikation für die AHS mit der Beurteilung mit mindestens „Gut“ in Deutsch und Mathematik am Ende der vierten Schulstufe führt zur Bevorzugung der tatsächlich oder vermeintlich Befähigten. Sie zu fördern steht im Vordergrund, die Unterstützung leistungsschwächerer Schüler wird weniger beachtet. Eine wesentliche Ursache ist das Klassenlehrersystem in der Volksschule. Bei der vorgesehenen Reform der Volksschule wird ist ein Zweilehrersystem in der 4. Schulstufe unbedingt notwendig. Es erlaubt den Lehrern die fachdidaktische Vertiefung in Deutsch oder in der Mathematik. Es führt aber auch zu einer Objektivierung der Leistungsbeurteilung. Das Lehrerteam kann dem Druck von überengagierten Eltern besser standhalten.

Neben  der Elternwahlschule der AHS-Unterstufe steht als Pflichtschule die Neue Mittelschule. Ihre schultypeninterne Organisation ist fragwürdig. Die Leistungsdifferenzierung ist intransparent und damit nicht motivationssteigernd.   Wer kann „grundlegende Allgemeinbildung“ von „vertiefter Allgemeinbildung“ (abgesehen von dem fragwürdig verwendeten Begriff Allgemeinbildung) im leistungsheterogenen Klassenverband unterscheiden. Es fehlt der Motivationsfaktor des Dazugehörens zu einer leistungsstärken Gruppe. Außerdem trägt die Allgemeine Mittelschule nahezu die ganze Inklusions- und Integrationsarbeit im Mittelstufenbereich. In ihren Klassenverbänden finden sich die behinderten und die Migrantenkinder. Trotzdem gelingt es ihr, rd. ein Drittel ihrer Schüler für den Übertritt in die Oberstufe der höheren und mittleren Schulen zu qualifizieren. Sie versorgt schon jetzt die als vorzüglich beurteilten berufsbildenden höheren Schulen mit den meisten Schülern. Einer echten Gesamtschule würde das allerdings noch besser gelingen. Die zweite „Drehscheibe im Schulsystem entschärft zum Glücke die verfrühte erste nach der Grundschule. Es würde aber die zweite nach der Mittelstufe genügen, so wie dies international weitgehend üblich ist.

Insbesondere die  ÖVP ist offenbar von schul- und bildungspolitischen Argumenten von ihrer „in Stein gemeißelten“ Ablehnung  der Gesamtschule nicht abzubringen. Sie lehnt damit aber auch Bildungschancengerechtigkeit ab und trägt zur Spaltung der Gesellschaft bei. Die Volksschulkinder werden als Nachweis benützt, zu einem besseren, einem  besonderen Teil der Gesellschaft zu gehören. Sie werden zu politisch konservativen Bürgern, zu einem Wählerpotential der ÖVP.

In einigen Wortmeldungen der Unterrichtsministerin Hammerschmied in den vergangenen Wochen (insbesondere bezüglich der weiteren Schulversuche mit Gesamtschulen bis 2022) schien zum Ausdruck zu kommen,  sie hätte sich den ÖVP- Forderungen bereits wieder angepasst. Mit ihrem Vorstoß für die wichtigen integrierten („verschränkten“) Ganztagschulen hat sie jedoch wieder ein Reizthema der ÖVP gefunden. Hier hat sie aber auch mit dem Widerstand eines Teils der Lehrerschaft zu kämpfen, welche die Halbtagsschulen über die Nachhilfestunden zur privat finanzierten Ganztagsschule machen und damit ihr Gehalt aufbessern können. Der Ministerin ist Glück zu wünschen, sich auf diesem für eine sozialdemokratische Schulpolitik wichtigen Bereich durchzusetzen.