Weitermachen, Herr Bildungsminister! Das Mittelstufenproblem des österreichischen Schulsystems ist noch nicht gelöst!
Artikel druckenDas Schulpaket, das Bildungsminister Faßmann im Ministerrat vorgetragen hat, umfasst wichtige schulpolitische Anliegen. Nun müssen den Worten Taten folgen.
Im Programm finden sich Reformen der Neuen Mittelschule (NMS), deren Bedeutung als Zubringerschule zu den Oberstufen der höheren Schulen hervorgehoben wird. Diese zweite Drehscheibe des österreichischen Schulsystems macht die verfrühte Entscheidung über die Schullaufbahn nach der vierten Klasse der Grundschule erträglich und sichert mehr Bildungsgerechtigkeit. Der Bildungsminister vergisst aber die berufsbildenden höheren Schulen zu erwähnen, die ja die große Mehrheit ihrer Schüler aus der NMS rekrutiert. Diese Selektionsfunktion erfordert eine gezielte Begabungsförderung, die in der NMS derzeit nicht ausreichend gelingt. Ursache ist die Form der Leistungsdifferenzierung und Leistungsförderung.
In leistungsheterogenen Klassen der NMS ist die Diagnose der grundlegenden oder vertieften Allgemeinbildung schwierig und überfordert den Lehrer. Im Zweifelsfall oder auf Grund des Drucks der Eltern werden die Beurteilungen gegeben, die einen prüfungsfreien Übertritt in die höheren Schulen gewährt. Insbesondere die Lehrer der berufsbildenden höheren Schulen (BHS) klagen über die Zahl der Schüler mit Leistungsmängeln bei den Abgängern der NMS im Vergleich mit der abgeschafften Hauptschule. Die Folge ist das Ansteigen der Versagerquoten nach der ersten Klasse der BHS.
Die vorgesehene Einführung der Leistungsgruppenbildung in den Sprachen und in Mathematik ist daher sinnvoll. Sie orientiert sich am Modell der Wiener Mittelschule. Die Bezeichnung des oberen Anspruchsniveaus, welches das AHS-Niveau erreichen soll, als „Entwicklungsgruppe“ vermeidet den Leistungsbegriff. Die Durchlässigkeit zwischen den unterschiedlichen Anspruchsebenen war auch in der Hauptschule vorgesehen. Da die Leistungsdifferenzierung aber bereits ab der ersten Klasse praktiziert wurde, waren die Leistungsgruppen in der dritten und vierten Klasse weitgehend stabilisiert.
Zu bedauern ist jedoch die rückwärtsgerichtete Reform der NMS. Ein echter Fortschritt wäre die Einführung der gemeinsamen Schule (Gesamtschule) der Zehn- bis Vierzehnjährigen, in der NMS und Unterstufe der AHS verbunden wären. Regionale Benachteiligungen in den Bildungschancen könnten nur in dieser Schulform abgeschafft werden. Die vorgesehene Reform löst auch das Problem der NMS in den größeren Städten im Sog der AHS nicht. Da dem Bildungsminister die Einsicht wohl nicht fehlt, ist sein geringer Mut bedauerlich.
H.S.