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Das Pädagogikpaket 2018: Worum es der neuen Bildungspolitik wirklich geht!

von Klaus Satzke
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Das Pädagogikpaket 2018 (BGBl. 101/2018) hat mit Pädagogik nicht allzu viel zu tun, es sei denn, man sieht im Rückgriff auf die alte Ziffernbeurteilung in der Volksschule sowie auf 2 Leistungsniveaus in der Mittelschule (Erinnerung an die 2 Klassenzüge der Hauptschule nach 1962) und der Möglichkeit von Leistungsgruppen (Erinnerung an die Hauptschulreform 1982) eine Wiederkehr bislang verschütteter pädagogischer Weisheiten. Warum diese doch eher bescheidenen „Reformen“ gleich zu einem Paket geschnürt werden mussten, erklärt sich aus der Absicht, die Neuigkeiten da und dort mit ein paar Autonomiebestimmungen zu behübschen und – im Bereich der Mittelschule – aus der Notwendigkeit, die Übertrittsbestimmungen in andere Schularten auf der Basis der „neuen“ Lernniveaus (Standard bzw. Standard AHS) zu regeln. Außerdem war man offenbar der Ansicht, auch die Polytechnische Schule könne wieder einmal ein paar neue Impulse gebrauchen (freiwillige Wiederholung in einem 10. Schuljahr; Leistungsdifferenzierung in Lerngruppen), um ihre nicht enden wollende Lebensfähigkeit zu beweisen. In Summe führt das zur Novellierung von sage und schreibe 13 verschiedenen Gesetzen, was sicherlich der Einarbeitung in die diversen schulgesetzlichen Materien des Ministers Faßmann förderlich gewesen sein mag.

Die große Oppositionspartei SPÖ hat sich schon im Begutachtungsverfahren und dann auch im Parlament völlig zu Recht vor allem über das Wiederaufleben der Ziffernbenotung und der Wiedereinführung des Sitzenbleibens ab der 2.Klasse der Volkschule empört. Weniger deutlich fiel die Positionierung beim Thema der Mittelschule aus, wohl auch deshalb, weil man selbst im Lehrplan schon vor einigen Jahren eine Unterscheidung zwischen grundlegender und vertiefter Allgemeinbildung eingebaut hat, die nun von der neuen Regierung dazu benutzt wird, bei jeder passenden und unpassenden Stelle im Gesetz ein klare Unterscheidung zwischen diesen „Lernniveaus“ zu verlangen. Anzumerken ist an dieser Stelle, dass die Umsetzung des  Reformeifers der neuen Regierung in Bildungsfragen gar nicht möglich wäre, hätte die SPÖ als Oppositionspartei zu Zeiten der Regierung Schüssel nicht ohne Not auf die 2/3-Mehrheit bei den wichtigsten Schulgesetzen verzichtet.

Das eigentliche Problem des Pädagogikpaketes sind auch nicht die vordergründigen im Paket ersichtlichen Veränderungen wie beispielweise die Ziffernnoten, sondern die klar erkennbare Tendenz zur punktuellen Überprüfung, zur Kontrolle und zur Intervention von oben. Wenn Minister Faßmann über Schulreife nachdenkt, dann geht’s es ihm offenbar nicht um ein differenziertes Fördern und Unterstützen eines Entwicklungsprozesses, sondern um eine schein-exakte Momentaufnahme (Schuleinschreibung) mit der Konsequenz der Zuweisung, Abweisung und Umlenkung. Er ist Getriebener eines Regierungsprogrammes, das er offenbar kritiklos exekutiert. Einige Kostproben  aus dem Kapitel Elementarpädagogik des Regierungsprogramms sollte man sich daher in Erinnerung rufen:

  • Verbindliche Anwendung des Bildungsrahmenplanes in allen elementarpädagogischen Einrichtungen
  • Genau definierte Kernkompetenzen
  • Festschreibung von Kontrollen der Qualitätsstandards – rasches Eingreifen und Konsequenzen bei Missständen
  • Verstärkte Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten der öffentlichen Hand bei Missachtung der vorgegebenen Regeln

Die Rede ist hier von der Gestaltung des Schuleintritts- und Schuleingangsbereichs, einer der  besonders sensiblen Zonen im Schulwesen. Das Ziel sollte es doch sein, die Lernbereitschaft und Lernfreude der Schulanfänger zu wecken, auszubauen und  Neugier, Interesse und Leistungsbereitschaft kontinuierlich zu entwickeln. Die aktuelle Bildungspolitik macht das Gegenteil, kündigt  jede Menge an punktuellen Überprüfungen, von den Sprachstandsfeststellungen über die neu zu bearbeitenden Schulreifekriterien bis zu individuellen Kompetenz- und Potentialmessungen, und alles garniert mit weiteren Testverfahren. Ja, die Schule braucht Rückmeldungen über die Lernergebnisse und über Entwicklungsfortschritte! Was von den Ministerinnen Schmied, Heinisch-Hosek und Hammerschmid mit Augenmaß und Sensibilität begonnen wurde, gerät offenbar nun in die Hände von Kontrollfreaks, die der Auffassung sind, dass Schullaufbahnen das Ergebnis von Behördenentscheidungen sein sollten. Man frage sich in diesem Zusammenhang, was aus einer ÖVP-Bildungspolitik geworden ist, die noch vor 1 ½ Jahren in Koalition mit der SPÖ eine ganz andere Linie vertreten hat. Welche Rolle darf schrankenloser Opportunismus in der Bildungspolitik spielen?

Die echten strukturellen Probleme der Volksschule geraten vor lauter Prüfen, Messen und Kontrollieren aus dem Blickfeld. Mit dem Erreichen der 3. Schulstufe beginnt für viele Schüler und Eltern der Kampf um das erforderliche Notenkalkül für die AHS. Die „neue“ Bildungspolitik ist offenbar der Meinung, man müsse die Eltern vom Wunsch abbringen, ihrem Kind den Besuch jener Schule zu ermöglichen, die – dank einer pervertierten Bildungspolitik - die besseren Rahmenbedingungen für einen Schulerfolg bietet. Was sich hier als neue Aufgabe für die Volksschule abzeichnet, das ist das Abraten und Umlenken auf der Basis von Kompetenzmessungen und Testverfahren. Im „Pädagogikpaket“ nehmen die Ausführungen über die „Information der SchülerInnen und deren Erziehungsberechtigten“ breiten Raum ein. Grundsätzlich wäre da nichts einzuwenden, allein „man erkennt die Absicht und ist verstimmt“. Dabei ist die eigentliche Aufgabe der Volkschullehrer und Volksschullehrerinnen wirklich schwer genug. Sie müssen unter dem Druck der Schulbahnentscheidung am Ende der 4. Schulstufe einen beträchtlichen Teil der ihnen anvertrauten Schüler auf die AHS vorbereiten,  dabei aber keinesfalls jene Gruppe übersehen, bei denen es eigentlich und  primär um die Vermittlung jener Grundkompetenzen geht, die als Mindestanforderung für den weiteren Bildungsweg unerlässlich sind. Wir wissen, dass das vielfach gelingt, wir wissen aber auch (siehe PISA), dass diese Grätsche aber auch nicht selten misslingt. In dieser zentralen Frage hat das Pädagogikpaket nahezu nichts anzubieten! Testverfahren und Beratungsgespräche machen für sich alleine die Schüler nicht klüger und den Unterricht nicht erfolgreicher. Auch die unterschwellige Drohung „Stärkung der Aufsicht über Bildungseinrichtungen, stärkere Sanktions- und Kontrollmöglichkeiten“ (siehe Regierungsprogramm, „Zieldefintion Punkt 4“) hat rückblickende betrachtet die Schule noch nie wirklich besser gemacht. Solange nicht etwas von dem Druck genommen wird, der auf der Volksschule in der Übertrittszone zur Sekundarstufe I lastet, ist das erforderliche umsichtige und differenzierte Unterrichten von Schülern unterschiedlicher Begabungen und mit unterschiedlichen Voraussetzungen nicht immer leistbar. Das Pädagogikpaket aber macht das Gegenteil, statt Entlastung erhöht es den Druck, weil die Verantwortlichen glauben, dass Schulreform auf Datensammeln, Kontrolle und Lenkung von Schulbahnentscheidungen beruht.

Letztendlich ist dasselbe Konzept auch bei der „Neue Mittelschule“ erkennbar, die nun in Zukunft das Beiwort „neu“ verliert. Darüber hinaus geht es aber auch um deutlich ideologische Akzente. Man hat sich ja im Regierungsprogramm ausdrücklich zum „bewährten differenzierten Schulsystem“ bekannt. Die im Gesetz enthaltenen „Aufgaben“ von AHS und Mittelschule unterscheiden sich nun um einiges deutlicher als bisher und der Unterricht muss in Hinkunft bereits ab der 6. Schulstufe klar zwischen den Lernniveaus der grundlegenden und der vertieften Allgemeinbildung unterscheiden. Und damit es keine Missverständnisse gibt, sind im Lehrplan für die 6. bis 8. Schulstufe in Deutsch, Mathematik und Lebende Fremdsprache die Leistungsniveaus „Standard“ und „Standard AHS“ mit jeweils eigenen fünfstufigen Notenskalen vorzusehen. Die Schulleitung kann entscheiden, ob in den genannten Gegenständen die Schüler zeitweise oder dauernd in Schülergruppen zusammengefasst werden können, dies aber selbstverständlich nur  im Rahmen der zur Verfügung stehenden Personalressourcen. Es soll an dieser Stelle gar nicht der Versuch unternommen werden, das Für und Wider von äußerer und innerer Differenzierung aufzuarbeiten. Eltern und Schüler wissen ohnehin, dass es allemal leichter ist, an vielen AHS-Standorten mit einem „gerade noch“ Genügend weiterzukommen, als in der oberen Leistungsgruppe einer Mittelschule mit sehr flexiblen Abstufungsmöglichkeiten zu verbleiben.

Die aktuelle bildungspolitische Philosophie lautet offenbar:

  • Wenn man im Bereich der Sekundarstufe I die Parallelführung zweier niveaudifferenzierter Schulformen aufrechterhalten will, dann muss man der „Abstimmung mit den Füßen“ durch viele Eltern Einhalt gebieten. Dem dienen offenkundig die Steuerungs- und Lenkungsmaßen in der Grundschule.
  • Damit das nicht – insbesondere im großstädtischen Bereich – auf den massiven Unmut der Eltern stößt, muss man eine gewisse Bereitschaft zeigen, Geld in die Hand nehmen, um zumindest die ärgsten Probleme (Stichwort „Brennpunktschulen“) in den Griff zu bekommen.

Das ist die Bildungspolitik dieser Regierung! Man erhöht den Druck auf die Volksschule und glaubt, dass man mit Kontrolluntersuchungen und schulbehördlichen Maßnahmen damit über die Runden kommt. Zu vermuten ist, dass man den Umfang der erforderlichen Ressourcen für Reparaturarbeiten am kranken System unterschätzt, ebenso wie die Hartnäckigkeit der Eltern, wenn es um die Zukunftschancen ihrer Kinder geht.

Unbestreitbar ist, dass die Situation in der Sekundarstufe I auf Grund der Blockaden durch die ÖVP (siehe 7. SchOG-Novelle 1982) als durchaus verfahren anzusehen ist. Handeln  in Richtung eines entschärften Schulübertritts, etwa durch Orientierungszonen und mehr Kooperation anstelle noch tieferer Gräben zwischen den Schularten wäre erforderlich! Dass aber der derzeitigen Koalition aus ÖVP und FPÖ im Rahmen des Pädagogikpaketes lediglich Maßnahmen einfallen, die das Rad der Schulentwicklung zurückdrehen wollen, das ist ebenso  bemerkenswert wie beunruhigend. Man darf gespannt sein, wie die betroffenen Eltern dieses Paket bewerten werden, sobald es in seinen Auswirkungen sichtbar wird.

K.S.