Helmut Seel / Warum denn halbe Sachen machen ?
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Der niederöstereichische Landeshauptmann Erwin Pröll hat in die bildungspolitische Debatte den Vorschlag eingebracht, die Volksschule um zwei Schulstufen zu verlängern. Die Begründung mit der seiner Ansicht nach derzeit verfrühten Entscheidung über die Bildungslaufbahnen nach der 4.Schulstufe und die daraus abgeleitete Verschiebung zum Ende der 6.Schulstufe der Volksschule ist für einen maßgebenden Politiker der ÖVP beachtenswert. Dies bedeutet ja auch – da die Volksschule Gesamtschule in dem Sinn ist, dass sie von allen Schülern der Altersstufe besucht wird - , ein Bekenntnis zur Gesamtschule als Form der Schulorganisation. Frau Bundesministerin Schmied will lt.Pressemeldung vom 2.5. (Kleine Zeitung, Standard) diese Variante prüfen lassen.
Man kann dazu eine Hilfestellung anbieten. Die Idee der Verlängerung der Grundschule ist ja nicht neu. Ein ähnliches Modell der Differenzierung in Schultypen erst nach der 6.Schulstufe wurde als Alternative zur Integrierten Gesamtschule bereits 1971 in der 4.Schulorganisationsgesetz-Novelle vorgesehen. Dieser Schulversuch hat sich aber nicht bewährt und wurde schon bald nach Beginn der Versuche wieder aufgelassen. Denn der anschließende Übertritt in das differenzierte System der Schultypen gelingt problemlos nur in die allgemeinbildende höhere Schule, die in diesem Fall mit der 7.Schulstufe (als 1.Klasse) beginnt. Für alle Interessenten für das berufsbildende Schulwesen muss jedoch eine neue Schulform (eventuell „Realschule“ oder „Polytechnische Schule“) für die Schulstufen 7 bis 9 eingerichtet werden, mit Übertrittsmöglichkeiten in BHS und BMS bereits nach der 8.Schulstufe.
Der Eintritt in die AHS nach der 6.Schulstufe ist eine selektive Maßnahme und diskredidiert damit den Rest der Schülerinnen und Schüler und damit die Schulen, in welche diese später übertreten wollen. In diesem Rest finden sich aber auch die Aspiranten für die BHS als einer ebenfalls zur Matura führenden Schulform, deren Absolventen auf Grund langjähiger Erfahrung den Leistungsvergleich mit der AHS durchaus aushalten. An den berufsbildenden höheren Schulen maturieren seit Jahren mehr Schülerinnen und Schüler als an der AHS. Ein zweites Problem ergänzt das erste. Wenn leistungsfähige Schülerinnen und Schüler nach der 6.Schulstufe in die AHS eintreten, sich aber nach der 8.Schulstufe zum Eintritt in eine berufsbildende höhere Schule entscheiden, ergibt sich für sie die Notwendigkeit eines weiteren Schulwechsels bereits nach zwei Schuljahren in der AHS.
Daher keine halben Sachen machen und auch die 7. und 8.Schulstufe in einer ausgebauten Volksschule belassen ! Damit hätte man die oft beschworene einheitliche Schule für die Sechs- bis Vierzehnjährigen erreicht.
Im internationalen Vergleich findet sich eine solche Schulorganisation in den skandinavischen Staaten: Finnland Gesamtschule (9 Schuljahre, 7 – 16); Schweden „grundskola“ (9 Schuljahre, 7 – 16); Norwegen „grunnskole“ (9 Schuljahre, 6 – 16); Dänemark folkeskole (9 Schuljahre, 7 – 16). Die ersten sechs Schuljahre werden überall im Klassenlehrersystem geführt. Ab der 7.Schulstufe unterrichten in Finnland Fachlehrer. Fachliche Vertiefungern in der Oberstufe (7. – 9. Schulstufe) sind in Schweden, Leistungskurse und Dänemark zu finden. Die Leistungsfähigkeit dieser skandinavischen Schulsysteme steht nicht in Frage. Dies kann aus den Rangplätzen abgeleitet werden, welche diese Staaten in den „PISA“-Untersuchungen erreichen. Sie liegen mit Ausnahme von Norwegen deutlich besser als Österreich.
Warum dann also neben der Vielzahl der Schulversuche in Österreich nicht auch einer, der mit einer neunklassigen „extensiven Grundschule“ das Ideal der einheitlichen Schule für die Sechs- bis Fünfzehnjährigen (Ende der Schulpflicht) zu erreichen versucht ? Die „extensive Grundschule“ könnte sich in eine Primarstufe (sechs Schulstufen mit Klassenlehrerunterricht) und in eine Sekundarstufe (Schuljahre 7 – 9) mit Fachlehrerunterricht und fachspezifischer Leistungsdifferenzierung gliedern. Der Übertritt in weiterführende Schulen der Oberstufe (AHS, BHS, BMS) wäre nach der 8. Schulstufe und nach der 9.Schulstufe vorzusehen, abhängig vom Leistungsstand des Schülers.
Der Fächerkanon der derzeit im Schulorganisationsgesetz vorgesehenen Volksschul-Oberstufe entspricht dem der Hauptschule (und damit im Wesentlichen auch dem der AHS-Unterstufe) und hat sich bereits derzeit in seinem „Lehrstoff ... je nach den örtlichen Gegebenheiten am Lehrplan der Hauptschule zu orientieren“ (SchOG § 10 (3)). Solche besonderen „Gegebenheiten“ könnten auch Schulversuche sein.
Die Einrichtung einer „extensiven Grundschule“ würde keine besonderen gesetzlichen Regelungen brauchen (vgl. SchOG §§ 9 – 12), vor allem keine Verfassungsbestimmungen. Ob für die Eingliederung der 9. Schulstufe die Bestimmungen des § 31 des SchOG ausreichen, wäre zu prüfen.
Die Wege zu gemeinsamen Schule für die Sechs- bis Fünfzehnjährigen in Form einer Gesantschule können verschieden sein. Die „Extension der Volksschule als Grundschule“ stellt zweifellos einen solchen neben der „Integration der Schulen der Sekundarstufe I“ dar.