Helmut Seel / Bruchstücke der "Lehrerausbildung Neu" gefällig ?
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Die Expertengruppe für die „Lehrerausbildung Neu" hat im März 2010 einen umfassenden Bericht mit einem ambitiösen Reformprogramm vorgelegt Ein Defizit in der österreichischen Schulorganisation machte den Experten zu schaffen, die wohl ein stufenorientiertes Schulsystem als zeitgemäß erachten, hinsichtlich des Bezugs zur Schulrealität aber an den Schularten festhalten mussten, da die Gliederung des Schulsytems im § 3 des Schulorganisationsgesetzes den Sekundarschulbereich nicht in die Sekundarstufe I und Sekundarstufe II differenziert.
Der Bericht der Expertenkommission enthält auch einen vernünftigen Zeitplan für die Umsetzung (S. 87). Bis März 2011 sollte die Diskussion laufen, bis März 2012 wäre die Zeit der Einarbeitung der Diskussionsergebnisse und der Vorbereitung der gesetzlichen Maßnahmen, welche im Herbst 2012 im Parlament zu beschließen wären. Bis März 2014 sollte die Curriculumentwicklung laufen. Anschließend sollte bis März 2015 die Ausschreibung und Besetzung der Planstellen erfolgen. Der Beginn des neuen Lehramtsstudiums wird für Herbst 2015 vorgesehen.
Nun kann es den beiden Ministerinnen Schmied und Karl offenbar gar nicht schnell genug gehen. Ohne den Diskussionsverlauf abzuwarten, wurde am 10.11. 2010 eine „Vorbereitungsgruppe" aus anderen Experten eingesetzt, welche „das Papier in Richtung Umsetzung herunterbrechen" (Karl) soll. Die Formulierung ist unklar. Ist mit „Herunterbrechen" nur eine neudeutsche Formulierung für Verwirklichung gemeint ? Oder ist damit ein Auftrag zur grundsätzlichen Zerstücklung des Konzepts anvisiert ? Eher ist wohl das gemeint, was man volkstümlich als „über`s Knie brechen" bezeichnet und der Zeitgewinn ist von Bedeutung !
Dahinter steckt wohl der Zeitdruck, der sich aus dem Koalitionsabkommen ergibt: Die „Bologna"-Struktur der Lehramtsstudien an den Universitäten soll noch in diesen Regierungsperiode eingeführt werden. Man will also wohl aus diesem Grund die Ausbildung der Lehrer für die höheren Schulen aus dem Gesamtkonzept ohne Diskussion „herausbrechen". Damit könnten auch die um ihre Ausbildungsprivilegien bangenden Lehrer der höheren Schulen und ihre Gewerkschaft beruhigt werden.
Im Bericht der Expertenkommission ist nämlich vorgesehen: „Für Studierende , die eine Beschäftigung im bereich der höheren Schulen anstreben" (S, 52), ist ein Bachelorstudium im Umfang von 240 ECTS-Punkten (8 Semester) vorgesehen (60 im Kernbereich sowie je 90 in den beiden Fächern). Im Gegensatz dazu heißt es: „Studierende, die eine Beschäftigung in Sekundarschulen anstreben" (gemeint sind wohl die Hauptschulen), haben ein sechssemestriges Bachelorstudium im Umfang von 180 ECTS-Punkten (60 Kernbereich, 60 erstes Fach, 30 zweites Fach, 30 pädagogischer Schwerpunkt) zu absolvieren.
Diese Differenzierung hat zur Folge, dass die Entscheidung für das Lehramt an höheren Schulen bereits bei Studienbeginn zu fallen hat und später keine Durchlässigkeit mehr besteht. Das Masterstudium für die Lehrer an höheren Schulen (120 ECTS-Punkte. Kernbereich 30, beide Fächer je 30, pädagogische Vertiefung 30) kann in der zweijährigen Induktionsphase begleitend durchgeführt werden. Fazit: Der Voll-Lehrer-Status wird von den zukünftigen AHS-Lehrern in sechs Jahren gegenüber derzeit fünfeinhalb Jahren (einschließlich Unterrichtspraktikum) erreicht.
Das rasche Herausbrechen der universitären Lehrerbildung für die Lehrer an höheren Schulen ohne ausführliche Diskussion vermeidet eine Initiative für eine stärkere Integration der Lehrerbildung, nämlich die Gestaltung eines einheitlichen Bachelorstudiums für alle Fachlehrer der Sekundarstufe I (Hauptschule und AHS-Unterstufe). Zur Differenzierung sollte es erst im Rahmen des Masterstudiums (eventuell mit unterschiedlicher Dauer) kommen: für die Sekundarstufe II mit Betonung der fachwissenschaftlichen Ausbildung, für die Sekundarstufe I mit erweiternden erziehungswissenschaftlichen Schwerpunkten im Hinblick auf die Alterstufe der Zehn- bis Vierzehnjährigen.
„Speed kills !" Das eilige Herausbrechen der Reform des universitären Lehramtsstudiums aus dem Gesamtkonzept torpediert die umfassende Reform der Lehrerausbildung ! Und im bildungspolitischen Rückblick: Es wäre wohl besser gewesen, 2007 zunächst das im Hinblick auf den Hochschulstatus defizitäre Gesetz über die Pädagogischen Hochschulen, das die SPÖ im Parlament abgelehnt hatte, zu reformieren. Dann wäre die Zusammenführung der hochschulischen Ausbildung der Lehrer der Hauptschulen und der universitären Ausbildung für die Unterstufe der AHS im Rahmen der „Lehrerausbildung Neu" leichter möglich gewesen. Der einheitliche Lehrer für die Sekundarstufe I ist eine wesentliche Voraussetzung für eine Mittelschule als gemeinsame Schule für alle Zehn- bis Vierzehnjährigen.