Klaus Satzke / Welche Rahmenbedingungen benötigt eine "Gemeinsame Schule der Vielfalt"?
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Mit der Trademark „Gemeinsame Schule der Vielfalt“ ist Bundesministerin Schmied eine gute Markenbezeichnung gelungen, die mindestens 3 Botschaften enthält:
Es ist an der Zeit, sich bei der aktuellen Schulreformdiskussion von altem Begriffsinventar zu lösen. Es geht im Bereich der Sekundarstufe I darum, Gemeinsamkeiten zu definieren und zu sichern. Ein gemeinsamer Rahmen schließt Vielfalt mit ein und sicher nicht aus.
Die aktuelle Diskussion über Schulversuche mit ihrer verwirrenden und da und dort wohl auch wirren Ideenvielfalt hat einerseits die Brauchbarkeit der Trademark als Überbegriff für sehr unterschiedliche Vorhaben erwiesen, andererseits aber auch die Notwendigkeit verdeutlicht, einige Gemeinsamkeiten dieses Begriffes abzuklären. Der Zeitpunkt für klärende Worte erscheint eigentlich bereits überschritten, zumindest aber überfällig zu sein. Dabei geht es mit Sicherheit nicht darum, enge Rahmenregelungen festzulegen, sondern eher darum, eben diesen weiten Rahmen in wichtigen Punkten abzustecken. Wenn dies nicht sehr bald geschieht, dann ist die Ressortleiterin nicht ganz frei zu sprechen vom Vorwurf eines sich anbahnenden Schulversuchschaos, das wohl von machen Wortspendern auch bewusst intendiert ist. Im Folgenden wird versucht, Kriterien für einen derartigen Rahmen zu benennen und zur Diskussion zu stellen.
Vermeiden einer frühen Schulbahnentscheidung im Eingangsbereich der Sek. I durch
- Erhaltung und Fortführung der in der Volksschule gebildeten Lerngemeinschaft.
- Bildung von Lerngruppen (Klassen) unter Erhaltung der regionaltypischen Begabungsstreuung (z. B. durch Schulsprengel) anstelle der derzeitigen Schularten- und Typengliederung in HS und AHS.
- durch freie Wahl der Schule (unter Beachtung von organisatorischen Mindesterfordernissen wie Wohnortnähe, Geschwister etc.) im Hinblick auf eine vorhandene Angebotsvielfalt anstelle der derzeitigen Schularten- und Typengliederung in HS und AHS.
Sicherstellung gleicher Übertrittsbedingungen in die Sek. II (insb. die AHS – Oberstufe) für alle Schulen auf der Grundlage gleicher / vergleichbarer Lehrpläne sowie gleicher Entscheidungskriterien z. B. durch Standards bzw. Notenkalküle.
Sicherstellung eines nachhaltigen Qualitätsmanagements für den Unterricht durch die Schulbehörden bzw. die Schulaufsicht unter Einbeziehung von Institutionen der Schulentwicklung (Pädagogische Hochschulen)
- Die Schulen entscheiden (bzw. vereinbaren auf der Ebene der Schulpartner) eine standortspezifische Form der Individualisierung und Differenzierung.
- Die Schulen erhalten eine den besonderen Standortbedingungen adäquate Unterstützung (berufsintegrierte bzw. kollegiale Lehrerfortbildung und Beratung).
- Einsatz vergleichbar qualifizierter (oder zusätzlich zu qualifizierender) LehrerInnen.
- Wissenschaftliches Monitoring der Lernerfolgsergebnisse und der Schulzufriedenheit inkl. Feedback an die Schule.
- Evaluierung der Lernerfolgsergebnisse in einer Bildungsregion; Berücksichtigung im aktuellen Qualitätsprozess.
Die oben genannten Rahmenbedingungen bedürfen in 3 wesentlichen Punkten einer präziseren Kommentierung:
Die Vielfalt der schulischen Angebote innerhalb gemeinsamer Rahmenbedingungen (Eintritt, Übertritt, Qualität) ist ein konstitutives Element der „Gemeinsamen Schule der Vielfalt“, die weder diese Rahmenbedingungen selbst in Frage stellen darf, noch sich in einer oberflächlichen „Buntheit“ erschöpfen sollte. Es geht um inhaltliche Schwerpunktsetzungen (z. B. Erweiterungen des Konzepts von Allgemeinbildung, Pflege naturwissenschaftlicher Interessenrichtungen), um alternative Unterrichtskonzepte (z. B. unter Einbeziehung von Alternativschulelementen), um die Einbeziehung von Spezifika des schulischen Umfeldes etc. Anzustreben ist eine sich nach oben hin ausdifferenzierende Vielfalt, die sich jedenfalls auch als Antwort auf Mängel des bestehenden Systems mit seiner eindimensionalen Differenzierung in HS und AHS und die veraltete AHS Typengliederung versteht, eines Systems, das derzeit nur unzureichend auf die Schulbahnentscheidung mit 14 bzw. die notwendige Interessen- und Begabungsdifferenzierung im Bereich der 14 – 18-jährgen vorbereitet.
Ein systematisches und konsequentes Qualitätsmanagement geht von der begründeten Annahme aus, dass es sowohl auf der Ebene der Qualitätsziele (Merkmale guten Unterrichts und zeitgemäße Formen der Individualisierung und Differenzierung) als auch auf der Ebene der Qualitätsprozesse (Schulprogramme, Einrichtung von Steuergruppen, kollegiale Fortbildung etc.) umfangreiche wissenschaftliche Erkenntnisse und internationale Erfahrungen gibt, die auch im österreichischen Schulwesen eine Berücksichtigung finden müssen. Die institutionellen Voraussetzungen hiefür (Pädagogische Hochschule, Bundesinstitut für Bildungsforschung, Schulaufsicht) sind im Ansatz vorhanden und weiter zu entwickeln. Die Einführung einer komprehensiven Schulorganisation im Bereich der Sekundarstufe I bedarf jedenfalls unter den Gegebenheiten der österreichischen Schulentwicklung (versäumte Einführung in den 70er-Jahren und die sich daran anschließende weitere negative Ausdifferenzierung zwischen HS und AHS) eines längerfristigen, planvollen Schulentwicklungsprozesses, der die bestehenden Qualitätsmängel schrittweise behebt und gleichzeitig die Glaubwürdigkeit dieses Prozesses in der Öffentlichkeit sichert. Schritte in diese Richtung wären ehebaldigst zu setzen, um weitere tief greifende Beschädigungen zu vermeiden.
Die oben beschriebene Gesamtkonzeption ist ihrem Charakter nach ein Schulentwicklungsprojekt, das einer Prozessstrategie bedarf (die in diesem Zusammenhang mehrfach genannten 8 Jahre erscheinen realistisch), die es durchgehend erlaubt, auf aktuelle Bedürfnisse einzugehen und erkennbare Probleme zu korrigieren. Es geht also weniger um eine exakte Definition von Endzielen, als um eine Abklärung von Prozessbedingungen bzw. eine Klärung von Entscheidungsvorgängen im Prozess. Schulversuchskonzepte im Sinne einer Erprobung von „fertigen Modellen“ und nachträglicher Entscheidung über eine Einführung oder Verwerfung erscheinen in diesem Sinne eigentlich unzeitgemäß und wissenschaftlich überholt. Sofern aber der Bedarf nach Schulversuchsmodellen unabweisbar sein sollte, ist eine entsprechend Modifikation von „Schulversuche in Modellregionen“ mit klar definiertem Prozesscharakter vorstellbar.