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Bildungspolitik – ein Zustandsbild

von Klaus Satzke
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Helmut Seel hat es vor etlichen Jahren (2006) auf den Punkt gebracht: Als die SPÖ (damals in der Oppositionsrolle) auf die Zweidrittelmehrheit bei Schulgesetzen verzichtete und ausgerechnet in der heiklen Gesamtschulfrage einer mehr als fragwürdigen Formulierung zustimmte, sprach er von Laienspielern, die in der Bildungspolitik agieren.
Lisa Nimmervoll (Standard, 23.8.2012) fasst die Versäumnisse an der Jugend kürzlich mit den Worten zusammen: „Das beginnt bei den jahrelang verschleppten, nur mühsam in Gang zu bringenden Schulreformen, wo man, ideologisch verbohrt, wissentlich international lang erfolgreich Bewährtes nicht und nicht umsetzt.“

Und Bernd Schilcher analysiert (Standard v. 11.3.2012): „ Eine wirkliche Reform des Bildungssystems würde auch sofort zu einer Auseinandersetzung mit den Ländern führen. Die Regierungsspitze hat Angst, wenn sie tatsächlich eine Reform angeht, zum Beispiel in der Schulverwaltung, würden die Länder sofort sagen: Okay, herbei mit allen restlichen Schulkompetenzen. Dann machen wir die Schule. Und die Gewerkschaft würde versuchen, ihre Position noch mehr zu bestärken. Und bevor es dazu kommt, machen Kanzler und Vizekanzler lieber gar nichts und bremsen ihre Minister ein.“
Resümiert man die Resultate der bildungspolitischen Bemühungen in der laufenden Legislaturperiode in zentralen Bereichen oder fragt man nach den Folgewirkungen eines Bildungsvolksbegehrens mit immerhin 300.000 Unterschriften, dann sieht man die kritischen Beurteilungen bestätigt und man fragt sich, was die strukturellen Ursachen für den Zustand der Bildungspolitik sein könnten.

Bildungspolitische Funktionsträger – Wer tut sich das an?
Dass Dilemma beginnt schon damit, dass es einfach nicht attraktiv ist, in der österreichischen Bildungspolitik Verantwortung zu übernehmen, weil alle Erfahrungen der letzten Jahrzehnte auf geringe Erfolgschancen verweisen. Das führt schon von Haus aus zu einer gewissen Selektion bei jenen Personen, die sich das antun wollen.
Hinzu kommt, dass sich der Bildungsbereich aufgrund seiner Komplexität, zu der auch ein hohes Maß an historischem und ideologischem Ballast beiträgt, nicht einfach auf die Aufgabe für ein gewieftes Polit-Management reduzieren lässt. Gefragt sind ein gewisses Maß an Insiderwissen, Übersicht über die großen Zusammenhänge und Hartnäckigkeit.

Tages- und Ankündigungspolitik als Ausweg?
Zum Schaden des Bildungswesens hat sich – gewissermaßen als „Antwort“ auf diese schwierigen Gegebenheiten - in den letzten Jahren eine Bewältigungsstrategie herausgebildet, die sich bewusst auf Tagespolitik beschränkt, maximal auf den Zeitraum der laufenden Legislaturperiode angelegt ist und im Wesentlichen auf Ankündigungen und ein werbewirksames Strohfeuer setzt. Der personelle Ausbau und die Zusammensetzung der Ministerbüros spricht hier eine beredte Sprache.
Unter diesen Voraussetzungen kommt eine Bildungspolitik, die langfristige Ziele im Auge hat, aber darum weiß, dass diese Ziele nur in hartnäckiger, kleinschrittiger und konsequenter Art und Weise zu erreichen sind, regelmäßig unter die Räder. Dies vor allem auch deshalb, weil Bildungspolitik selten bis nie auf der Unterstützung und dem Engagement der unmittelbar Betroffenen, seien es Schüler, Lehrer oder Eltern aufbaut.

Ist die Politik noch handlungs- und lösungsfähig?
Es ist auch nicht mehr zu übersehen, dass sich die Frage der grundsätzlichen Machbarkeit von notwendigen größeren Systemumstellungen keinesfalls exklusiv auf das Schulsystem beschränkt, sondern in ähnlicher Form auch andere gesellschaftliche Bereiche betrifft und im Grund eine kritische Frage an die Leistungsfähigkeit des bestehenden politischen Modells für Demokratie darstellt.
Der Bildungsbereich hätte allerdings den Vorteil, dass er von einer zunehmenden Zahl von Bürgerinnen und Bürgern als Dienstleistungsbetrieb verstanden wird, der wesentliche Verantwortung für individuelle Lebensschicksale übernehmen und Voraussetzungen für gelingende gesellschaftliche Entwicklungsprozesse schaffen muss. Mit anderen Worten, es gibt Bewusstsein für eine notwendige Dynamik, die dazu führen sollte, sich den aktuellen Herausforderungen zu stellen.
Verwaltung statt Steuerung und Entwicklung?
Unter dieser Perspektive betrachtet ist das Bildungssystem längst nicht mehr als ein großer Verwaltungsapparat zu verstehen, der vorhersehbare Aufgaben in immer gleicher Weise abwickelt und sich auf das Lösen von Standardproblemen beschränken kann. Das Verständnis von Schule, die Teil eines Verwaltungsapparates ist, der alles Wesentliche ausschließlich auf der Ebene von gesetzlichen Regelungen und Verwaltungsakten „vollzieht“, sollte ausgedient haben. Zu offenkundig ist auch geworden, dass es im Rahmen der „verwalteten Schule“ in Wahrheit um Machtausübung und Interessenwahrung geht und Schule sich in der Geiselhaft von lokalen und regionalen politischen Organisationen befindet.

Mangel an Reflexionsfähigkeit
Es genügt aber nicht, die Bildungspolitik auf den wachsenden Handlungsbedarf hinzuweisen. Die Bildungspolitik selbst scheint kaum mehr in der Lage zu sein, die system- und institutionenbedingten Ursachen zu erkennen bzw. zu artikulieren und ist daher auch nicht fähig, Alternativkonzepte zu denken, zu entwickeln und durchzusetzen. Über sie ist daher auch nicht die Lösung von Problemen zu erwarten, weil sie selbst Teil des Problems ist.

Vorschläge aus dem Verfassungskonvent und ihr Schicksal
Nachhaltig bestätigt sieht sich diese These, wenn man das Schicksal der Überlegungen zum Bildungsbereich im sogenannten Verfassungskonvent (Juni 2003 – Jänner 2005) verfolgt. Was immer man von den Vorschlägen im Einzelnen hält, es ging richtiger Weise um die Aufgabe eines Überdenkens bzw. einer Neufassung von Zuständigkeiten für Schule auf den verschiedenen Körperschaftsebenen und – daraus resultierend – um eine veränderte Behördenorganisation.
Dahinter stand die richtige Erkenntnis, dass die verfassungsmäßigen und auch einfachgesetzlichen Grundlagen unseres Schulwesens zu aufwändigen Leerläufen führen, zum Eingrenzen und Abgrenzen, zum Verschleiern von Verantwortlichkeiten und zum gegenseitigen Behindern von Entwicklungsprozessen.
Mit anerkennenswertem Mut und Engagement hat sich die Regierung Gusenbauer 2006 dieses Themas angenommen:
„Auf der Grundlage der Arbeiten des Österreich-Konvents und des diesbezüglichen Besonderen Ausschusses wird eine Verfassungsreform vorbereitet, die vor allem .... verfassungsrechtliche Grundlagen für eine Verwaltungsreform und nicht zuletzt eine Verfassungsbereinigung umfasst.
Zur Formulierung der notwendigen Rechtstexte wird beim Bundeskanzleramt eine Expertengruppe eingerichtet, der von Seiten der SPÖ Dr. Kostelka und Dr. Öhlinger, von Seiten der ÖVP Dr. Fiedler und Dr. Khol sowie zwei Vertreter der Landeshauptleute-Konferenz angehören. Sie hat ihre Vor - schläge bis zum 30. Juni 2007 zu erstatten, auf deren Grundlage die Beratungen im Parlament mit dem Ziel stattfinden, die Verfassungsreform bis Ende des Jahres 2007 zu beschließen." (Regierungserklärung 2006)

Heute weiß man, dass diese Bemühungen, die auch noch in der laufenden Regierungsperiode fortgesetzt wurden, absolut erfolglos verliefen, obwohl von der genannten Arbeitsgruppe ein konkreter Textentwurf für Umsetzungsschritte vorgelegt wurde. Die Art und Weise der Diskussion (zu echten Verhandlungen ist es nie gekommen) kann nur als Farce bezeichnet werden und musste schließlich durch ein Machtwort des Kanzlers abrupt und ergebnislos beendet werden.

Das Bildungsvolksbegehren im Parlament – ein Desaster
Ein Nachspiel gab es dann noch im Zuge der Behandlung des von Dr. Androsch initiierten Volksbegehrens im Parlament. Trotz (zunächst glaubhafter) Versicherungen der Parlamentarier, man werde sich um konkrete Ergebnisse bemühen, die zumindest eine gewisse Signalwirkung in Richtung eines vorhandenen Reformbewusstseins geben sollten, gab es am Ende der Beratungen eine absolute Leermeldung des Parlaments.