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Modellregionen – Prozentgrenzen ohne Sinn!

von K. L. Satzke
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Im politischen Geschehen ist oftmals die fatale Neigung zu beobachten, komplexe Sachverhalte auf einige wenige Punkte zu reduzieren, begrifflich unscharf zu fassen und dann als Kampfbegriffe in die politische Arena zu tragen. Das ist schwer erträglich und nicht selten einfach nur peinlich! Aktuelle Beispiele für dieses Phänomen sind in der Flüchtlingspolitik die Diskussionen über  „Obergrenzen“, in der Bildungspolitik die Auseinandersetzung über „Modellregionen“ und deren Begrenzung durch ein Prozentlimit. Man sollte doch glauben, dass „Region“ ein zentraler Begriff für politisches Handeln in den verschiedensten Bereichen ist (Regionalplanung, Regionalverkehr, Regionalparlamente …), der ohne eine gewisse Klarheit des Begriffes nicht sinnvoll verwendet werden kann. Leider ist so eine Klärung in der Bildungsreformkommission nicht erfolgt. Eine Bildungsregion kann nicht einfach durch einen Prozentanteil von Schulen definiert werden, sondern sie stellt eine gewachsene regionale Einheit dar, die bestimmte  strukturelle Eigenschaften (beispielsweise Bevölkerungsdichte, das bestehende Schulangebot und dessen Erreichbarkeit, das soziale und kulturelle Umfeld, Merkmale des Arbeitsmarktes etc.) besitzt mit vielfältigen Auswirkungen auf das Schulsystem.

Unter Missachtung dieser Gegebenheiten einem Bundesland im Detail vorschreiben zu wollen, wie viele Schulen in einer Modellregion zusammenarbeiten dürfen, das ist schlichtweg unsinnig. Im Falle des Bundeslandes Vorarlberg, das in eine Modellregion gerade einmal 1,5 Gymnasien einbeziehen könnte, kann man eigentlich nur einen bewussten Bosheitsakt vermuten. Im großstädtischen Bereich, wo die Schulen der Sekundarstufe I dicht nebeneinander liegen, ist eine Abgrenzung in „Sub-Regionen“ schlichtweg kontraproduktiv, weil künstliche Regionen genau das verhindern würden, was man eigentlich erreichen sollte: Endlich einmal Gesamtschule mit der  gesamten Begabungsbandbreite einer Schülerpopulation erproben! Mit der vorliegenden Absichtserklärung ist Vorarlberg und Wien jedenfalls automatisch „draußen“. Eine Begrenzung von Versuchsprojekten mag politisch wünschenswert oder notwendig sein, aber bitte nicht mit dem Rasenmäher! Die aktuelle Diskussion erweckt aber eben diesen Eindruck, dass es lediglich um die Änderung der Einer- oder Kommastelle einer Prozentzahl ginge!

Weiß man eigentlich, was man erproben will? Viele Rahmenbedingungen sind im Regelschulwesen längst definiert:

  • In den 70er-Jahren wurde Leistungsdifferenzierung (in LG) mehr als 10 Jahre erprobt und minutiös evaluiert!
  • Seit den 80er-Jahren haben wir gemeinsame, über weite Strecken wortidente Lehrpläne für Hauptschulen und Allgemeinbildende höhere Schulen!
  • Eine bereits eingeleitete neue Lehrerbildung wird sicherstellen, dass wir in den kommenden 10 Jahren immer mehr gleich (hoffentlich auch gut) qualifizierte Lehrer an allen Schulen der Sekundarstufe haben werden.
  • Mit der neuen Mittelschule haben wir ein in sich stimmiges – auch politisch akkordiertes - Modell, das genügend Spielräume für standortspezifische Anpassungen ermöglicht, das allerdings auch anspruchsvoll ist und eine beträchtliche Herausforderung für die beteiligten Schulen darstellt.
  • Und wir haben ganze Bibliotheken gefüllt mit wissenschaftlichen Belegen darüber, dass eine Selektion von 10-Jährigen zu früh ist und eine organisatorische Trennung bei den 14-Jährigen früh genug ist.

 Was soll eigentlich erprobt werden?

Eine Weiterentwicklung des Schulwesens in Bildungs- /Modellregionen könnte zeigen, dass eine spätere Selektion und eine wirklich bewältigte Differenzierung im Sinne eines Förderns und Forderns einiges zum Besseren wenden kann. Das wird aber nur möglich sein, wenn die Bildungspolitik damit aufhört, abgehobene Scheindiskussionen zu führen, und sich den eigentlichen Problemen zuwendet.

 Ein zentrales Problem sind die ganz unterschiedlichen Lernkulturen, die an den Neuen Mittelschulen einerseits und den Gymnasien andererseits– auch unter den neuen Rahmenbedingungen einer Modellregion – zusammenfinden müssen. In Vorarlberg hat man dieses Problem offenbar erkannt und lenkt das Projekt „Modellregion“ in die Richtung eines breit angelegten Schulentwicklungsprojektes mit hohen Qualitätsansprüchen.

Im Papier der Bildungsreformkommission finden sich in diese Richtung zwar auch einige schöne Worte, gleichzeitig hat man dem Reformkonzept aber entscheidende Giftzähne eingepflanzt, die den Erfolg kleinhalten oder verhindern sollen. Darüber zu reden wäre wichtiger, als nur zu hoffen, dass mit Hilfe der Opposition vielleicht die Prozentgrenze für die Modellregionen angehoben werden kann.

 Vor dem Hintergrund der aktuellen Budgetprobleme des BMBF ist der ausdrückliche Auftrag,  „den Modellregionen dürfen keine zusätzlichen Mittel vom Bund zur Verfügung gestellt werden“, schlichtweg zynisch und letztlich uneinlösbar. Wer zahlt beispielsweise die Kosten für die Bundeslehrer an Pflichtschulen?

  • Die letzten Worte im Modell-Region-Paket „Erstmalige Evaluation 2015“ heißt im Klartext: In zehn Jahren treffen wir wieder zusammen und reden über politische Konsequenzen. Bis dahin verweisen wir auf die fehlende Evaluation und sind aus dem Schneider!
  • Ein Projekt dieser Dimension und Dauer braucht eine Prozessevaluation, um im Prozess notwendige Korrekturen veranlassen zu können. Davon steht im Papier aber rein gar nichts! Die im Text auftauchende „wissenschaftliche Begleitung“ ist jedenfalls keine Prozessevaluation! Und wozu gibt es eigentlich die Evaluation der Bildungsstandards?
  • Es gibt keinen Zeitplan im Papier bzw. – zwischen den Zeilen – einen höchst unklaren. Wann kann mit den Modellregionen in der Sekundarstufe I begonnen werden? Als Überschrift ist von der Schule der 6-14-Jährigen die Rede, es fehlt aber jeder Hinweis auf konkrete Reformabsichten im Bereich der Volksschule.  Dient das alles nur als Vorwand für eine 4-jährige Wartezeit im Sekundarbereich?

K.S.