Wer oder was verhindert Schulreform? – Eine Analyse im Anschluss an Andreas Salcher
von Klaus SatzkeArtikel drucken
Die österreichische Diskussion über Schulreform ist um eine präzise Analyse der Schulrealität reicher, aber leider um die Hoffnung auf eine eben solche Ursachenanalyse über das Versagen der Schulpolitik ärmer.
Andreas Salcher hat für den Sammelband “Chancengerechtigkeit. Wir sind dafür” einen Beitrag mit dem Titel “Die Chancengerechtigkeit in der Schule und ihre Feinde” geschrieben, der überdeutlich die Fakten der Bildungsmisere offen legt. Schonungslos spricht er vom
• Land der sozialen Diskriminierung,
• dem Land der Analphabeten,
• dem Land der Hilfsarbeiter und
• vom Land der No-Future-Generation.
Die Analyse gipfelt in der Feststellung:
„Wenn nicht eine grundlegende Reform gelingt, dann wird sich der Abstieg unseres öffentlichen Schulsystems fortsetzen. Jeder, der es sich irgendwie leisten kann, wird sein Kind in eine Privatschule geben. Im öffentlichen Schulsystem werden die Kinder der bildungsfernen Schichten übrig bleiben. … Aber die Zukunft für ein kleines Land wie Österreich mit seinen 1,2 Millionen Schülern kann nur in einem öffentlichen Schulsystem liegen, das die Talente seiner Kinder fördert und nicht systematisch zerstört, nur weil jedes Vierte davon in die ‚falsche‘ Familie am ‚falschen‘ Ort geboren wurde.“
Andreas Salcher verharrt aber nicht in der Position des Kritikers, er weist vielmehr darauf hin, dass das Wissen um die Merkmale einer guten Schule durchaus kein Geheimnis ist und nennt konkrete Kriterien, die mit hoher Wahrscheinlicht einen breiten Konsens sowohl bei Fachleuten als auch in der Öffentlichkeit finden können:
• Systematisches Erfassen von Stärken und Schwächen der Schüler,
• ein klarer Verhaltenskodex für Schüler und Lehrer,
• eine übersichtliche Zeitstruktur und Räume, die sich an den Bedürfnissen der Schüler orientieren,
• Lehrer, die im Team arbeiten und den ganzen Tag in der Schule zur Verfügung stehen,
• eine exzellente Schulleitung, die Menschen führen und begeistern kann und Einfluss auf die Auswahl der Lehrer hat,
• ein Unterricht, der über die klassischen Fächer hinausreicht und das Lernen von sozialen Erfahrungen erlaubt,
• die konsequente Einbindung der Eltern in das Netzwerk der Schule,
• und - das Wichtigste: Alle, der Direktor, die Schüler, die Lehrer und die Eltern verstehen sich als Lernende. Lernende, die Fehler machen dürfen, ohne Sanktionen befürchten zu müssen; Lernende, die Widerstände in sich selbst und bei anderen zu überwinden lernen, Lernende, die nicht die Fehlschläge und gescheiterten Versuche, sondern die Erfolge und Fortschritte zählen.
Wenn es um die Frage der Umsetzung dieses Programms geht, dann pilgert Andreas Salcher zu den verantwortlichen Politikern, bietet diesen sein Expertenwissen an und stellt mit Entsetzen fest:
„Sie wollen das Offensichtliche nicht sehen, weil sie Angst vor dem Widerstand gegen das Neue haben. Sie klammern sich wider besseres Wissen am Alten fest. Sie orientieren sich nicht an den Reformern, sondern an den Bremsern.“
Salcher mag damit Recht haben, aber eine exakte Ursachenanalyse ist das nicht. So präzise die Mängel-Analyse für den Bereich des Schulwesens ausfällt, so ungenau und verschwommen gerät sie für den Bereich der Politik.
Klar, unsere ehemaligen Großparteien kämpfen verbissen um die ebenfalls kleiner werdende Mitte in unserer Gesellschaft und stellen fest, dass bei jeder Reform zunächst einmal immer jemand dagegen ist. Wenn man diese Wähler nicht verlieren will, macht man am besten gar nichts. Längerfristige Erfolge sind uninteressant, weil dazwischen immer irgendeine Wahl ist, die schlecht ausgehen könnte. Soweit – so schlecht! Ist das alles nicht eine Beweisführung für die Unregierbarkeit eines Landes? Eher ist es Beweis für die Ratlosigkeit einer Politik, die sich gerne für alles verantwortlich macht, und sei es nur, um sich schützend vor die eigene Wählerklientel zu stellen und um sie vor den vermeintlich teuflischen Plänen des politischen Gegners zu schützen.
• Was in der Analyse Salchers fehlt, das ist zunächst einmal eine Kritik an der viel zu hohen Politisierung des Schulbereiches in Angelegenheiten, wo Politik keine sinnvolle Rolle spielen kann. Dass Schulpolitik immer auch in hohem Ausmaß Personalpolitik war und ist, das ist bekannt. Dass Politik aber auch über das kleinste Reförmchen entscheiden muss, das ist Selbstüberforderung. Wann erfolgt die nächste Plattitüde eines Landeshauptmannes /einer Landeshauptfrau zu Schulreformfragen? Verstehen sie wirklich etwas von den Aufgaben und Anforderungen der Schulentwicklung oder glauben sie nur, etwas davon zu verstehen, weil sie kraft Gesetz Präsidenten der Landesschulräte sind?
• Zu kritisieren wäre aber auch die Makrostruktur eines Schulsystems, das eine überdehnte Verwaltungsstruktur mit einem überzogenen Polit-Anspruch verbindet, der alle Systemveränderungen und Strukturentscheidungen „politisch“ herbeiführen will.
• Aus diesem „Verständnis“ von Schule erklärt sich wohl auch die Tatsache, dass eine Schulautonomie, die ihrem Namen gerecht wird, nicht und nicht vom Fleck kommt und eher als eine Autonomiekarikatur zu bezeichnen ist.
• In einem Atemzug mit Schulautonomie ist auch der Bedarf nach einem Ausbau der schulpartnerschaftlichen Mitwirkungs- und (demokratischen) Kontrollrechte zu nennen.
• Der überzogene Gestaltungs- und Entscheidungsanspruch des politischen Systems äußert sich einerseits in einer viel zu hohen Ideologisierung im Grundsätzlichen und einer Blockierung im Praktischen. Ideologie wird zum Vorwand für Veränderungswillen.
Politik müsste sich endlich darauf beschränken, die wesentlichen Rahmenbedingungen für Schulreform sicherzustellen und nicht immer wieder mit Schulversuchen und Teilreformen (=Hauptschulreformen) Zeit und Geld zu verschwenden.
o Zu solchen Rahmenbedingungen gehört im sensiblen Mittelstufenbereich die Abschaffung der kuriosen Schulbahnentscheidung mit dem 10. Lebensjahr, an der gleichermaßen Eltern, Schüler und die Lehrer der Grundschule leiden.
o Eine weitere Rahmenbedingung wäre die Sicherstellung von Grundqualifikationen an allen Schulstandorten. Das ist im Wege eines Monitorings und sowie mit dem Projekt Bildungsstandards und den heute zur Verfügung stehenden Instrumentarien für ein Controlling durchaus machbar.
o Innerhalb dieses Rahmens wär dann ausreichend Platz für eine Schulentwicklung, die sich etwa an den Salcherschen Überlegungen für einen individualisierenden, aber nicht einebnenden Unterricht orientiert, der gleichermaßen Unterqualifikation verhindert und Begabungen auf allen Ebenen und Niveaus fördert. Wenn die Rahmenbedingungen stimmen, dann kann es innerhalb dieses Rahmens auch Vielfalt geben!
o Eine Vielfalt allerdings, die sich nicht blind nur an den Einzelproblemen des Schulstandortes orientiert, sondern den Zusammenhang mit den regionalen Gegebenheiten berücksichtigt. Daher gehört zu den Rahmenbedingungen auch eine Verwaltungsreform, die sich nicht an Bundesländergrenzen orientiert, sondern sinnvolle Bildungsregionen schafft.
Wahrscheinlich wird auch diese Argumentationslinie „den Widerstand gegen das Neue“, wie es Salcher nennt, bei der traditionellen Politik hervorrufen. Aber zu leicht sollte man es den Verantwortlichen nicht machen! Selbstreflexion und eine neue Art von Politik sind zu fordern!