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Die Reform der Lehrerbildung – weiterhin eine Wunschvorstellung

von Helmut Seel
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Die aktuelle Situation ist geprägt durch Schwierigkeiten bei der Harmonisierung der Mitwirkungswünsche der Schulverwaltung mit der Autonomie der Trägerinstitutionen der Lehrerbildung.
Es gibt keine Lehrerbildung „an sich“. Lehrer lehren immer jemanden etwas. Das zu Lehrende und die zu Lehrenden bestimmen Ziele und Inhalte der Lehrerbildung. Institutionalisierte Lehrerbildung wird immer von der Institution Schule bestimmt, in der die Lehrer lehren sollen. Schulorganisationsformen, Lehrpläne und Stundentafeln, Leistungsbeurteilungsrichtlinien sind konstituierende Bedingungen der Lehrerbildung. Allerdings kann Lehrerbildung in zwei Schritten erfolgen. Zunächst können allgemeine wissenschaftliche Grundlagen vermittelt werden, welche für Lehrerbildung bedeutsam sind: Pädagogik in systematischer und historischer Dimension, Psychologie, Soziologie. Anthropologie, Politologie und anderes. Auf diesen Grundlagen kann dann eine schulstufen- und schulartenspezifische Lehrerbildung aufbauen. Wenn die öffentliche, die staatliche Schule sich verändert, reformiert wird, muss das in der Lehrerbildung ihren Niederschlag finden. Der staatliche Einfluss auf die Lehreraus- und Fortbildung ist unabdingbar.

Wenn die Lehrerbildung in Institutionen erfolgt, die vom Träger der Schulverwaltung eingerichtet und geführt werden, kann dieser Zusammenhang problemlos hergestellt werden. Erfolgt die Lehrerbildung hingegen in Institutionen, die nicht der Schulverwaltung unterstellt sind, können Probleme hinsichtlich der Einflussnahme der Schulverwaltung auf die Lehrerbildung entstehen. Es sind grundsätzlich zwei verschiedene Formen des Zusammenwirkens möglich. Eine Variante ist die in Deutschland praktizierte Form der Lehrerbildung. Zunächst werden die Grundlagen der Lehrerbildung an den Universitäten studiert. Daran schließt eine zweijährige schulsystembezogene Ausbildung (Referendariat) an, welche an Studienseminaren erfolgt, die von der Schulverwaltung eingerichtet und geführt werden.

In Österreich ist man einen anderen Weg gegangen, nämlich den der Sicherung des Einflusses der staatlichen Schulverwaltung in den Universitätsgesetzen. Er soll in seiner Entwicklung in der Zeit der Zweiten Republik charakterisiert werden. 1945 wurde mit einigen geringfügigen politisch bedingten Änderungen die „Prüfungsvorschrift für das Lehramt an Mittelschulen“ aus dem Jahr 1936 wieder eingeführt. Diese Lehramtsprüfung war eine Staatsprüfung, deren Inhalte in der Prüfungsordnung definiert wurden. Die Universitäten bereiteten in einem achtsemestrigen, in zwei Studienabschnitte gegliederten Studium auf diese Prüfung vor. Ein akademischer Grad wurde durch die Prüfung nicht erworben. Ein Probejahr an der Schule, ergänzt durch Veranstaltungen im Rahmen der Lehrerfortbildung, sorgte als Einführungsdienst für die schulpraktische Ausbildung, diente aber auch als Befähigungsnachweis, als Voraussetzung für die Aufnahme in den Schuldienst.

Eine weitreichende Reform der Lehrerbildung an der Universität erfolgte durch das Gesetz über Geistes- und naturwissenschaftliche Studienrichtungen (GNStG) 1971. Die Lehrerbildung für die höheren Schulen wurde als neunsemestriges Diplomstudium mit Magistergraduierung eingerichtet, in dem jeweils zwei Lehramts-Studienzweige der Fachwissenschaften einschließlich der Fachdidaktik und - quasi als dritte Studienrichtung - die Pädagogische einschließlich der schulpraktischen Ausbildung verbunden waren. Der Wissenschaftsminister verordnete die Studienordnungen der Diplomstudien, wobei bei den Lehramtsstudien das Unterrichtministerium ein Mitspracherecht hatte. Das Probejahr wurde abgeschafft. Dem Anspruch, in diesem Lehramts-Diplomstudium eine abgeschlossene Lehrerausbildung zu gestalten, konnte allerdings nur bedingt Rechnung getragen werden. Die Zeit für die pädagogische und schulpraktische Ausbildung war zu gering bemessen, die fachwissenschaftlichen Studien nahmen kaum auf die Bedürfnisse der Unterrichtsgegenstände (Unterrichtsfächer) Rücksicht und die Fachdidaktik wurde zu wenig beachtet. Auf Drängen des Unterrichtsministeriums wurde daher 1988 das einjährige Unterrichtspraktikum als Einführungsdienst eingeführt. Die angeleitete Lehrertätigkeit wird durch Veranstaltungen der Lehrerfortbildung ergänzt, über eine Abschlussprüfung kann der Eintritt in den Schuldienst kontrolliert werden. Damit wurde auch einem Wunsch der Lehramtsstudenten auf Ersatz des Probejahres entsprochen: Der Rechtsanspruch auf den Eintritt in das einjährige Schulpraktikum nach dem Studienabschluss hat auch erwünschte arbeitsrechtliche Folgen.

Eine weitere Reform der universitären Lehramtsstudien erfolgte im Universitätsstudiengesetz (UniStG) 1997, das zwei wesentliche Veränderungen brachte. Es wurde eine eigene Diplomstudienrichtung „Lehramt“ geschaffen. In dieser sind die fachlichwissenschaftlichen Studien für zwei gewählte Unterrichtsgegenstände, die dazugehörige Fachdidaktik sowie die pädagogische und schulpraktische Ausbildung vereinigt. Damit kann dem inhaltlichen Unterschied zwischen der jeweiligen wissenschaftlichen Disziplin und dem gleichnamigen Unterrichtsgegenstand besser Rechnung getragen werden. Die zweite Neuerung war der Verzicht der staatlichen Einflussnahme auf die Diplomstudien durch Studienordnungen. Das Gesetz legt vielmehr die Vorgangsweise zur Erstellung oder Veränderung der Curricula an den Universitäten durch Begutachtungsverfahren fest. Der Bundesminister kann bei Verfahrensfehlern (insbesondere bei Mängeln in der Durchführung der Begutachtungsverfahren) die Approbation der Curricula verweigern.

Im Universitätsgesetz (UG) 2002, das neben dem UOG 1993 auch das UniStG 1997 ersetzt, bleiben die Strukturen der universitären Lehrerbildung des UniStG weitgehend erhalten. Diese Reform im Sinne des UniStG ist an manchen Universitäten noch nicht zufriedenstellend abgeschlossen. Einige Universitäten ziehen derzeit eine wesentliche Konsequenz aus der Einführung der Studienrichtung „Lehramt“ durch die Institutionalisierung von „Schools of Education“. In diesem Rahmen kann die fachwissenschaftliche Ausbildung im Hinblick auf das jeweilige Unterrichtfach besser organisiert werden, kann endlich eine Differenzierung der Ausbildung für den Mittelstufen- und Oberstufenunterricht in der AHS berücksichtigt werden und kann den unterschiedlichen Bedingungen des Oberstufenunterrichts an allgemeinbildenden bzw. berufsbildenden höheren Schulen Aufmerksamkeit geschenkt werden.

Im UG 2002 wird allerdings der Zusammenhang von Schulsystem und Universität abgeschnitten, da die Universitäten die Autonomie in der Gestaltung der Curricula sowohl der Lehrerausbildung als auch der Lehrerfortbildung beanspruchen (vgl. Positionspapier der Österreichischen Universitätenkonferenz zur Pädagog/innenbildung NEU vom 15.10.2012). Diese Forderung lehnt die Unterrichtsministerin zu Recht als eine zu weit gehende Autonomie ab. Sie wünscht sich eigene Pädagogische Universitäten, wohl nach dem organisationsrechtlichen Muster des UOG 1993. Auch die im Positionspapier bekundete Bereitschaft der Universitäten zur Übernahme der gesamten Lehrerbildung für die Sekundarstufe I und die Sekundarstufe II ist zu hinterfragen. Damit würde die Hierarchisierung der Lehrerbildungsstätten fortgeschrieben. Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass den Universitäten noch nicht einmal die Differenzierung der AHS-Lehrer-Ausbildung hinsichtlich der Sekundarstufen I und II gelingt. Und bezüglich der pädagogischen und didaktischen Betreuung der Schüler, welche den Eintritt in die AHS-Unterstufe nicht erreichen konnten oder wollten, weisen die Universitäten keinerlei Erfahrungen auf. Zuletzt ist auch auf die unterschiedliche dienstrechtliche Situation in den beiden derzeitigen Ausbildungsstätten hinzuweisen, welche in der Novellierung des Beamtendienstrechts hinsichtlich der Lehrer an Pädagogischen Hochschulen weiter festgeschrieben wird.

Der Entwicklungsrat für die PädagogInnenbildung NEU greift die Frage des Zusammenwirkens von Schulverwaltung und Lehrerbildung nicht auf, denkt aber nicht an die Übertragung der Lehrerbildung an die Universitäten, sondern beschreibt nur die Anforderungen für die zukünftigen Trägerinstitutionen der Lehrerbildung und empfiehlt zunächst die Kooperation der bestehenden Institutionen in einem Verbundsystem.

Der Vorschlag des Entwicklungsrates für die PädagogInnenbildung zu „Gesetzlich zu fixierende Anforderungen an die Ausbildung von PädagogInnen im Elementar-, Primar- und Sekundarbereich (Sek I, Sek II)“ vom 3. 10. 2012 präsentiert ein modernes Stufenlehrerkonzept. Dem steht jedoch ein Schulsystem gegenüber, dessen rückständige Organisationsstruktur die international übliche Stufengliederung in Sekundarstufe I und Sekundarstufe II nicht aufweist. Gemäß § 3 des Schulorganisationsgesetzes (SchOG) ist das österreichische Schulsystem in Primarschulen und Sekundarschulen gegliedert. Letztere umfassen alle Schularten ab der 9. Schulstufe, von der Polytechnischen Schule über die AHS-Langform bis zu den berufsbildenden höheren Schulen. Um die Geschlossenheit der AHS-Langform nicht zu gefährden, hat die ÖVP die übliche Gliederung der Sekundarstufe nach dem ISCDE-Gliederungsschema der UNESCO bislang abgelehnt.

Die genannten Vorschläge zu gesetzlichen Fixierung der neuen Lehrerbildung setzen eine Reform der Schulorganisation voraus. Diese ist jedoch nicht in Sicht, hat doch erst kürzlich die SPÖ-Unterrichtsministerin als Preis für die Zustimmung der ÖVP zur Einführung der Neuen Mittelschule ohne Evaluationsstudien zum Vergleich mit der Hauptschule die Beibehaltung der AHS-Langform zugesichert. Man kann gespannt sein, wie die „entsprechenden rechtlichen Regelungen“ aussehen, welche „von den jeweils zuständigen Ressorts vorgelegt werden“ sollen (Ergebnis der Regierungsklausur, 9. 11. 2012). Eine vollzogene Reform der Lehrerbildung kann die Bundesregierung daher am Ende der Gesetzgebungsperiode nicht als Erfolg verbuchen !