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Die Gesamtschul-Resistenz der ÖVP beschädigt?

von Helmut Seel
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Die ideologischen Fronten sind klar. Die ÖVP lebt politisch davon, die Interessen der echt oder vermeintlich sozial Privilegierten gegenüber dem Anspruch der SPÖ zu verteidigen, allen Staatsbürgern, auch den Angehörigen unterer sozialer Schichten, gleiche Rechte und Ansprüche zu erschließen. Ein wesentliches Instrument der Entwicklung einer Mentalität, zu den Besseren in der Gesellschaft zu gehören, ist die eigene Schule für die Privilegierten. In diese gilt es möglichst früh einzutreten: de jure nach der 4. Volksschulklase in die AHS-Unterstufe, de facto bereits in der Volksschule, in der die Lehrer die vermeintlichen Eliteschüler bereits früh zu erkennen glauben und - manchmal auch auf Druck der Eltern - diese Kinder dann besonders fördern. Dies geht auf Kosten der Unterstötzung der anderen, weniger leistungsorientierten oder leistungsfähigen Schüler. Hier liegt insbesondere der Grund dafür, dass in der internationalen Leistungsvergleich-Studie PISA ein im Vergleich zu anderen Schulsystemen in Österreich hoher Anteil schlechter Leistungen (Risikoschüler) aufgewiesen wird. Was diesbezüglich in der Grundschule verursacht wird, kann in der Sekundarstufe I nicht ausgeglichen werden, insbesondere wenn die Kinder der sozial Elitären bereits in einer „Sonderschule für Privilegierte“ beschult werden.

Die Wirtschaft denkt längst anders. Sie braucht vor allem ausreichend Leistungsfähige für die Lehrberufe. Die Vernachlässigung der weniger befähigt Erscheinenden im Schulsystem reduziert jedoch die Qualität der Arbeitskräfte. Die Bundes-Wirtschaftskammer ist daher schon einiger Zeit für eine Schulorganisation mit einer Gesamtschule auf der Sekundarstufe I eingetreten. Daurch wäre eine Selektion in der Grundschule nicht notwendig und eine bessere Förderung aller Schüler möglich. Erst neulich hat die Wirtschaftskammer Vorarlberg ein „Bildungspaket gegen den Stillstand“ vorgelegt, in welchem eine Modellregion Vorarlberg „für eine gemeiunsame Schule der Zehn- bis Vierzehnjährigen mit innerer Leistungsdifferenzierung“ gefordert wird.

Interessant ist, dass auch der Landeshauptmen Tirols Platter aus der schulpolitischen Linie der ÖVP ausgeschert ist und für eine Gesamtschule eintritt. Das Motiv dafür liegt wohl auch in einem kürzlich veröffentlichten Vergleich der Schülerleistungen in Tirol und Südtirel an Hand der PISA-Untersuchung zur Lesekompetenz. In Südtirol besteht die italienische Schulorganisation: Auf eine fünfklassige Grundschule folgt eine dreiklassige allgemeine Mittelschule (Scuola media).

In einer vom Meinungsforschungsinstitut SORA („Ursachen unterschiedlicher Schüler- und Schülerinnenleistungen in Tirol und Südtirol“) auf Anstoß der Tiroler Arbeiterkammmer duch geführten Analsyse der PISA-Befunde über die Leseleistungen (Schwerpunkt in der Untersuchung 2009) ergab sich ein Leistungsvorsprung der Südtiroler Schüler: OECD-Durchschnitt 496 Punkte, Österreich 470 Punkte, Italien 486 Punkte, Tirol 463 Punkte, Südtirol 490 Punkte.. Das schlechte Ergebnis Österreichs und Tirols ist – wie bereits mehrfach aufgewiesen – durch den höheren Anteil schlechter Leistungen (Risikoschüler) bedingt. Der Anteil der Risikoschüler beträgt in Tirol 31 %, in den deutschsprachigen Mittelschulen Südtirols nur 16 %.

Angesichts solcher Daten ist er auch für lokale ÖVP-Politiker schwierig, die bestehende österreichische Schulorganisation zu verteidigen. Die ÖVP-Spitzes sollte daher Landeshauptmann Platter nicht zu sehr kritisieren, sondern zur Kenntnis nehmen, dass die Reform-Resistenz hinsichtich der gemeinsamen Schule für alle Zehn- bis Vierzehnjährigen einen weiteren Kratzer abbekommen hat.