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Zum wiederholten Mal: Die gemeinsame Schule für alle Zehn- bis Vierzehnjährigen ist dringendst einzurichten!

von Helmut Seel
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Zum Optimismus für die Gesamtschule der Zehn- bis Vierzehnjährigen besteht leider kein Grund. Hat doch die sozialdemokratische Unterrichtsministerin Schmied der ÖVP den weiteren Bestand der AHS-Unterstufe zugesichert, um deren Zustimmung für den fragwürdigen Ersatz der Hauptschule durch die Neue Mittelschule zu erhalten. Aber vielleicht „höhlt steter Tropfen“ der Kritik und bewirkt eine Aufweichung der ver“stein“erten Bildungsideologie der ÖVP.  Eigentlich sollte jedes bildungspolitische Statement mit den abgewandelten Worten des römischen Politikers Cato enden: Ceterum censeo, die Gesamtschule muss dringend eingeführt werden!

Zum  wiederholten Mal: Die gemeinsame Schule für alle Zehn- bis Vierzehnjährigen ist dringendst einzurichten!

„Ganz Kleine, die unter Druck stehen“, so titelten S. Hasewend und K. Pillmayer ihren Beitrag in der Kleinen Zeitung vom 24.11. 2012. Einmal mehr wird darüber Klage geführt über den Leistungsstress bereits in der Grundschule. Nach der Arbeitsgemeinschaft für Präventivpsychologie sind ein Drittel der Volksschüler stressbelastet und 5 % „burn out“-gefährdet.

Dass vom Leiter der Schulpsychologie in der Steiermark, der zwar feststellt, dass die Eltern besonders in den Städten ihre Kinder immer stärker ins Gymnasium drängen, als Remedium die neue Schuleingangsphase angeführt wird, überrascht. Die Schuleingangsphase, in der Kinder drei Schuljahre brauchen können, um die beiden ersten Schulstufen der Volksschule erfolgreich zu bewältigen, löst das Stressproblem in der Grundschule nicht.

Die Schuleingangsphase ist zweifellos als pädagogischer und didaktischer Fortschritt zu werten, sie zielt aber in erster Linie darauf ab, die Jahrgangsrekrutierung der Schulpflichtigen zu entschärfen. Ein Schulanfängerjahrgang umfasst  gemäß dem österreichischen Schulpflichtgesetz zu Schulbeginn gerade Sechsjährige und bereits Siebenjährige. In diesem Lebensalter ist ein Jahr ein ungeheuer großer Entwicklungsspielraum im emotionalen, kognitiven und sozialen Bereich. Individuelle Lernförderung ist daher unumgänglich, einheitlicher Lern- und Leistungsfortschritt im Elementarunterricht produziert Schulversager.

Die Wurzel des kritisierten Volksschülerstresses liegt aber anderswo, wie der Schulpsychologie zwar andeutet, aber daraus nicht die richtigen Konsequenzen zieht. Es  ist die Schullaufbahnentscheidung am Ende der vierten Volksschulstufe: „niedere“ Schule (Hauptschule, Neue Mittelschule) oder „höhere“ Schule. Eltern, die für ihre Kinder die Bildungschancen im bestehenden Schulsystem sichern wollen, setzen ihre Kinder und deren Lehrer unter Druck. Lehrer verschärfen den Wettbewerb, um den Ausleseprozess transparenter zu machen. Lehrer. die sich mehr für die Auslese als für die Förderung verantwortlich fühlen, beschäftigen sich in erster Linie mit den tatsächlich  oder vermeintlich als besonders befähigt Erkannten und vernachlässigen die wirklich oder vermeintlich Schwächeren.

Die Wurzel des Problems ist die bei den Zehnjährigen geforderte, aber höchst fragwürdige Schullaufbahnentscheidung. Eine pädagogische und didaktische Erneuerung der Grundschule mit dem Ziel, allen Kindern eine solide Grundbildung zu vermitteln, und zwar mit möglichst individueller Förderung aller und besonderer Unterstützung der Hilfsbedürftigen, ist nur um den Preis der Gesamtschule auf der Mittelstufe (Sekundarstufe I) des Schulsystems zu erreichen. 

Erst in diesem Zeitraum machen angesichts eines breiteren, differenzierteren Fächerangebots und damit einer möglichen  Interessendifferenzierung  sowie einer fundierteren Befähigungserfasssung Selektionsprozesse Sinn. Sie müssen vorsichtig und wegen der Möglichkeit von Fehlbeurteilungen reversibel gestaltet werden, haben aber bis zum Übergang in die verschiedenen Bildungsgänge der Oberstufe (Sekundasrstufe II) am Ende des allgemeinen Schulpflichtalters zu Befähigungs- und Interessenprofilen zu führen. Dann könnten informations-und erfahrungsgetragene Entscheidungen über die weiteren Bildungslaufbahnen, von der durch die Berufsschule unterstützten Lehre über die berufsbildenden Vollzeitschulen (BMS, BHS) bis zur AHS-Oberstufe (die sich stärker als bisher der Studienvorbereitung widmen sollte) unter Beteiligung der betroffenen Heranwachsenden getroffen werden. 

Bei der Betrachtung der Reformbedürftigkeit der Grundschule muss auch auf die internationalen Schulleistungsvergleiche wie PISA hingewiesen werden, die Österreich immer wieder einen hohen Risikoschüleranteil bescheinigen. Diese sind das Produkt  der Vernachlässigung der Leistungsschwächeren in der Grundbildung. Ihnen fehlt damit auch die Basis  zum weiterführenden Lernen, wobei sich vor allem  das Lesefähigkeitsdefizit auswirkt.

Die „Abstimmung mit den Füßen“ schreitet voran. Die neueste Schulstatistik weist einen weiteren starken Rückgang der Hauptschüler aus, den auch die Neue Mittelschule nicht stoppen konnte. Die AHS-Unterstufe hat hingegen kaum (0,8 %) Einbußen bei den Schülerzahlen zu verzeichnen. Und man betont, dass dies „allein auf den Geburtenrückgang zurückzuführen sei und nicht auf die Einführung der Neuen Mittelschule“.  Die andere Seite dieser Aussage: Ursache kann daher nur eine breitere Rekrutierung der Schüler aus leistungsschwächeren Bereichen sein. Die AHS-Unterstufe auf dem Weg zur Gesamtschule?  Darauf ist sie weder pädagogisch noch didaktisch vorbereitet, bezieht sie doch ihr Selbstverständnis als Langform aus der Oberstufe. Sicher ist nur der Weg der Hauptschule/Neuen Mittelschule zur „Restschule“ für sozial und regional benachteiligte Bevölkerungsgruppen.