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Bildungsstandards – Ein Ausweg aus der bildungspolitischen Sackgasse?

von Klaus Satzke
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Etliche „Nachrufe“ auf Dr. Claudia Schmied kommen zum Ergebnis, dass in ihrer Amtszeit viel angestoßen, aber wenig zu Ende geführt wurde. Das mag oft am Koalitionspartner oder an der „bösen“ Gewerkschaft gelegen haben, aber in einigen Fällen kommt auch der Verdacht auf, dass Maßnahmen nicht konsequent auf ein bestimmtes Ziel hin ausgerichtet waren oder nicht klar genug kommuniziert wurden. Helmut Seel (der auf www.bpag.at die Aussage von Günter Haider„ Fünf weitgehend verlorene Jahre in der Bildungspolitik“, Der Standard v. 18.9.2013, kommentiert) verweist darauf, dass die Offenlegung der Daten und Fakten über die Erhebungen zu den Bildungsstandards nicht eine Entscheidung der Politik bzw. des Ministeriums sein können. Die Frage ist deshalb so wichtig, weil das Ausmaß , mit dem die Bildungsstandards auf der 8. Schulstufe in den jeweiligen Schularten und an den einzelnen Schulen erreicht bzw. nicht erreicht werden, den Blick auf eine der Schlüsselstellen und Problemzonen des Bildungssystems lenkt. Nahezu alle Untersuchungen über Berufs- und Lebenschancen von Jugendlichen kommen zum Ergebnis, dass die Unterqualifikation von Schulabgängern und die damit verbundenen langfristigen Folgen für die Berufsfindung und Lebensbewältigung eines der gravierendsten Probleme im österreichischen Bildungswesen darstellen. Die Offenlegung des Datenmaterials ist daher nicht nur Voraussetzung für richtige Diagnosen, sondern muss auch Grundlage für notwendige „Therapien“ sein.
Die Bildungspolitik reagiert auf die spätestens seit PISA offen auf dem Tisch liegenden Probleme im Bereich der Pflichtschulen (Hauptschulen) mit eher ineffektiven Nachjustierungen (Kurse zur Absolvierung des Hauptschulabschlusses), mit erhöhtem Mitteleinsatz (Neue Mittelschule) oder Ankündigungen ( Ausbau von Ganztagsschulen), denen dann die Realität nachhinkt . Im Bereich der AHS hat man mit dem ausgelagerten und durch die Eltern zu bezahlenden Nachhilfeunterricht ein ebenso erfolgreiches wie problematisches Mittel gefunden. Auf weitreichende Maßnahmen wie Gesamtschule oder Ganztagsschule reagiert die ÖVP mit einer Ideologisierungsstrategie (Verteidigung des Gymnasiums, Gefahr einer „Zwangstagsschule“), die die Bürger verschreckt und verhindert, dass es einen breiten, öffentlichen Druck gibt. Gerade in Zeiten der Bildung einer neuen Regierung steht wieder die Formulierung von Regierungsprogrammen ins Haus. Wenn in diesem Zusammenhang von neuen Formen des Regierens die Rede ist, und das bedeutet ja wohl auch Lösungswege für Blockaden finden, würde es der Bildungspolitik gut anstehen, dieses Spiel der ideologischen Grabenkämpfe zurückzustellen und ernsthaft Sachpolitik zu betreiben.
Wenn die Fragestellung „Unterqualifikation eines erheblichen Teiles der Absolventen der 8. Schulstufe“ lautet, dann ist zunächst einmal darauf hinzuweisen, dass man mit den heute zur Verfügung stehenden wissenschaftlichen Instrumentarien und Mitteln (und diese Mittel sind beim BIFIE nicht gerade gering) nicht mehr auf Vermutungen angewiesen ist. Es lässt sich ziemlich genau feststellen, wo es die massiven Schwachstellen im Bildungswesen gibt. Mit den Bildungsstandards steht eine Messlatte zur Verfügung, die Auskunft gibt über die Effektivität und Effizienz des Bildungswesens im Allgemeinen und über das Ausmaß, mit dem an den einzelnen Schulstandorten die Vermittlung von Grundqualifikationen gelingt.
Mit dem Feststellen von Schwächen und dem Veröffentlichen von Daten alleine werden aber noch keine Probleme gelöst. Schulqualitätsanalysen geben hingegen immer fundiertere, genauere Auskünfte darüber, was guten Unterricht ausmacht und welche Maßnahmen erfolgversprechend sind. Was immer man von der oft zitierten Hattie-Studie im Detail hält, sie ist ein Beispiel dafür, dass es zwar keine einfache und einheitliche Rezeptur gibt, aber doch eine Vielzahl von gesicherten Erkenntnissen über erfolgreichen Unterricht. Klarzustellen ist in diesem Zusammenhang, dass es aber nicht nur um Unterrichtsmethoden und Differenzierungsformen geht, sondern auch um eine standortspezifische und regionale Berücksichtigung des sozialen und familialen Hintergrundes. Es geht also nicht um ein einziges Modell, das per Gesetz verordnet wird, sondern um ein systematisches Erkunden, welches Maßnahmenbündel an einem bestimmten Standort am erfolgversprechendsten ist. Dazu bedarf es einer Professionalität am Standort, einer Beratung und Unterstützung der Schulen, einer ausreichenden personeller Ausstattung und der notwendigen Handlungsspielräume am Schulort selbst.
Bildungspolitik hätte in diesem Zusammenhang die Aufgabe, die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Dazu gehört ein Ausbau der Schulautonomie, die Sicherstellung einer schulartenübergreifenden regionalen Koordination, die zügige Umsetzung der neuen Lehrerbildung und eine wesentlich gezieltere Streuung der finanziellen und personellen Mittel.
Bildungspolitik kann dann auf der Grundlage solcher Rahmenbedingungen auch garantieren, dass innerhalb eines bestimmten Entwicklungszeitraumes an allen Schulen die Bildungsstandards von der überwiegenden Zahl der Schülerinnen und Schüler erreicht werden. Dass die Bildungspolitik eine derartige Garantie derzeit nicht abgeben kann, ist ein öffentlicher Skandal, der leider eher wie ein Betriebsgeheimnis behandelt wird.
Es ginge also um gemeinsame Rahmenbedingungen für alle Schulen, um eine Vielfalt von Qualitätsmaßnahmen an den einzelnen Schulen und in letzter Konsequenz um einen standardisierten Abschluss an der zentralen Umsteigstelle des Bildungswesens.
Dass unter derartigen Bedingungen (gemeinsamer Rahmen, einheitliche Abschlusstandards, Vielfalt von Standortmodellen) die freie Wahl der Schule bzw. des Schulstandortes nach der Volksschule eine logische Konsequenz wäre. Der Verzicht auf die mehr als problematischen, ja unsinnigen Übertrittsbestimmungen in die AHS wäre eine enorme Entlastung für die Volksschule und würde den Weg frei machen für eine konsequente Auseinandersetzung mit jenen Problemen, die die PISA-Studien nachgewiesen haben.
Wenn die oben skizzierten Maßnahmen erfolgreich sind, wäre wohl die Frage, ob das Schritte zu einer Gesamtschule oder zu einem differenzierten Schulwesen sind, obsolet. Gewiss kann Sachpolitik nicht in jedem Fall notwendige politische Grundsatzentscheidungen ersetzen. Im Bereich des Bildungswesens und der über Jahrzehnte verschleppten Reform der Sekundarstufe I erscheint allerdings die Zeit reif dafür zu sein, dass die Politik das gebetsmühlenartige Wiederholen von Grundsatz-Positionen beendet und sich auf Entwicklungsprozesse einlässt, die der Lösung der Probleme im Hier und Jetzt dienen.