Nachdenken über PISA ohne Krokodilstränen!
von Klaus SatzkeArtikel drucken
Es hat einen gewissen Unterhaltungswert, beobachten zu können, wie plötzlich aus jener Ecke, wo man in den vergangenen Jahren bemüht war, die Sinnhaftigkeit der PISA-Erhebungen in Frage zu stellen, nun plötzlich – nach der Absageerklärung von Ministerin Heinisch-Hosek für 2016 - viele ihre Liebe zu PISA entdecken. Offensichtlich ist diese Diskussion auch Ausdruck von verschiedenen Interessenlagen, die internationale Großprojekte wie PISA unvermeidlich haben.
- Zum einen macht jede PISA-Veröffentlichung kurzfristig viel heiße Luft, die von den Medien und oppositionellen politischen Parteien gerne aufgegriffen werden.
- Zum anderen kann man nicht übersehen, dass mit PISA auf nationaler und internationaler Ebene beträchtliche personelle und finanzielle Investitionen einhergehen, deren Erhalt im Interesse eben dieser Institutionen und involvierten Forscher steht.
Dennoch hat PISA viel bewegt! Die Erkenntnis, dass Lesen und im Besonderen sinnentnehmendes Lesen von einem beträchtlichen Teil der Schulabgänger nur unzureichend beherrscht wird, das hat Verantwortliche und Betroffene aufgerüttelt.
Ebenso hat der Nachweis, dass die familiale Herkunft in hohem Maß den tatsächlichen Schulerfolg beeinflusst, nachdenklich gemacht, insbesondere auch deshalb, weil hier im Ländervergleich beträchtliche Unterschiede bei den Ergebnissen der kompensatorischen Bemühungen bestehen.
Die Gesamtschuldebatte hat durch PISA eher widersprüchliche Impulse erfahren, da ja im Großteil der OECD-Länder eine Gesamtschulorganisation besteht, die aber dennoch zu beträchtlich unterschiedlichen Leistungsergebnissen führt.
Die Migrantenproblematik wurde von den PISA-Interpreten – aus wahrscheinlich ehrenwerten Motiven – lange kleingeredet und mit statistischen Kunststücken unter den Teppich gekehrt. In der Zwischenzeit liegen nun aber seriöse Daten vor, die zeigen, dass die Schwächen einer nur mangelhaft gelingenden Integration in die Gesellschaft nachhaltige Auswirkungen auf das Bildungssystem haben, und das über mehrere Generationen hinweg.
Auf der negativen Seite einer Bilanzierung steht zweifellos die fragwürdige und unseriöse Präsentation in Form von PISA-Rankings, die die PISA-Verantwortlichen selbst hinter vorgehaltener Hand als Verkaufsstrategie abtun. Das führte und führt zu einem nachgerade lächerlichen Wettkampf um PISA-Punkte, der rein gar nichts über tatsächlich feststellbare Verbesserungen / Verschlechterungen aussagt.
Alles in allem liegt dennoch eine beeindruckende Bilanz vor, auf die man auch in Zukunft nicht verzichten sollte. Und dennoch ist PISA auch Ausdruck einer Forschungsstrategie, die von der Illusion getragen ist, dass Erhebungen und Datenpräsentation an sich schon etwas Substanzielles in den hochkomplexen Bildungssystemen bewirken. Dem ist aber nicht so! Was PISA allzu regelmäßig bewirkt, das ist eine Benützung und Uminterpretation von „Ergebnissen“ für bildungspolitisches Hickhack. Man hat den Eindruck, die PISA-Verantwortlichen sehen diesem „Spiel“ zu und freuen sich über die Bewegung, die sie auslösen, nach dem Motto „Bewegung ist besser als Stillstand“. Das hilft den Schulen und Lehrern allerdings wenig bis gar nicht!
PISA hat in der Vergangenheit wichtige Erkenntnisse über Defizitbereiche im Bildungssystem geliefert, aber keine echten Impulse für Schulentwicklung und weiterführende Forschung gesetzt. Das kann PISA auch gar nicht aufgrund des gewählten Forschungsdesigns. Das ist wohl auch die Erklärung dafür, dass die Bildungspolitik in den vergangenen Jahren auf PISA zwar „reagiert“ hat, allerdings weitgehend nur verbal, aber kaum durch weiterführende Strategien der Schulentwicklung. Gleichzeitig bindet PISA aber enorme finanzielle und personelle Ressourcen und führt dann auch noch auf der Ebene der Schulverwaltung zu weiteren Erhebungen, die wieder nur - im günstigen Fall -den Ist-Stand wiedergeben, aber dem WIE einer konkreten Entwicklungsstrategie aus dem Wege gehen.
Es drängt sich das Bild eines Betriebes auf, der in seiner Bilanz offenlegt, in welchen Bereichen man rote Zahlen schreibt, und glaubt, dass damit auch schon die Sanierung sichergestellt ist. Mit anderen Worten: Das Veröffentlichen von roten Zahlen in Bilanzen ist zweifellos besser als das Verschleiern und Vertuschen. Aber die Veröffentlichung verbessert noch keine Betriebsstrukturen und Produktionsmethoden. Das behaupten die PISA-Verantwortlichen auch nicht, aber sie müssen sich sagen lassen, dass dieses Konzept eines datenverschlingenden internationalen Großunternehmens inklusive seiner nationalen Ableger angesichts des Bedarfs nach echten Veränderungen im Systembereich selbst, an den Schulen und im Unterricht doch ziemlich alt und in die Jahre gekommen wirkt.
Das Schulsystem braucht
- neue Formen der Verteilung finanzieller und personeller Mittel,
- mehr Planungsprofessionalität,
- konsequente und systematische Teamarbeit,
- Beratung und Hilfe bei Projektentwicklung,
- entscheidungsfähige Schulleitungen,
- Mitwirkung und Kontrolle durch echte Schulpartnerschaftseinrichtungen etc. etc.
Hilft uns PISA bei der Bewältigung dieser Aufgaben oder geriert es immer mehr zu einer Unterhaltungsshow, die von den wahren Notwendigkeiten ablenkt?