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Im Rückblick: Erfolgsdruck hat die neue Lehrerbildung an die Wand gefahren!

von Helmut Seel
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Eine hochrangig zusammengesetzte „Expertengruppe“ zur Vorbereitung der PädagogInnenbildung NEU wurde 2009 eingesetzt und legte 2010 „Empfehlungen“ zur Erneuerung der österreichischen Lehrerbildung vor, welche die Schwachstellen im Schulsystem auf Grund von Lehrerbildungsdefiziten kennzeichnete. Das Schulsystem, in Elementarstufe (Vorschulische Erziehung), Primarstufe (Grundschule, Volksschule) Sekundarstufe I (Schulen der Zehn- Vierzehnjährigen: Neue Mittelschule, AHS-Unterstufe), Sekundarstufe II (AHS-Oberstufe, berufsbildendes Schulwesen) gegliedert, schienen Schwachstellen in der Elementarstufe und in der Sekundarstufe I zu bestehen.

Sieht man für alle Bildungsstufen akademisch gleichwertig ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer vor, fiel auf: Die Elementarlehrerausbildung liegt noch im Bereich der postsekundären Bildung (Koppelung von Reife- und Diplomprüfung der BHS). Der Bereich der Sekundarstufe I im Schulsystem wird durch zwei unterschiedliche Formen der Lehrerausbildung auf unterschiedlichem Niveau gekennzeichnet: Hauptschullehrer als Bachelorstudium an Pädagogischen Hochschulen (sechssemestrig), AHS-Lehrer als Magister-/Master-Studium an der Universität (neunsemestrig plus Unterrichtspraktikum). Beide Formen haben Defizite: Hauptschullehrerausbildung an den Pädagogischen Hochschulen mit Mängeln in den fachwissenschaftlichen Studien, aber mit einem (theoretisch oft wenig fundierten) Sekundarstufe I-adäquaten pädagogischen und didaktischen Praktiken. Die AHS-Lehrer an den Universitäten fachwissenschaftlich überladen mit wenig Orientierung an den Zielen und Inhalten der Unterrichtsgegenstände des Lehrplans, oberstufenorientiert und wenig ausgerichtet auf die psychologischen und didaktischen Bedingungen für Erziehung und Unterricht in einem kritischen Entwicklungsalter.

Die spezifischen Aufgaben der Sekundarstufe I im Schulsystem werden zu wenig beachtet. Es sind dies vor allem: 1) Entwicklung der Ziele und Methoden der sich differenzierenden Unterrichtsgegenstände im Fächerkanon. 2) Entdeckung und Entwicklung der fachspezifischen Interessen und Befähigungen als Grundlage für die Auslese für den differenzierten Bereich der Sekundarstufe II (Studienvorbereitung in der AHS-Oberstufe, Berufsausbildung auf verschiedenen Anspruchsebenen). Dies gilt auch für die AHS-Unterstufe, da zahlreiche Schüler die „Langform“ nach der 4. Klasse verlassen, oft auch Fehlentscheidungen beim Übertritt aus der Volksschule revidierend.

In der PädagogInnenbildung NEU sollten alle Formen der Lehrerausbildung mit der Master-Graduierung mit folgender Differenzierung abschließen: Masterstudium „Vertiefung“ (zweisemestrig) für einen Bildungsbereich (Primarstufe oder Sekundarstufe I); Masterstudium „Erweiterung“ (mindestens dreisemestrig) für zwei Bildungsbereiche (Primarstufe und Elementarstufe bzw. Sekundarstufe I und Sekundarstufe II).

Träger der Lehrerbildung sollte eine neue Institution werden, die sich aus Ausgliederungen im Universitätsbereich (schools of education) und den zu echten Hochschulen weiterentwickelten (Verwaltungsautonomie, Wissenschaftsfreiheit) Pädagogischen Hochschulen zusammensetzen sollte. Diese Weiterentwicklung der Pädagogischen Hochschulen wurde jedoch vom Unterrichtministerium mit Ausnahme der Novellierung des Dienstrechtsgesetzes nicht in Angriff genommen.

Die in der Folge (nach Durchführung von Stakeholder-Konferenzen) tätige „Vorbereitungsgruppe“ hielt in ihren „Empfehlungen“ im Juni 2011 weitgehend an den Vorschlägen der Expertengruppe fest, insbesondere hinsichtlich der Differenzierung der Ausbildung der Lehrer der Sekundarstufe I und der Sekundarstufe II.

Der 2012 eingesetzte „Entwicklungsrat“ trieb die Lehrerbildungsreform unter wachsendem Zeitdruck voran. Es galt, einen Gesetzesentwurf noch von dem Ende der Gesetzgebungsperiode des Nationalrats als bildungspolitischen Erfolg der zuständigen Minister fertig zustellen. Da die Entwicklung eines spezifischen Lehramts für die Sekundarstufe I aus Gesamtschulängsten der ÖYP scheiterte, wurde nun nur mehr ein einheitliches Lehramt für den gesamten Sekundarstufenbereich (umfasst gemäß § 3 des Schulorganisationsgesetzes alle Schularten ab der 5. Schulstufe) vorgesehen. Für das Sekundarschullehramt wird ein dreisemestriges Masterstudium „Erweiterung“ eingeführt, das Masterstudium des Primatschul-Lehramts wird als zweisemestriges Masterstudium „Vertiefung“ vorgesehen. Sekundarstufenlehrer werden an Pädagogischen Hochschulen nur in Kooperation mit Universitäten ausgebildet.

Was zeichnet sich schon deutlich ab? Die Universitäten ziehen die gesamte Sekundarstufenlehrer-Ausbildung an sich. Bei gleicher Studiendauer und gleichem Curriculum werden wohl alle Studierenden den letztlich immer noch renommierteren Weg des Universitätsstudiums präferieren. Für das Schulsystem bedeutet dies: Auf Grund der fachdidaktischen Defizite an den Universitäten hinsichtlich der Sekundarstufe I (AHS-Unterstufe) und dem Verlust der Erfahrungs-Didaktik der bisherigen Hauptschullehrerausbildung an den Pädagogischen Hochschulen werden in Zukunft auch in den Neuen Mittelschulen und in den Polytechnischen Schulen Lehrer unterrichten, die in erster Linie für den Unterricht in der AHS-Oberstufe ausgebildet wurden.

Aus lauter Angst vor einer in Europa weitgehend üblichen gemeinsamen Schule für alle Zehn- bis Vierzehnjährigen („Einheitsschule“) hat man unter Zeitdruck einen „Einheitslehrer“ für alle Schularten des Sekundarbereichs (Schulen für die Zehn- bis Neunzehnjährigen) geschaffen!