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Warum so zögerlich, Frau Minister?

von K. L. Satzke
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Ende September stellt die Ministerin Heinisch - Hosek das 6-Punkte-Programm „Der Weg zur besten Bildung“ vor. Zwei der Punkte enthalten begrüßenswerte Initiativen zum Schuleingangsbereich. Nun steckt der Teufel bekanntlich im Detail, aber auf Details lässt sich das vorgelegte Konzept nicht wirklich ein. Im Grund ist es ein Ankündigungspapier, das vor allem offen lässt, wie die Aufgaben im Rahmen der schwierigen Kompetenzlage zwischen Schule und Kinderarten konkret verteilt werden sollen und wie man sicherstellen kann, dass die Kooperation nicht anstelle einer Frühförderung zu einer frühen Abstempelung von Schülerinnen und Schülern führt. Dennoch, es handelt sich um eine wichtige Initiative, sofern den Ankündigungen auch Taten folgen.
Schwer verständlich ist allerdings, warum sich das Arbeitsprogramm der Ministerin mit den Schwerpunkten Sprach- und Leseförderung auf den Schuleingangsbereich der Schule beschränkt und nicht die Grundschule als Ganzes ins Auge fasst. Das Langzeitprojekt „Frühförderung“ kann ja nicht die Probleme im Hier und Jetzt verdecken, die sich in besonderer Weise in der 3. und 4. Schulstufe zeigen. Schafft die Grundschule einerseits den Spagat zwischen der Vermittlung der grundlegenden Kulturtechniken und andererseits der Vertiefung und Erweiterung mit Blickrichtung auf den Übertritt in die weiterführenden Schulen? Der Nationale Bildungsbericht 2012 (!) lässt daran stark zweifeln, ob dies im Bereich Lesen (immerhin ein zentraler Punkt bei den PISA-Messungen) gelingt:

„Insgesamt wird in Österreich relativ wenig Unterrichtszeit für das Lesen verwendet. … Hier liegt Österreich an letzter Stelle von 13 Vergleichsländern, was den Anteil der Schüler/innen betrifft, die mehr als sechs Stunden pro Woche im Unterricht lesen.“

„Es zeigen sich deutlich erkennbare Unterschiede zwischen Klassen im Leseunterricht. In der Erhebung von Schabmann (2007) gab es Lehrer/innen, die das Lesebuch so gut wie nie verwendeten, und solche, die es regelmäßig einsetzten und vollständig mit den Kindern durcharbeiteten.“
„Die Anzahl der Tage, an denen es Einzelbetreuung für schwächere Leser/innen durch die Lehrerin oder den Lehrer gab, reichte von 0 bis 7 von insgesamt 10 erfassten Unterrichtstagen, d. h. es gab Klassen, in denen schwache Schüler/innen keinerlei individualisierte Hilfe erhielten.“
„Die explizite und strukturierte Förderung des Leseverständnisses hat in Österreich im Unterricht so gut wie keine Tradition.“
„Die Analysen zu PISA 2009 ergeben weiters, dass Österreich in der Anwendung aller
didaktischen Methoden zur direkten Förderung des Leseverständnisses, die abgefragt wurden (bei PISA im Kontext Leseengagement berichtet), z. T. deutlich unter dem OECD-Durchschnitt liegt.“
„Im Gegensatz … zu EU-Ländern mit besseren Ergebnissen … verfolgen relativ wenige Schulen strukturierte Initiativen, die direkt in den formellen Leseunterricht eingreifen. Nur 29 % der Schüler/innen besuchen Schulen mit eigenen Richtlinien zur Koordination des Leseunterrichts und sehr wenige Schüler/innen (7 %) gehen in eine Schule mit einer schuleigenen schriftlichen Ausarbeitung eines Leselehrplans.“
„Vielfach werden (an den Pädagogischen Hochschulen, A.d.Verf.) die Fertigkeiten und Strategien, die LeserInnen brauchen … um Sinn zu entnehmen, nicht ausreichend unterrichtet. … Besonders die Themenbereiche Lesedefizite / Legasthenie sind an einigen Pädagogischen Hochschulen nicht Gegenstand der Grundausbildung von PflichtschullehrerInnen, sondern werden erst im Rahmen der Lehrerfortbildung angeboten.

Es wäre allerdings billig, die aufgezeigten Mängel einfach den Lehrer/innen und der mangelnden Unterrichtsqualität anzulasten. Die Probleme der Grundschule resultieren ja – wie oben aufgezeigt - aus einer extrem schwierigen „Sandwich“- Position zwischen den Aufgaben einer Frühförderung im Elementarbereich, die unter problematischen Bedingungen Defizite kompensieren soll und der Aufgabe einer Vorbereitung auf den Schulübertritt in die weiterführenden Schulen, wobei das erforderliche Notenkalkül für die AHS oftmals die gesamte Jahresarbeit prägt. Es ist ganz offensichtlich, dass die Grundschule oftmals an dieser Aufgabe scheitert! Eine Änderung der Rahmenbedingungen, nämlich einer viel zu frühen Schulbahnentscheidung und eines im Grund unsinnigen Notenkalküls für den Übertritt in die AHS (ein Gut oder Befriedigend entscheidet über die Schullaufbahn) zeichnet sich nicht ab, auch wenn da und dort Nachdenkprozesse angekündigt werden.

Bei Durchsicht des Regierungsprogrammes / Kapitel Bildung gewinnt man überraschend den Eindruck, dass die Bundesregierung die Probleme der Grundschule als Ganzes offenbar erkannt hat und Maßnahmen setzen will.

„Im Bereich der Schuleingangsphase sowie in der gesamten Grundstufe I und II ist das jahrgangsübergreifende Unterrichten mit flexibler innerer Differenzierung an jeder Schule möglich. …
Auf Basis eines transparenten bundeseinheitlichen Controllingsystems und entsprechender qualitätssichernder Maßnahmen werden den Volksschulen zusätzliche Stundenkontingente zur Verfügung gestellt, um Begabungs- / Begabten-, Förder- und Stützmaßnahmen in allen Bereichen – insbesondere auch im Bereich der Sprachentwicklung – schulautonom zu setzen. Dafür wird ein Rahmenmodell erarbeitet, welches auf regionale Unterschiede, Standortgrößen und spezifische sozioökonomische Rahmenbedingungen der Schulen Rücksicht nimmt.“

Da hat sich also die Politik in durchaus unüblicher Klarheit festgelegt. Umso merkwürdiger erscheint es, dass die Ministerin so zögerlich an die Thematik herangeht. Klar ist, dass das alles nur zu realisieren ist, wenn Ministerium, Schulbehörden und Schulaufsicht gemeinsam an einem Strang ziehen. Oft war das noch nicht der Fall und im Artikel XIV der Verfassung steht nichts über Kooperation. Kürzlich erklärte die Ministerin, wie wichtig es ihr sei, „zur Neugestaltung der Schulverwaltung mit den Bundesländern die Finanzierung sowie die Verteilung der Zuständigkeiten zu klären.“ Könnte es sein, dass die Schulreform auf eine Bund-Länder-Einigung über Zuständigkeiten und Finanzierungsmodalitäten warten muss? Pech für alle jene Schülerinnen und Schüler, die jetzt in die Schule gehen und unter den gegebenen Bedingungen leiden.