Der Abbau der Demokratie im Bildungswesen schreitet voran – und die SPÖ wirkt wacker mit!
von Helmut SeelArtikel drucken
Nun liegen die Vorschläge der Expert/innenarbeitsgruppe Schulverwaltung vor: „Freiraum für Österreichs Schulen“. Die Interessenvertreter, aus denen die Kommission besteht, haben ihre Aufgaben gemacht und Interessen ihrer Entsender deutlich vertreten. Für die Schulreform wird die Autonomie der Schulen als Allheilmittel vorgeschlagen und umfangreich und mit manchen textlichen Wiederholungen
beschrieben. Konkrete Angaben sind selten, In manchen Fragen bleiben die Aussagen unklar, z. B bezüglich einer Mitwirkung der Lehrerkonferenzen bzw. der Personalvertretung bei der Schulleiterbestellung oder der Vorgangsweise bei der Lehreauswahl durch die Schulleitung. Die Auswirkungen der „zentralen Steuerung“ und der „operativen Umsetzung“ durch die Bildungsdirektionen engen „Freiraum für Österreichs Schulen“ jedoch stark ein. Von einer „Pervertierung der Autonomie“ spricht M. Völker (Der Standard vom 25.3): „Die Regierung droht, die heiklen, ungelösten Fragen an die Schulen zu delegieren“.
Die zur Vermeidung eines schulorganisatorischen Chaos notwendigen Aufgaben der zentralen Bildungsverwaltung durch den Bund bzw. das Bildungsministerium werden ausführlich insbesondere hinsichtlich Gesetzgebung, Finanzierung und Qualitätssicherung dargestellt. Bildungsdirektionen in den einzelnen Bundesländern sollen die operative Umsetzung übernehmen (Begleitung der Schulen bei der Reform, Zuweisung der materiellen und personellen Mittel, Schulstandortplanung).
Nicht sachlich begründet und gerechtfertigt, und damit nur der Erhaltung der politischen Machtverhältnisse geschuldet, ist die Unterstellung der Bildungsdirektionen unter die Landeshauptleute, welche daher auch die Bildungsdirektoren autokratisch bestellen sollen. Viel effizienter und zweckmäßiger wäre es wohl, die Bildungsdirektionen als Bundesbehörden einzurichten und die Personalentscheidungen dem jeweiligen Ressortleiter in der Bundesregierung zu übertragen. Aber: Verländerung des Schulwesens soll offensichtlich sein!
Interessant ist eine etwas kryptische Bemerkung in den „Empfehlungen“ zur Schnittstellenproblematik: „Ein generelles Andenken einer Reduzierung der Schnittstellen (Übergangszeiten) im gesamten Schulsystem. Denkbar wäre es, eine Schnittstelle bei 14 anzusetzen“.
Der Vertreter der Industriellenvereinigung in der Kommission hat den Vorschlägen unter Verweis auf das Schulreformkonzept der Industriellenvereinigung „Beste Bildung für Österreichs Zukunft“ nicht zugestimmt. Dieses Konzept sieht die totale Privatisierung des Schulwesens vor. Schulen sollen von Schulträgern (Personen Vereinen, Kirchen, Gebietskörperschaften) eingerichtet und verwaltet werden, denen der Bund die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung stellt. Die Lehrer werden von den Schulträgern als Vertragsbedienstete angestellt, ganz analog zur Privatisierung der Universitäten durch das Universitätsgesetz 2002. Vor diesem Hintergrund sollte man übrigens auch den Vorschlag für eine gemeinsame Schule für die Fünf- bis Vierzehnjährigen betrachten. Schulträger könnten ja auch Schulen mit sozialelitärem Charakter einrichten und so der AHS-Unterstufe den weiteren Bestand sichern.
So viel zur Sache an dieser Stelle. Demokratiepolitisch bedenklich ist, dass mit dem Vorschlag der Expert/innenkommission jedes Gremium auf Landesebene, das nach den Wahlergebnissen in der Region zusammengesetzt ist, abgeschafft wird. Den Bildungsdirektionen wird kein Kollegialorgan zur Entscheidungsvorbereitung und Ergebniskontrolle zugeordnet. Der zuständige Minister wird hingegen durch das Parlament (von Anfragen bis zum Misstrauensantrag) hinsichtlich des Gesetzesvollzugs kontrolliert.
In der Demokratie ist die Möglichkeit der Interessenvertretung der betroffenen Bürger konstitutiv. Die Artikulationsmöglichkeit der Opposition ist für die Demokratie ebenso wichtig wie der Vollzug der Mehrheitsbeschlüsse. Wer in diesem Zusammenhang von Entpolitisierung spricht, betreibt Demokratieabbau. Nun mag Mitbestimmung schon zeitlich und sachlich aufwendiger sein als autokratische Führung, doch die Demokratie hat eben ihren Preis, und bloß ökonomischen Begründungen sollten Grenzen gesetzt werden. Der SPÖ sollte die Affinität der Konservativen zu autokratischen und zu autoritären Systemen nicht übersehen/vergessen.
Vor Jahren war es noch ein politisches Ziel der Sozialdemokraten, alle Bereiche der Gesellschaft mit Demokratie zu durchfluten. Und vor einigen Jahrzehnten kritisierten die Sozialdemokraten noch die undemokratische Struktur der Bezirksverwaltungen mit den von Landeshauptmanns Gnaden eingesetzten Bezirkshauptleuten.
Mit Recht wird in der Verwaltungsreform der Abbau von Entscheidungsebenen in der Schulverwaltung gefordert. Mit der Abschaffung der Bezirksschulräte wurde jedoch ein falscher Weg eingeschlagen. Sie waren zweifellos die Behörden mit der größten Schulnähe und damit am besten informiert über gesellschaftliche und wirtschaftliche Verhältnisse in der Region. Die reformierten Bezirksschulräte hätte man allerdings mit größeren Entscheidungsbefugnissen ausstatten müssen. Man hätte ihnen auch die Verwaltungsagenden für die mittleren und höheren Schulen im Bezirk zuordnen müssen. Als Bundesbehörde wäre der Bezirksschulrat das wesentliche Vollzugsorgan der bildungspolitischen Entscheidungen auf Bundesebene gewesen, vergleichbar mit den neuen Bildungsdirektionen. Die Landesschulräte hingegen wären verzichtbar gewesen.
Die Entwicklung ist nicht reversibel. Nach der Abschaffung der Bezirksschulräte ist es daher wesentlich, dass die Landesschulräte als Kollegialorgane neuer Art erhalten bleiben. Die vorgesehenen Bildungsdirektionen mit sehr weitgehenden Befugnissen brauchen ein politisch repräsentatives Kollegialorgan zur Mitwirkung bei der Entscheidungsfindung und zur Vollzugskontrolle vor Ort. Dieses Kollegialorgan sollte den Vorsitzenden aus seiner Mitte wählen. Den Bildungsdirektor sollte jedenfalls das zuständige Regierungsmitglied bestellen.
Eine Trendumkehr ist bei der SPÖ leider nicht zu bemerken. Daher nochmals und zusammenfassend: Die Entdemokratisierung schreitet voran. Gelobt wird dies häufig als ein Zeichen einer Entpolitisierung. Doch Demokratie ist ohne Politik nicht zu haben. Politik ist Interessenvertretung und Auseinandersetzung mit anderen Positionen und Sichtweisen. In diesem Sinn ist jeder verantwortungsbewusste Staatsbürger ein Politiker. Die Forderung nach Entpolitisierung kann daher vor allem zwei Wurzeln haben. Entweder ist die Macht der politischen Entscheidung bereits - oder noch - in einer Hand. Oder man möchte die politische Auseinandersetzung und Entscheidungsfindung durch mediale Meinungsmache ersetzen. Für die Einsparung einiger budgetärer Mittel ist die Entdemokratisierung ein zu hoher Preis.