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Gegen „Verländerung“ und „Verholländerung“ des österreichischen Schulsystems

von Helmut Seel
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Die neue Lehrerausbildung legt eine Vereinheitlichung der Personalverwaltung nahe

Die neue Lehrerausbildung (insbesondere die Neuordnung der Sekundarlehrerbildung) und die darauf bezogene Reform des Lehrerdienstrechts haben die gehaltsmäßige Gleichstellung der Lehrer der Neuen Mittelschule und der AHS-Unterstufe gebracht. Dies legt neben mehreren anderen Argumenten zur Verwaltungsvereinfachung die Vereinheitlichung der Personalverwaltung im Schulbereich auf Bundesebene nahe. Die Vereinigung der beiden Dienstrechtsvarianten wird angesichts der unterschiedlichen Schulgrößen zwischen den Neuen Mittelschulen und den AHS Schwierigkeiten bereitet (Anstellung nach Fächerstunden bzw. Planstellen). Letzteres hat zur Folge, dass Lehrer nicht nur in ihren Prüfungsfächern unterrichten müssen. Anzumerken ist, dass im novellierten Dienstrecht zwischen Sekundarstufe I und Sekundarstufe II unterschieden wird, obwohl diese Gliederung im Schulorganisationsgesetz bisher von der ÖVP Im Interesse der Erhaltung der Langform der AHS verhindert wurde.

Auch die Expertengruppe „Schulverwaltung“  spricht von einer einheitlichen Personalverwaltung

In den „Empfehlungen zur neuen Steuerung“ der Expert/innenarbeitsgruppe Schulverwaltung wird auch von de Einheitlichkeit der Personalverwaltung ausgegangen. In diesem Papier werden in sehr differenzierter Form die Aufgaben der zentralen Schulverwaltung (Ministerium) und der „operativen Umsetzung“ der Aufgaben durch Bildungsdirektionen in den einzelnen Bundesländern dargestellt. Es kann daraus sinnvoller Weise nur die Konsequenz gezogen werden, diese Bildungsdirektionen als Bundesbehörden einzurichten. Dieser Schluss wird von der Expert/innengruppe jedoch nicht gezogen. Er lag nicht im Interesse ihrer Auftraggeber. Ohne Angabe irgendwelcher sachlichen Argumente wird vorgeschlagen, dass die Bildungsdirektionen den Landeshauptleuten unterstellt werden sollen. Diesem Vorschlag liegt ein Beschluss im informellen Beratungsforum der Landeshauptleutekonferenz zu Grunde, der wohl in erster Linie auf  Machterhalt bzw. Machterweiterung der Landeshauptleute abzielt. Die regionale Schulverwaltung sollte  demgemäß durch eine Verfassungsänderung Sache der Bundesländer werden, entweder als Materie im Sinne des Artikels 11 B-VG oder als Aufgabe der mittelbaren Bundesverwaltung (Artikel 102 B-VG).

Das Ausscheiden der Landeshauptleute Pröll und Niessl sollte die Schaffung einer einheitlichen Schulverwaltung erleichtern

Die Bildungsministerin ist jedoch an diesen Beschluss der Landeshauptleutekonferenz keineswegs gebunden, sondern strebt eine Vereinheitlichung der Schulverwaltung auf Bundesebene an, wie dies zahlreiche andere Experten im Interesse der Verwaltungsreform anraten. Das Ausscheiden der Landeshauptleute Pröll und Niessl aus der Schulreformkommission legen die Vermutung nahe, dass die Entscheidung zur Verländerung der Schulverwaltung nach dem Plan der Landeshauptleute noch nicht  gefallen ist.  Es ist zu hoffen, dass sich die Sachargumente, die für die Erhaltung bzw. Erweiterung der Einheitlichkeit der Verwaltung des österreichischen Schulsystems auf Bundesebene sprechen, durchsetzen können.  Vor allem muss vermieden werden,  dass in einem faulen Kompromiss der Schulverwaltungsreform die Zuständigkeit für die Primarstufe bei den Bundesländern landen könnte (analog zur Zuständigkeit für den vorschulischen Bereich) und der Sekundarschulbereich beim Bund..

Eine Schulautonomie mit privaten Schulträgern importiert neo-liberales Gedankengut

Die innere Reform wird derzeit vom Thema „Erweiterung der Schulautonomie“ beherrscht. Man scheint von ihr die Lösung aller Probleme zu erwarten. Zweifellos wird sie für die österreichischen Schulen Verbesserungen bringen, man sollte allerdings die Grenzen sehen: Schulautonomie kann die notwendige Organisationsreform nicht ersetzen. Die Unterrichtsministerin sieht sich vom Reformprogramm der Industriellenvereinigung („Beste Bildung für Österreichs Schulen“) unterstützt, welches aber auch die Privatisierung der Schulen vorsieht  Das konnte die Ministerin wohl auch bei ihren Besuchen in den Niederlanden wahrnehmen: Weitreichende Autonomie auch in Personalfragen setzt private Schulträger voraus und macht die Lehrer zu Privatangestellten. Dies ist an den  österreichischen Universitäten zu studieren.  Was in den Niederlanden von einer langen Tradition getragen wird, wäre in  Österreich heute ein neoliberales politisches Programm, das von der Reduzierung der staatlichen Kompetenzen motiviert wird.

Schulautonomie kann die Administrierung und Bürokratisierung vieler Schulversuche obsolet machen

Der Schulautonomie mit den Lehrerkonferenzen und den Schulpartnerschaften als verantwortlichen Entscheidungsträgern könnte man in Österreich zunächst einmal die meisten Schulversuche übertragen, deren Zahl der Rechnungshof mit Recht kritisierte. In Österreich muss ja derzeit jede noch so kleine Abweichung von den schulorganisatorischen oder curricularen Regelungen durch Gesetz oder Verordnung als Schulversuch deklariert und laufend vom Bildungsministerium genehmigt werden. Hier wären auch Einsparungen in der Verwaltung möglich.

Schulautonomie im Bereich Lernorganisation und Unterrichtsqualität braucht Grenzen

Die Autonomie in Lehrplanfragen kann allerdings nicht unbegrenzt sein. Beispielsweise dürften die Zusatzstunden der Neuen Mittelschulen nur zu Differenzierungsmaßnahmen in den Sprachen und der Mathematik verwendet werden, etwa zur zeitweiligen Leistungsgruppenbildung oder zur stabilen Gruppenbildung im Stammklassenverband durch ein „Team Teaching“-System.  Durch diese Zusatzstunden soll eine Verbesserung der Bildungschancen im breiten Feld aller Lernbefähigungen und Lerninteressen erreicht werden, welches die Mittelschule zu betreuen hat.  Die AHS-Unterstufe hingegen betreut eine bereits leistungsmäßig ausgesuchte Schülergruppe mit einer geringeren Streuungsbreite der Leistungsfähigkeit der Schüler. Die Auswahl ist stark von den Elterninteressen mitbestimmt. In einem Artikel in der „Kleinen Zeitung“ (7. 7. 2015) wird geklagt: „Eltern üben immer öfter Druck auf Lehrer aus“, um eine zum Übertritt in die AHS berechtigende Beurteilung am Ende der 4. Schulstufe zu erreichen.

Weiters darf die Schulautonomie die Erreichung der einheitlichen Bildungsstandards am Ende der 4. bzw. 8. Schulstufe nicht beeinträchtigen, welche in allen Fächern (Sprachen Mathematik)  jährlich überprüft werden müssten.

In der Schulorganisation kann das niederländische Schulsystem kein Vorbild sein Auch niederländische Experten halten die heutige Schulorganisation für einen missglückten Kompromiss zwischen den Befürwortern und den Gegnern einer Gesamtschule im Bereich der Sekundarstufe I. Die Grundschule wurde auf sechs Stufen bis zum 12. Lebensjahr verlängert, daran schließen sich drei Schultypen der Sekundarstufe: eine berufsvorbereitende mit vier Schuljahren, eine allgemeinbildende höhere mit fünf Schuljahren und eine studienvorbereitende mit sechs Schuljahren. Grundlage für die unterschiedlichen Zugänge ist eine staatliche Leistungsüberprüfung mit einem Testsystem. Die Schultypen sind wenig durchlässig, als weiteres Zugeständnis an die Gesamtschulbefürworter gilt in den  beiden ersten Schuljahren der gleiche Lehrplan (Abschluss der „Basisbildung“). Der Abschluss der studienvorbereitenden Schule berechtigt zum Universitätsstudium, der Abschluss der allgemeinbildenden Schule zum Besuch eine Fachhochschule. Die berufsbildende Schule bietet vier „Lehrwege“ an: praktisch, berufsgerichtet, theoretisch oder gemischt.  Nach Abschluss des theoretischen Lehrwegs besteht mit Zusatzprüfungen ein Übergang zur Fachhochschule.

Den Schulbahnentscheidungen auf der 8. / 9. Schulstufe kommt auch weiterhin große Bedeutung zu

Demgegenüber bestehen im österreichischen Schulsystem zwei Auswahlebenen,  am Beginn und am Ende der Sekundarstufe I. Die nach der 8. Schulstufe hat für den Bildungschancenausgleich besondere Bedeutung hat. Sie ermöglicht eine Wahl der Bildungs- und Berufslaufbahnen am Ende der Schulpflicht und entschärft das Nebeneinander von potentieller Gesamtschule und Ausleseschule (AHS) im Bereich der Sekundarstufe I. Auf dieser Grundlage ist auch das österreichische berufsbildende Schulwesen eingerichtet, welches internationale Anerkennung genießt. Dies sollte bei Überlegungen zu einer Reform des österreichischen Schulsystems nicht in Frage gestellt werden.

Schule ab dem 5. Lebensjahr

Ein Thema bei der Schulreformdiskussion wird die Vorverlegung des Beginns der Schulpflicht auf das 5. Lebensjahr sein. Auch dies kann man am niederländischen Schulsystem studieren, wo bereits die Vierjährigen in die Schule aufgenommen werden.  Im Reformprogramm der Industriellenvereinigung findet sich dieser Vorschlag ebenfalls. Dort wird allerdings nur eine Verschiebung des Schulpflichtalters angestrebt, nicht eine im internationalen Vergleich längst überfällige Verlängerung. In den Niederlanden besteht eine Schulpflicht bis zum 16. Lebensjahr. Das Ende der neunjährigen Schulpflicht mit dem 14. Lebensjahr würde die Polytechnische Schule überflüssig machen, da dann der Eintritt in ein Arbeitsverhältnis – und das Lehrverhältnis ist ein Arbeitsverhältnis - bereits nach dem 14. Lebensjahr möglich wäre. 

Derzeit erfährt die Öffentlichkeit mit Ausnahme der Autonomiediskussion kaum etwa über die Reformvorhaben. Ob hochgespannte Reformerwartungen enttäuscht werden?

H.S.