« vorheriger Artikel | Home | nächster Artikel »

Bildungspolitik als Schattenboxen

von Klaus Satzke
Artikel drucken

Nun war es wieder einmal so weit: Die Veröffentlichung der neuen PISA-Auswertung führte zu bereits gut eingeübter Empörung über die schlechten Ergebnisse, zu ebenso ungenauen wie wenig begründeten Erklärungen über mögliche Ursachen und zu leicht durchschaubaren Beschuldigungs- und  Beschönigungsstrategien. Was dabei auf der Strecke bleibt, das ist das Einfordern einer Bildungspolitik,

  • die sich an Hand von Daten und Analysen mittel- und langfristige Ziele setzt
  • und die Konzepte zur Erreichung dieser Ziele offenlegt.

Es besteht der dringende Verdacht, dass solche Konzepte nicht existieren und folglich kann es auch nicht überraschen, wenn sich an den Ergebnissen nichts ändert.  Es ist schlichtweg skandalös, dass wir mit den PIRLS-Erhebungen über den Leistungsstand an den Grundschulen seit 2006 und 2011 nicht nur die erforderlichen Daten in der Hand haben, sondern mit dem Nationalen Bildungsbericht 2012 auch ganz konkrete Vorschläge für Maßnahmen besitzen, die eigentlich nur einer konsequenten Umsetzung bedürfen würden. Es kann doch nicht sein, dass wir erst umfangreiche internationale Untersuchungen abwarten müssen, um dann immer wieder zu den gleichen Erkenntnissen über die unzureichenden Leseleistungen zu gelangen.

 Was sind die Ursachen dieses Scheiterns?

  1. Die strukturelle Ursachen: Die Elementarpädagogik (Kindergarten, Vorschule, Schuleingangsbereich) hat eine nahezu 40-jährige wenig erfolgreiche Entwicklung hinter sich, weil die Konflikte zwischen Kindergarten und Vorschulbewegung nicht beigelegt werden konnten. Der Bildungsreformkommission ist zuzubilligen, dass das Kapitel Elementarpädagogik hier einige, allerdings nur langfristig zu erzielende Fortschritte verspricht. Allerdings blieb der Problembereich des selektiven Übertritts in den Mittelstufenbereich (Gymnasium oder Neue Mittelschule) völlig ausgeklammert. Das bedeutet, dass der Unterricht ab der 3.Schulstufe – bedingt durch die frühe Selektion mit 10 Jahren und unter dem Druck der Eltern – weiterhin dominiert wird durch die Vorbereitung auf den Übertritt ins Gymnasium. Das geschieht zum Schaden der Schüler mit Lerndefiziten und alle Analysen zeigen, dass diese Defizite im Mittelstufenbereich kaum aufgeholt werden können.
  2. Das ungelöste diagnostische Problem: An der Notwendigkeit einer klaren Diagnose über das Erreichen oder Verfehlen von Grundqualifikationen am Ende der 2. Schulstufe kann kein Zweifel bestehen, allerdings nicht als Selbstzweck, sondern als Grundlage für Konzepte und daraus resultierende Maßnahmen. Die Ziffernnote kann diese diagnostische Funktion sicher nicht erfüllen, weil sie unterschiedliche Kompetenzbereiche bis zur Unkenntlichkeit miteinander vermengt. Eine schlechte verbale Beurteilung kann das auch nicht, eine sinnvoll gestaltete verbale Beurteilung hingegen sehr wohl. Selbst im Papier der Bildungsreformkommission ist ausdrücklich die Rede von alternativen Formen der Leistungsbeurteilung wie beispielsweise einer Leistungsfortschrittsdokumentation. Aber was die Ministerin wirklich will, das weiß niemand so genau. Der geplante Gesetzesentwurf ist nirgends einsehbar und man weiß daher auch nicht, wie viel oder wenig in diesem Zusammenhang geplant ist! Stattdessen  führt man eine Diskussion ohne Fakten und verstrickt sich in alte ideologische Grabenkämpfe zwischen angeblichen Leistungsverweigerern und Leistungsfetischisten.
  3. Das Fehlen eines integrativen Maßnahmenpakets: Es fehlt nicht nur ein brauchbares Konzept für die Beschreibung von Lernfortschritten, es fehlt auch ein Konzept für ineinandergreifende Maßnahmen, die zur angestrebten Verbesserung von Schwachstellen im Bildungssystem führen sollen. Die Möglichkeiten der Ministerin und des Ministeriums sind für sich alleine betrachtet sehr begrenzt und liegen weitgehend im Bereich des Deklarativen. Mit Gesetzesnovellierungen, Lehrplänen und Erlässen erreicht man die Schulen nicht wirklich, kann bestenfalls nur Signale setzen und Starthilfen geben.
    Dabei enthält das Papier der Bildungsreformkommission jede Menge Hinweise auf „verstärkte Abstimmung der Angebote von Bund und Ländern, Nutzung von Synergien und Kooperation bei der Weiterentwicklung … Schaffung einer bundesweit geltenden Basis zur Weitergabe und Nutzung von förderbezogenen Daten … Transfer von internationaler Expertise …Eine evidenzbasierte Qualitätssicherung und (pädagogisches) Ergebniscontrolling …“. Dringlich wäre in diesem Sinne daher eine Klärung, wie die unterschiedlichen Ebenen und Funktionsträger im Rahmen der Bildungsverwaltung zusammenwirken können. Bleibt es bei einer Schulverwaltung Alt? Wenn es bei den neuen Bildungsdirektionen um mehr gehen soll, als nur um eine Namensänderung ohne weitere Konsequenzen, dann müsste es doch um Fragen wie beispielsweise eine bessere Ressourcenverwaltung, die Erstellung standortbezogener und regionaler Entwicklungsprojekte, Stützungs- und Beratungskonzepte für Schulen,  einen organisierten Erfahrungsaustausch und ein prozessbegleitendes Monitoring gehen, kurz gesagt, es müsste um eine Schulverwaltung gehen, die nachweist, dass sie eben mehr kann, als nur „Schule verwalten“? Aber wie soll das realisiert werden, wenn man sich bei den geplanten Bildungsdirektionen in lächerlich anmutende Diskussionen über die Ernennungsmodalitäten der Bildungsdirektoren verstrickt?

 Es fällt auf, dass bei all diesen Fragen die Koalitionspartner sehr rasch in einen maliziösen Schlagabtausch geraten, ohne dass der Öffentlichkeit ein detaillierter Einblick in die Unterlagen geben wird. Hier wird der Unterhaltungswert solcher Diskussionen zwischen den verschiedenen Funktionsträgern und Parteisekretariaten bei weiten überschätzt! Bildungspolitik bedarf in der heutigen Zeit vor allem auch einer konsequenten Informationspolitik, sonst erstarrt sie in überholten Formen der politischen Auseinandersetzung und gerät zum medialen Schattenboxen!