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Evidenzbasierte Bildungspolitik – Ja, aber …

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Bei ihrer Antrittserklärung im Parlament hat die neue Bildungsministerin Hammerschmid erklärt, dass sie eine „evidenzbasierte Bildungspolitik“ betreiben möchte. "Meine Politik soll faktenbasiert sein. Deshalb brauche ich Ihre Erkenntnisse, Ihr Wissen", sagte sie in Richtung Forschung. In der Interpretation des Kurier v. 30.5.2016 soll das heißen: Schluss mit ideologischen Endlos-Debatten, stattdessen eine Reform, die auf wissenschaftlich fundierten Erkenntnissen beruht. Der nationale Bildungsbericht, der vergangene Woche veröffentlicht wurde, war ganz in diesem Sinne ein "Einstiegsgeschenk, weil er die Daten liefert, auf die das Ministerium aufbauen kann“.

                Der Zugang der Ministerin zu ihrem neuen Aufgabenbereich ist zweifellos ambitioniert gemeint und gibt in mancher Beziehung Anlass zu Hoffnungen. Auch die konkrete Bezugnahme auf den „Nationalen Bildungsbericht 2015“ (im Folgenden NB 2015) ist wohl begründet, handelt es sich doch mit diesem 3. Bericht (2009, 2012 und 2015) um eine umfassende, wissenschaftlich seriöse Datensammlung und Analyse, wie sie in den Jahren davor nicht zur Verfügung stand. Wer allerdings seine Politik in maßgeblicher Weise auf einer derartigen Unterlagen aufbauen will, der wird sich auch mit einigen Wenn und Aber auseinandersetzten müssen:

  1. Die österreichische Bildungspolitik ist gegenüber Forschungserkenntnissen traditionell resistent.
  2. Die österreichische Bildungspolitik vermeidet tunlichst eine Wirksamkeitsüberprüfung von eingeleiteten Maßnahmen.
  3. Die nationale Forschung liefert relativ wenige Erkenntnisse darüber, ob angestrebte Qualitätsverbesserungen im Unterricht stattfinden oder nicht.

 Zu Punkt1: Nachdenklich stimmen sollte, dass viele dieser Problemzonen seit vielen Jahren, oft Jahrzehnten bekannt sind, aber dennoch zu keinen bildungspolitischen Konsequenzen geführt haben. Ein Musterbeispiel ist die Schulbahnentscheidung am Ende der Grundschule, die in einem unglaublich hohen Ausmaß (mehr als Zweidrittel)durch sozial-familiale Faktoren, zu einem unglaublich geringen Teil (weniger als ein Drittel)  durch die Schulleistung bestimmt wird (siehe NB 2015, Band 2, S. 36). Gerade eben wieder hat sich die Bildungsreformkommission dazu „durchgerungen“, den Krisenbereich 4.Schulstufe unverändert zu belassen und anstelle dessen den unzweifelhaft auch wichtigen Schuleingangsbereich zu reformieren und nur kleine (keinesfalls nachhaltige) Veränderungen bei der Leistungsbeurteilung vor der 4. Schulstufe vorzunehmen. Mit dem Argument, in die Sackgasse einer Gesamtschuldiskussion zu geraten, gelingt es immer wieder, Tabuzonen einzurichten, die vor einer öffentlichen Diskussion und konkreten Reformschritten geschützt werden. Eine evidenzbasierte Bildungspolitik, die ja als Konzept nicht wirklich  vorliegt, sondern von der neuen Ministerin nur angedacht wurde, kann sich jedenfalls auf keine Automatik verlassen, die von faktenbasierten Schwachstellenanalysen zu echten Reformmaßnahmen führen, ganz im Gegenteil.

 Zu Punkt 2: Eine sich selbst ernst nehmende evidenzbasierte Bildungspolitik darf sich in Zukunft nicht vor der Aufgabe drücken,  eingeleitete bildungspolitische Maßnahmen auch einer Wirksamkeitsüberprüfung zu unterziehen. Das ist natürlich politisch riskant, weil damit letztendlich auch die politische Verantwortung für das Gelingen oder Misslingen von Reformen zur Debatte steht.

Beispielsweise stehen die zu Recht großen Erwartungen an ein verpflichtendes Kindergartenjahr im Kontrast zum Mangel an jenen Indikatoren, mittels derer die Erfolge in Zukunft gemessen werden könnten.

In einer höchst lesenswerten Analyse von Lorenz Lassnig („Vernunftsteigerung gesucht“, Der Standard, 27. April 2014) kommt der Autor zum Ergebnis, dass Bildungspolitik immer dann, wenn sie unter Druck gerät (Vorwurf: Zu geringe Lernerfolge bei hohen finanziellen Gesamtkosten), genau eben diese Kosten erhöht und es verabsäumt, sich um die qualitätssteigernde Wirkung der Investitionen zu kümmern. Am Beispiel der Gesamtkostenwirkung beim Projekt „Neue Mittelschule“ verweist Lassnig auf die kostentreibenden Maßnahmen mit nachhaltiger Zukunftswirkung ohne Gegenrechnung auf der Seite der Leistungen. „Was hätte die Nutzung von Evidenz bedeutet? Vor der … Erhöhung der Kosten hätte eine ersthafte Analyse des gegebenen Missverhältnisses von Kosten und Leistungen stattfinden müssen.“

Es geht in diesem Zusammenhang nicht um die Übertragung betriebswirtschaftlicher Kosten – Nutzen - Modelle auf das komplexe Unterrichtsgeschehen. Vielmehr ist die Frage zu stellen, ob die inhaltliche-konzeptuellen und qualifikationsbezogenen Rahmenbedingungen geschaffen wurden, damit die finanziellen Mehraufwendungen auch tatsächlich zu einem besseren, erfolgreicheren Unterricht führen.

 zu Punkt 3: Es fällt auf, dass sich auch der NB 2015 zu Fragen der Unterrichtsqualität und der für guten Unterricht notwendigen Voraussetzungen relativ sparsam äußert. Da und dort wird auf das Projekt ASQ verwiesen, aber ein umfassenderer Einblick ist der Studie nicht zu entnehmen! „Die systematische Beforschung des österreichischen Volksschulunterrichts über die Befragungsergebnisse in Vergleichsstudien hinaus ist als Desiderat zu bezeichnen … Forschung, die einen breiten und systematischen Überblick über den an Volksschulen praktizierten Unterricht gibt, scheint aber nicht vorzuliegen.“, NB 2015, Band 2, S.22. Die Frage der Information und Kommunikation über guten und erfolgreichen Unterricht, über Beratung und Unterstützung von Schulstandorten, über die Rolle, die in diesem Zusammenhang Schulaufsicht und Schulverwaltung spielen, aber auch die Erwartungen an Lehrerausbildung und Lehrerfortbildung nehmen wenig Raum im Nationalen Bildungsbericht ein. Sie werden da und dort in den Kapiteln „Schulleitung“, „Schulautonomie“ und „Bildungsfinanzierung als Governance-Problem“ angesprochen, es fehlt aber offenbar an Ergebnissen systematischer Forschung. Man sollte sich im Klaren sein, was dieser Mangel bewirkt! Am Ende der Enttäuschung über wirkungslose Investitionen kommt es dann regelmäßig zum Lehrer-Bashing durch einen Teil der Öffentlichkeit, obwohl es gerade die Lehrerinnen und Lehrer sind, die bei den neuen und hoch-komplexen Aufgabenstellungen relativ alleine gelassen bleiben.

K.S.