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Die "Schulautonomie": guter Klang, wenig Effekt

von Klaus Satzke
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"Schulcluster" machen noch lange keinen "Unterricht 4.0", "Bildungsdirektionen" können das Bildungsniveau kaum heben.

Das Ende des Schuljahres naht, und bald werden wir sie wieder hören, die Klagen der Betriebe, der Wirtschaftskämmerer und Experten: dass die Bewerber und Bewerberinnen um Lehrstellen nicht ausreichend qualifiziert seien, weder fachlich noch sprachlich noch sozial. Dass es an Arbeitswille ebenso fehle wie an Deutschkenntnissen sowie an Kenntnissen, die sinnvolle Handhabung des Computers betreffend. Hand in Hand damit geht die Klage, der Wirtschaft fehle es an guten Facharbeitern. All das trifft zweifellos zu. Warum aber ist die Situation so unbefriedigend, wie sie offensichtlich ist?

Eine Antwort lautet: Der größte Teil der Bewerber um eine Lehrstelle kommt aus der Neuen Mittelschule und der Polytechnischen Schule, jenen Teilen des öffentlichen Schulsystems, die heute in der öffentlichen Wahrnehmung weitgehend verdrängt sind. In diesen Schulen sitzt, vor allem im städtischen Bereich, das untere Drittel der Gesellschaft. Hier sitzen die Abgehängten, die Außenseiter, die Sprösslinge der bildungsfernen Schichten. Hier sitzen Kinder von Asylanten und Migranten.

Diese Schulen besuchen all jene, deren Mamas und Papas sich wenig bis gar nicht um die Nachmittagsbetreuung des Nachwuchses kümmern können. Aus diesem Sammelbecken der angehenden Verlierer muss die Wirtschaft also die zukünftigen Lehrlinge rekrutieren. Dieser Zustand ist für jeden einzelnen Lehrbetrieb so untragbar wie für den Standort Österreich insgesamt. Er ist für die Schüler ebenso unzumutbar wie für die Lehrerinnen und Lehrer, die in dem Knochenjob zwischen Fachlehrer und Mutti-Ersatz, zwischen Integrationsexperten und Sozialarbeiterin hoffnungslos überfordert sind.

Viele der Schulabgänger sind demotiviert, ahnen ihre Chancenlosigkeit und bemühen sich gar nicht mehr, eine Lehrstelle zu finden. Um es auf den Punkt zu bringen: In der "Pflichtschule" von heute werden die Arbeitslosen von morgen produziert.

Dieser Tage wird das "Schulautonomiepaket" endverhandelt. Wie auch immer der Kompromiss aussieht: Eine ordentliche Schulreform wird das noch lange nicht. "Schulcluster" machen noch keinen "Unterricht 4.0","Bildungsdirektionen" bereiten den Nachwuchs nicht auf die Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts vor. Mehr Entscheidungen auf Schulebene sind okay, aber wahrlich kein großer Wurf.

Ein guter Teil der Wirtschaft wie der ÖVP weiß es längst: Ohne einen großen Wurf, ohne flächendeckende Ganztagsschule, ohne zügige Realisierung der Gesamtschule von zehn bis vierzehn wird das allseits beklagte, niedrige Bildungsniveau nie und nimmer zu heben sein. Nötig wäre, horribile dictu: Eine Gesamtschule, wie sie von Skandinavien bis Südtirol längst selbstverständlich ist. Eine Schule, die, so wie das Experten formulieren, "auf Basis von Individualisierung, Personalisierung und Differenzierung" aufgesetzt ist. Eine Schule, die Stärken stärkt, Schwächen schwächt und die Kinder nicht schon im Alter von zehn Jahren in "gut" und "schlecht" segregiert. Eine Schule, die möglichst wenig "Humankapital" liegen lässt und, hinreichend ausgestattet, auch noch den Löwenanteil der bitter nötigen Integrationsarbeit leisten könnte. Eine Schule, die leistungshungrige, mündige Staatsbürger entlässt -und nicht potenzielle Sozialhilfeempfänger.

Es ist österreichische Realität, dass über große Reformentwürfe wie diese nicht einmal mehr laut nachgedacht wird - aus Angst vor medialem wie gewerkschaftlichem Sperrfeuer. Pawlow'sche Reflexe aus der Steinzeit ("Gesamtschule ist Einheitsbrei!") dominieren die Debatte. Mit einer großen, löblichen Ausnahme: Das ÖVP-regierte Vorarlberg hat sich mit Zustimmung aller Parteien (und aufgrund einer soliden Faktenbasis!) dazu entschlossen, eine große "Modellregion für die Gesamtschule" sein zu wollen.

Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, dass die Bundes-ÖVP diese richtungsweisende Entscheidung ihrer alemannischen Brüder und Schwestern bis dato nicht einmal ignoriert, die praktische Umsetzung in die Praxis durch nötige Bundesgesetze verhindert. Es ist ein Jammer, dass die schwarze Lehrergewerkschaft, vereint mit dem ÖAAB, jeden Ansatz einer großen Bildungsreform aus puren Standesinteressen verunmöglicht. Und ebenso jammerschade ist, dass der liberale und modern denkende Wirtschaftsflügel der ÖVP diesem bürgerlichen Trauerspiel seit Jahr und Tag und wider besseres Wissen tatenlos zusieht.