« vorheriger Artikel | Home | nächster Artikel »

Eine neue Bildungsbarriere wird aufgebaut

von Helmut Seel
Artikel drucken

Die Zahl der Studierenden an Österreichs Universitäten und Hochschulen wächst. Und sie wächst schneller als das Hochschulbudget, wie der Wissenschaftsminister mit Bedauern feststellt.  Das begrüßenswerte Anwachsen der Zahl der Studienanfänger hat als eine Voraussetzung das Ansteigen der Zahl der Schulabgänger mit Maturaniveau. Zu den traditionellen allgemeinbildenden und  berufsbildenden höheren Schulen  kommen Absolventen der Studienberechtigungsprüfung und der Berufsreifeprüfung. Außerdem ist die Nachfrage nach österreichischen Studienplätzen aus dem Ausland beträchtlich. Dies betrifft  vor allem das Medizinstudium.

Die Reaktion des Wissenschaftsministers und Vizekanzlers ist nicht befriedigend. Zwar versucht er es hinter wolkigen Ausführungen zu verbergen,  der Kern seiner Aussagen ist aber eindeutig erkennbar Es werden weitere Zugangsbeschränkungen eingeführt. Zu den bereits bestehenden (Medizin, Veterinärmedizin, Psychologie Publizistik, Biologie, Informatik, Pharmazie und Wirtschaftswissenschaften) sollen vor allem Pädagogik, Rechtswissenschaften,  Anglistik und Romanistik kommen. Die zahlenmäßig begrenzten Studienplätze werden  nach  dem Erfolg bei den Aufnahmeprüfungen vergeben. Dass der Minister mit seinen Plänen den Wünschen der Universitätenkonferenz entspricht, besagt wenig. Er ist der bildungspolitisch Verantwortliche.

Die Reifeprüfung erleidet durch diese Entwicklung einen Bedeutungsverlust. Sie ist nur mehr die Voraussetzung dafür, dass man zu den universitären Aufnahmeprüfungen zugelassen wird. Dies könnte der Diskussion über die Abschaffung der Reifeprüfung, die seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts immer wieder geführt wird, neuen Auftrieb geben.  Kritisiert wird der doppelte Abschluss der höheren Schulen: Positiver Abschluss des letzten Schuljahres und anschließend die aufwändige Maturaprüfung.  Betrachtet man die verschiedenen Gründe, die man für den Bestand der Reifeprüfung anführen kann, so ist – wie der Grazer Universitätsprofessor für Pädagogik Eduard  Martinak nach umfassender  Analyse schon 1908 feststellte – nur einer davon stichhaltig: die Kontrolle der Lehrer. Für diese Funktion sollte doch die bestehende Schulaufsicht durch Inspektoren ausreichend sein. Ein Reformschritt wäre jedenfalls ohne Qualitätsverlust möglich: Jeder Schüler, der die letzte Schulstufe einer höheren Schule erreicht, könnte als Maßnahme der Entlastung jedenfalls  zur  Reifeprüfung zugelassen werden. Im bestehenden System müssen  sich die Schüler auf jene Fächer konzentrieren, die ihnen Schwierigkeiten  bereiten, Begabungen und Interessen müssen oft zurückstehen. Damit könnte auch manche unsinnige, aber verständliche Prüfungsfächerwahl vermieden und eine erste Orientierung in Richtung künftiger universitärer Studienrichtungen ermöglicht  werden.

Diese Entwicklung im Hochschulbereich verursacht neue Bildungsbenachteiligungen. Um die Aufnahmeprüfungen zu bestehen, wird eine besondere Vorbereitung notwendig.  Das erworbene Schulwissen reicht nicht, insbesondere da eine Schwerpunktsetzung im Lehrplan nur sehr begrenzt möglich ist. Es wird für viele Maturanten der Besuch  privater, mit Kosten verbundener Vorbereitungskurse notwendig. Es ist ein zusätzliches Jahr der Ausbildung zu veranschlagen. Beides belastet besonders Kinder der weniger vermögenden Sozialschichten. Der zur schulischen Nachhilfe entstandene Bildungsschwarzmarkt, die „pädagogische Schattenwirtschaft“ (K. H. Gruber) wächst und blüht.  

Dieser Weg des Wissenschaftsministers kann keinesfalls eine befriedigende Lösung des Anwachsens der Studieninteressen sein. Mit Recht wird in vielen Reden von Politikern die Bedeutung der Bildung betont. Die Vorgangsweise des Wissenschaftsministers steht dazu im Widerspruch. Sie sollte keine Unterstützung durch sozialdemokratische Entscheidungsträger erfahren.