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Bildungspolitik unter rot-pinken Vorzeichen in Wien Teil II

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Teil I: Bereich Schule

Das zweite Schwerpunktthema  im Bildungskapitel ist der Bereich Schule

 Im Wesentlichen geht es in diesem Abschnitt um den Ausbau bzw. die Weiterentwicklung der Projekte Ganztagsschule, Schulen mit besonderen Herausforderungen und Campus-Standorte.

Die kostenfreie Ganztagsschule mit verschränkter Vormittags- und Nachmittagsbetreuung

soll gewissermaßen das Vorzeige-Projekt der Wiener Schulentwicklung werden. Der Ausbau von zehn zusätzlichen kostenfreien verschränkten Ganztagsschulen pro Jahr soll eine flächendeckende Versorgung in der ganzen Stadt sichern. Langfristig soll es an jeder Wiener Schule eine Tagesbetreuung in offener oder verschränkter Form geben. Für die Aufnahme eines Kindes in eine ganztägig geführte Schule in verschränkter Form gelten die Kriterien der

-          Wohnortnähe zum Schulstandort,

-          der Berufstätigkeit der Eltern,

-           zukünftig auch Indikatoren wie der sozio-ökonomischer Hintergrund des Kindes,

-          der Deutschförderbedarf und

-          Empfehlungen aus dem elementarpädagogischen Bildungsbereich.

 Fazit: Das Ganztagsschulprojekt soll offenbar  Antworten  auf jene Probleme geben, die sich aus dem hohen Anteil von Schülern_innen mit Migrationshintergrund und der massiven Abwanderung von Schüler_innen in den Bereich der Bundesschule (AHS) ergeben. Dieses Projekt war schon in den Wahlprogrammen beider Koalitionspartner klar verankert und stellt daher eine naheliegende Schnittmenge dar. Die großen Erwartungen auf bessere Schulerfolge bei Schüler_innen aus bildungsfernen Familien, die sich mit diesem Projekt verbinden, sind nicht unplausibel. Allerdings ist zu bedenken, dass die bundesweiten Auswertungen über den Bildungserfolg an ganztätigen Schulen nur sehr bedingt derartige Erwartungen bestätigen. Ganztägige Aufbewahrung plus Hausübungsbetreuung wären zu wenig! Es fällt jedenfalls auf, dass gerade in diesem Schwerpunktbereich nicht explizit von Qualitätsstandards und einer wissenschaftlich geleiteten Evaluation die Rede ist. Die Erfahrung hat mehrfach gelehrt, dass Organisationmodelle alleine noch keine Selbstläufer für bessere Bildungserfolge sind. Letztlich geht es (siehe Hattie-Studie) immer wieder um ein hohes Maß an Unterrichtsqualität und geeignete Rahmenbedingungen wie bauliche, personelle und finanzielle Rahmenbedingungen (vorgesehene strukturelle Maßnahmen, siehe unten bei „strukturelle Verbesserungen“).

Das Wiener Bildungsversprechen

ist im Gegensatz zu seinem etwas unverbindlichen Titel „ein umfassendes Schulentwicklungsprogramm“, mit dem „ein Turbo für die Schulentwicklung gestartet werden soll.“ „Im Hauptfokus liegt die Unterrichtsqualität an den besonders herausfordernden Großstadtschulen mit dem Ziel,  das pädagogische Personal zu entlasten und den Schüler_innen durch Unterstützung bessere Bildungschancen zu ermöglichen.“ Merkmale des Projektes:

-          Teilnehmen sollen Wiener Pflichtschulen, die „mit besonders hohen Herausforderungen“ konfrontiert sind.

-          Diese Schulen werden von Schulentwicklungsexperten begleitet.

-          Mit den Schulen wird eine individuelles Unterstützungs- und Entwicklungsprogramm erarbeitet.

-          Das Projekt wird wissenschaftlich begleitet und evaluiert.

 Fazit: Ausgewählt  werden Schulen, die sich in typischen sozialen Brennpunktregionen der Großstadt Wien befinden  und die aus vielfältigen Gründen mit besonderen Problemen ringen. Bewusst wird auf die Verwendung des Begriffs „Brennpunktschulen“ verzichtet, um Diskriminierungseffekte zu vermeiden. Die „besonderen Herausforderungen“ werden nicht konkret benannt, gemeint sind aber  offensichtlich massive Einbrüche bei den Lernleistungen, ungehemmt aggressives Verhalten von Schüler_innen untereinander, hohe Fehlstunden, Kommunikationprobleme mit den Erziehungsberechtigen etc. An der Dringlichkeit des Vorhabens besteht kein Zweifel, die inhaltliche Ausrichtung des Projektes ist aber eher unbestimmt. Offenbar sollen mittels zusätzlicher personeller Ressourcen und der Einbeziehung von Schulentwicklungsexperten und Sozialarbeitern  standortspezifische Strategien entwickelt werden, die die Probleme zumindest mildern  können und die  dort tätigen  Lehrer_innen soweit entlasten können, dass Raum für offensive pädagogische  Strategien entsteht. Die wissenschaftliche Begleitung und Evaluierung wird wohl in erster Linie auf eine Art Prozessmonitoring setzen müssen, das erfolgreiche Strategien erkennt und verstärkt, aber auch zeitgerecht auf drohende Fehlentwicklungen verweist. Vom Anspruch her handelt es sich um ein äußerst komplexes und schwieriges Unternehmen, an dessen Dringlichkeit nicht zu zweifeln ist.

In einem dritten Vorhabensbereich geht es unter dem Titel „Gemeinschaftsschule – Chancenschule“ um den

Ausbau von  Campus Standorten.

Mit diesem Vorhaben sollen „die sozial selektiven Nahtstellen zwischen der Volksschule und Mittelschule durch ein übergreifendes pädagogisches Konzept und eine strukturelle Verknüpfung der Primar- und Sekundarstufe
überbrückt werden. Es handelt sich also um eine Version der  „Schule für die 6- bis 14-jährigen“, die sich aus der räumlichen Nähe (Campus) und engen Verknüpfung von Volksschulen mit einer Sekundarstufe I (im Normalfall wohl einer Mittelschule) ergibt. Besondere Bedeutung hat in diesem Projekt der Anschluss an Ausbildungswege in die Sekundarstufe 2, also zu allgemeinbildenden und berufsbildenden höheren Schulen.

Bis 2030 sollen derartige Vorhaben an 10 Standorten verwirklicht werden, bis 2035 sollen in Summe 23 Bildungscampusstandorte in Betrieb sein.  

Fazit: Die Campus-Idee ermöglicht eine enge Zusammenarbeit von räumlich nahe gelegenen Grundschulen und Mittelschulen, die den Schüler_innen weite Schulwege sowie schwierige Schulwechsel erspart und eine längerfristige Vorbereitung auf weiterführende Schulen im Bereich der Sekundarstufe II erleichtert. Dahinter steht die Idee einer gesamtschulähnlichen Zusammenführung unterschiedlicher Schularten, wenngleich eine Kooperation mit AHS-Unterstufen im Konzept nicht erwähnt und nicht ausdrücklich vorgesehen ist. Voraussetzung für diese Projekte sind vorhandene räumlich-geographische und bauliche Gegebenheiten, wie sie vor allem in neu erschlossenen Wohnbereichen zu finden sind. Eine geringere Abwanderung in die AHS-Unterstufe und eine daraus resultierende vollständigere Begabungsbreite  bieten die  Chance für eine breite Förderung aller Begabungen.

 Zur Verwirklichen obiger  Vorhaben sind folgende strukturelle Verbesserungen vorgesehen:

 Mehr Fach- und Unterstützungspersonal:

○ Eine administrative Fachkraft für jede Wiener Schule (!)

○ Ein starker Ausbau von psychosozialen Fachkräften an Wiener Schulen mit besonders großen
Herausforderungen.
○ Zusätzliches Unterstützungspersonal für Kinder und junge Menschen mit Behinderungen.
○ Evaluierung des Einsatzes von medizinischem Unterstützungspersonal (School Nurses).

Personeller Ausbau im Bereich der Sprachförderung:

Mit Hilfe eines Chancenindex durch den Bund soll auf die besonderen Herausforderungen von Großstadtschulen
bei der Zuteilung reagiert werden. „Diese Bonus-Zuteilung darf sich nicht nur auf einzelne Pilotschulen beziehen, sondern muss nach klar nachvollziehbaren Kriterien langfristige Planung am Schulstandort ermöglichen.“ Konkret geht es um die

 ○ bedarfsgerechte Bereitstellung der Planstellen für Deutschfördermaßnahmen,

○ Sicherstellung der schulischen Förderung von allen Schüler_innen mit nichtdeutscher

Erstsprache,

○ regionale Bildungsnetzwerke, die sich  regelmäßig austauschen und voneinander lernen sollen,

○ regelmäßige Fortbildung und Coaching-Angebote,

○ Bereitstellung von Dolmetscher_innen für Elterngespräche in der Erstsprache der Kinder.

 Fazit: Die im Koalitionspapier genannten Vorhaben schließen an Projekte an, die zum Teil bereits seit einigen Jahren laufen. Sie werden nun aber in einen systematischen Zusammenhang mit der allgemeinen schulischen Stadtentwicklung gebracht und sollen Antworten auf Schlüsselprobleme der Schulen in Wien geben.

Die beabsichtigen Maßnahmen sehen eine Qualitätsinitiative im Bereich des Kindergartens vor, eine Intensivierung der Deutschförderung im Bereich Schule, den Ausbau von Ganztagsschulen mit verschränktem Unterricht, spezielle Schulentwicklungsprojekte an Schulen mit besonderen Herausforderungen und den Ausbau von Campus-Schulprojekten.

 Voraussetzung für das Gelingen dieser Vorhaben sind die angekündigten zusätzlichen personellen und finanziellen Ressourcen für Lehrerpersonal, die Einbeziehung von Schulentwicklungsberatern und von psycho-sozialen Fachkräften  sowie eines begleitendes Monitorings. Die zahlreiche Verwendung von Begriffen wie „Sicherung der Unterrichtsqualität“, „Qualitätsstandards“, „Qualitätsentwicklung“, „Evaluierung und Weiterentwicklung“, „Unterstützungskonzepte“, „ Schulentwicklungsproramme“, „evidenzbasierte Weiterentwicklung“, „Erstellung von Bedarfsprognosen“ etc. wirft die Frage nach dem erforderlichen wissenschaftlichen Begleitpersonal auf. Mit den  vorhandenen Ressourcen im Bereich der Bildungsdirektionen (ehemalige Schulaufsicht) wird hier kaum das Auslangen gefunden werden können und Auslagerungen kosten viel Geld. Der vor mehreren Jahren erfolgte Verzicht auf das Wiener Pädagogische Institut erweist sich in diesem Zusammenhang als Fehler.

Eine detaillierte personelle und finanzielle Ressourcenplanung liegt zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht vor, wird aber bei Vorhaben dieser Größenordnung und mit solch  hohen Ansprüchen unerlässlich sein. In diesem Zusammenhang kommt auch der Frage einer Beteiligung des Bundes Bedeutung zu bzw. der Frage einer besseren Berücksichtigung von großstädtischen Herausforderungen im Bereich der Stellenpläne. Auch wäre zu klären, in welchem Ausmaß und unter welchen Bedingungen Institutionen des Bundes (Pädagogische Hochschulen und Universitäten) miteinbezogen werden.

S.K.