« vorheriger Artikel | Home | nächster Artikel »

Das Pädagogikpaket – ein toxischer Ladenhüter aus der türkis-blauen Regierungsperiode

Artikel drucken

Ende Juli berichteten „Der Standard“ und „Die Presse“ über einen Beratervertrag, den Bildungsminister Faßmann mit Matthias Strolz, vormals Neos-Obmann, abgeschlossen hat. Die Berichte beschäftigten sich primär mit Honorar und Datum des Vertragsabschlusses. Dabei ist die inhaltliche Ausrichtung der gegenständlichen Beratertätigkeit mindestens ebenso interessant, geht es doch um eine „Strategiebegleitung und ein Kommunikationskonzept beim Pädagogikpaket.“ Vielleicht sollte man sich in Erinnerung rufen: Das Pädagogikpaket ist jenes Gesetzeskonvolut, mit dem gleich zu Beginn der türkis-blauen Regierungsperiode ordentlich Klartext im Geiste der neuen Koalition geredet wurde.  Damals wurden mit Ende der zweiten Schulstufe in der Volksschule die Ziffernnoten und das Sitzenbleiben wieder eingeführt.  Die gesamt Opposition, also SPÖ, die Grünen, das Pilz’sche Jetzt und die NEOS liefen im Parlament dagegen Sturm. Und jetzt hilft Strolz bei der Vermarktung! Am Inhalt und Geist dieses Gesetzes hat sich seither nichts geändert. Es ist getragen von einem Verständnis von Leistungsbeurteilung, das sich primär an Außenkriterien (Standards) orientiert und aufzeigen soll, wo die Überdurchschnittlichen und die Unterdurchschnittlichen liegen, um besser die Selektionskeule schwingen zu können. In der damaligen Regierungserklärung heißt es: Standardisierte, regelmäßige Feststellung des Lernfortschritts auf Basis der präzisierten Lehrpläne, der Benotungssystematik, der Bildungsstandards und der Bildungspflicht in allen Schultypen und Schulstufen. Der Abgeordnete  Hoyos-Trauttmansdorff von den NEOS urteilte über das Pädagogik-Paket „Das Pädagogikpaket liefert Rückschritte in mehreren Bereichen, es trage nicht zu einem zukunftsorientierten Bildungssystem bei, zumal viele Maßnahmen ohne Evidenz und nur aus parteipolitischen Gründen gesetzt worden seien.“ Und dieses Paket  soll ein Mann wie Matthias Strolz, ein Mann der großen, pathetischen Worte, wenn es um Bildung geht, glaubwürdig „verkaufen“? Interessant in diesem Zusammenhang auch, dass es nicht alleine um das „Pädagogikpaket“, sondern auch „um die Begleitung der Stakeholder-Tour zu den neuen Lehrplänen neu“ geht. Von den „Lehrplänen neu“ weiß man noch nicht viel, außer, dass sie kompetenzorientiert gestaltet werden sollen. Die Sache ist dem Minister so wichtig, dass kürzlich in einer eigenen Novelle zum SchOG (beschlossen mit den Stimmen von ÖVP und Grünen) festgehalten ist: „Die Lehrpläne der 10. bis einschließlich der vorletzten Schulstufe an zumindest dreijährigen mittleren und höheren Schulen müssen, alle anderen Lehrpläne können, jeweils kumulativ oder alternativ Kompetenzen, Kompetenzmodelle und Kompetenzmodule enthalten.“ Mit dieser Generalvollmacht im Rücken macht sich der Minister eilig, aber zunächst ohne viel Öffentlichkeitsarbeit ans Werk. Über das Für und Wider einer Kompetenzorientierung lässt sich im Kreis von Curriculumexperten trefflich streiten, aber das verschleiert nur, dass es in Wahrheit um ein Gesamtkonzept der Steuerung von Schule geht, das die Ideen des Pädagogikpaketes mit kompetenzorientierten Lehrplänen und einer neuen Steuerungsphilosophie für das Bildungswesen verknüpft.  Einige Zitate aus der Website des Bildungsministeriums sollen das veranschaulichen:

„In der 2018 erlassenen Schulreifeverordnung sind erstmals österreichweit einheitliche Kriterien zur Überprüfung der Schulreife festgelegt. …  Die neuen Lehrpläne für Volksschulen und die Sekundarstufe I – (Neue) Mittelschule und Unterstufe der AHS – bilden den Wandel vom lehrstofforientierten zum kompetenzorientierten Unterricht ab. … Die neue Leistungsbeurteilungsverordnung ist auf den kompetenzorientierten Unterricht hin ausgerichtet und verknüpft die Lehrpläne mit der Leistungsbeurteilung. …  Die  iKMPLUS (Informelle Kompetenzmessung) stellt eine Weiterentwicklung der Bildungsstandardüberprüfungen (BIST-Ü) und der Informellen Kompetenzmessung (IKM) dar und wird diese ab dem Schuljahr 2021/22 ablösen und ergänzen. … Als standardisiertes Instrument dient die iKMPLUS der Erhebung des Lernstands von Schülerinnen und Schülern in ausgewählten Kompetenzbereichen der Unterrichtsfächer Deutsch, Mathematik und Englisch.“

Diese Zitate lassen erkennen, dass es um die Verknüpfung der kompetenzorientierten Lehrpläne mit den Bildungsstandards und entsprechender Testverfahren geht. Die großartig klingenden Kompetenzkataloge führen zu einer Vielzahl von  Testverfahren, mit denen die Schulen ver- und ein-genetzt werden. Damit erreicht die Schulbürokratie das Ziel einer standardisierten, kriterienorientierten Selektion anhand „objektiver Standards“ vom Schuleintritt (Schulreife) bis zum Schulübertritt in die AHS und der Einteilung in Leistungsgruppen in der Mittelschule. Im Weißbuch des Ministeriums „Steuerung
des Schulsystems  in Österreich“ heißt es: „Durch standardisierte Testungen, die Analyse von Daten im Bildungsmonitoring, durch die externe Schulevaluation und über die Dienstbesprechungen mit den Bildungsdirektionen erhält das BMBWF Rückmeldungen über die Leistung des Schulsystems. Gemeinsam mit Schlussfolgerungen betreffend die Entwicklung von Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft werden diese Informationen genutzt, um das Schulsystem zu gestalten.“

Die Folge dieser Systemumstellung wird nicht nur ein „Teaching to the Test“ sein, sondern ein Verlust von Freiräumen für standortspezifische und regionale  Auslegungen. Man sollte die daraus resultierenden Probleme keinesfalls unterschätzen! Schuleintritt (Stichwort: Schulreife), Schulübertritt (Stichwort: verdeckte  Aufnahmsprüfung)  und Leistungsgruppen (Stichwort Mittelschule) sind die Orte, an denen die neue Steuerung durchexerziert wird. Ein Betriebsgeheimnis der österreichischen Schule sind die enormen Unterschiede zwischen den einzelnen Schulen, sowohl innerhalb als auch zwischen Regionen und Bundesländern. Um dieses „Geheimnis“ wissen alle Schulinsider und auch viele Eltern Bescheid.  Bisher hatten die österreichischen Lehrpläne Rahmencharakter, d. h. sie formulierten Bildungsziele und Lehrstoffe auf einem mittleren Abstraktionsgrad und ließen damit den Schulen sinnvolle Freiräume. Sinnvoll deshalb, weil die Schulen solche Freiräume brauchen, um auf eben diese Unterschiede reagieren zu können. Die jahrelange Tragik-Komödie um eine standardisierte Reifeprüfung ist ein Musterbeispiel dafür, wohin es führt, wenn bundesweit einheitliche Standards rigoros angewendet werden. Allerdings gibt es im Bereich der AHS engagierte Mittel- und Oberschicht-Eltern, die sich zu wehren wissen und die eine Anpassung beispielweise der  Mathematik-Beispiele an die Schulrealität regelmäßig erzwungen haben. Wo diese Lobby fehlt, dort fehlen dann auch Freiräume, dort beginnen Schuldzuweisungen und die Dominanz von nur scheinbar „objektiven“ Messinstrumenten.

Man muss sich fragen, mit welchen Argumenten Matthias Strolz für dieses Vorhaben gewonnen werden konnte. Seinen Traum, „jedem Kind die Flügel zu heben“ hat er wohl wie einst Ikarus ausgeträumt.

K.S.