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Lehrerbildung Neu – ein Beispiel für evidenzbefreite Bildungspolitik?

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Was ist los mit der Lehrerbildung Neu? Wieso gibt es keine  Zwischenergebnisse, keine umfassende Evaluation? Was ist mit den Ankündigungen des Bundesministers, dass im Herbst Studien zur Lehrerbildung zur Verfügung stehen werden?

Tatsache ist, dass es im Bereich der sogenannten Lehrbildung Neu (beschlossen im Kalenderjahr 2013!) einen eklatanten Mangel an  Informationen, Daten, Fakten und sich abzeichnenden Entwicklungstendenzen gibt. In unserem Beitrag „Herr Bundesminister, die Informationsdefizite im Bereich Lehrerbildung sind unerträglich“ vom Juli 2022 (siehe www.bpag.at)  haben wir schon darauf verwiesen, dass schlichtweg die Grundinformationen fehlen. Der Qualitätssicherungsrat (QSR) legt zwar jährlich dem Parlament umfangreiche Berichte vor, geht aber in den vorliegenden Unterlagen konkreten Zahlen, Entwicklungsanalysen und Statistiken ziemlich konsequent aus dem Wege. Immer wieder ist von einem Monitoring die Rede, es wird aber an keiner Stelle offengelegt, welches methodische Konzept diesem Monitoring zugrunde liegt. Handelt es sich lediglich um Gesprächsrunden mit den institutionellen Vertretern von Unis und Hochschulen, oder gibt es ein Konzept der systematischen Beobachtung und einer Verlaufskontrolle an Hand von definierten Standards der Lehrerbildung?  Beispielsweise ist die Frage der Personalentwicklung innerhalb der Kooperationsverbände doch zweifellos eine zentrale Thematik. Wie viele auf welchem Qualifikationsniveau agierende Lehrende sind in den Bereichen Fachwissenschaft, Fachdidaktik und schulpraktischer Ausbildung tätig? Gibt es in diesen Bereichen eine Veränderung, eine Entwicklungsrichtung und was ergeben vergleichende Analysen zwischen den Kooperationsverbünden?

Auch um die Evaluation einzelner Studienbereiche im Hinblick auf bestimmte Mindestziele sieht es sehr dürftig aus. Anzuerkennen ist, dass es zumindest für die sogenannte Induktionsphase der Ausbildung eine empirische Analyse gibt, die interessante Ergebnisse zu Tage gefördert hat. Wenn bei einer Gesamteinschätzung der Vorbereitung auf die praktische Unterrichtstätigkeit sich 34,2 % der Studierenden „eher“ oder „völlig“ gut vorbereitet sehen, dann ist das kein Grund zum Jubeln. Es besagt, dass sich 65,9 % wenig vorbereitet fühlen. Es besagt, wie das die Studie formuliert, „dass der Übergang vom Studium in die Unterrichtspraxis auf der Primarstufe  viele Anwärter*innen mit vielen neuen Aufgaben konfrontierte, auf die sie sich durch das Studium nur zum Teil vorbereitet  fühlen“ (siehe „Der Berufseinstieg in das Lehramt“, Waxmann 2021).

So interessant diese Ergebnisse auch sind, sie werden im Bericht der QSR einfach nur wiedergegeben, weiterführende Konsequenzen sind nicht erkennbar. 

Ganz im Gegensatz dazu berichtet Thomas Bulant in der APS / Gewerkschaft öffentlicher Dienst sehr konkret über Ausbildungsmängel, auf die befragte Junglehrer hinweisen:

„Das Lehren von Fachinhalten steht, abhängig vom Verbund, an den Universitäten im Vordergrund. Die von den Unterricht von Kindern wesentliche Beziehungsarbeit erfährt kaum Unterstützung durch wesentliche Inhalte wie Classroom-Management, Unterrichtsentwicklung, Methodentraining, Elternarbeit, Kommunikationsstrategien im pädagogischen Krisenmanagement etc. Die für das Kennenlernen von Beziehungsarbeit wesentlichen praktisch-pädagogischen Studien werden abhängig von der Ausbildungssituation immer mehr an den Rand der Curricula gedrängt. Der Studienplan sieht keine Orientierungspraktika zum Studienbeginn und viel mehr Hospitations- und Unterrichtsverpflichtungen im Master- als im Bachelorstudium vor.“

Wenn diese Diagnose stimmen sollte, dann fragt man sich, warum darüber nicht in den Berichten des QSR berichtet wird. Anfang Juli hat der Minister unter dem Titel „Polaschek stellt Lehrerausbildung auf Prüfstand“ (Tiroler Tageszeitung“ v. 9.7.2022) angekündigt: "In den nächsten Wochen werden zwei Evaluierungen vorliegen - einerseits die der Lehramtsausbildung durch den Qualitätssicherungsrat und andererseits die der Situation der Junglehrer." Anschließend werde man mit Unis und Pädagogischen Hochschulen die nötigen Diskussionen führen. Nun ist es bereits Oktober, aber von den genannten Studien wurde der Öffentlichkeit nichts bekannt. Wobei sich ohnehin die Frage stellt, welche Funktion derartige Studien nach so vielen Jahren Laufzeit der „Lehrerbildung Neu“ haben können.

Im Jahre 2019, also 6 Jahre nach den gesetzlichen Regelungen für die neue Lehrerbildung wurde die Hochschule St. Gallen mit einer umfassenden Studie beauftragt, deren zentrale Fragestellungen lauten:

  • · Welche Kompetenzen weisen AbsolventInnen in welchem Umfang auf?
  • · Welche Kompetenzen hat das Studium in welchem Umfang vermittelt?
  • · Welche Effekte zeigen sich im Klassenzimmer (bei Schülerinnen und Schülern) in Abhängigkeit von dem Kompetenzprofil der AbsolventInnen?
  • · Gibt es Unterschiede zur „alten“ PädagogInnenausbildung? Wo liegen diese?

Fürwahr grundlegende Themenstellungen, und man fragt sich, ob es nicht noch etwas grundsätzlicher geht. Aus diesem Holz sind nicht selten abschließende Berichte geschnitzt, die letztlich alles beim Alten lassen. Aber die Sache ist zu ernst für Scherze! Dennoch, wäre es nicht klüger gewesen, auf kleinere, aber prozessbegleitend angelegte Studien zu setzen? Wohlgemerkt, die Rede ist von einer Studie, die noch immer nicht vorliegt! Wenn Fragen im laufenden Prozess weiterhin unbeantwortet bleiben, dann findet jeder der vier Lehrerbildungsverbünde eben seine eigenen Antworten, und die werden nicht selten geprägt sein von der eigenen Interessenlage!

Prof. Ewald Terhart, der 1998 von der deutschen Kultusministerkonferenz mit der Leitung der „Gemischten Kommission Lehrerbildung“ beauftragt wurde, hat die Bedarfslage so benannt: „Es kann nicht länger hingenommen werden, dass die Lehrerbildung als ein für die Qualität des Bildungswesens entscheidender Bereich keiner systematischen, soliden, breit gefächerten, ebenso landesspezifischen wie länderübergreifenden Evaluation unterzogen wird.“

 

K.S.