Helmut Seel / Die Übernahme des "Unterrichtspraktikums" durch die Pädagogischen Hochschulen - Ein erster Schritt zur Reform der Lehrerbildung für die höheren Schulen?
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Mehr als hundert Jahre lang im 19. und 20. Jahrhundert bereitete die Universität durch ihre Lehrveranstaltungen auf den theoretischen Teil der Lehramtsprüfung für Gymnasien und Realschulen/Mittelschulen/Allgemeinbildende höhere Schulen als Staatsprüfung vor. Die schul- und unterrichtspraktische Ausbildung erfolgte im anschließenden Probejahr an den Schulen durch die Betreuung/Anleitung erfahrender Lehrer unter der Aufsicht der Schuldirektoren. Mit der abschließenden Beurteilung des Probejahres wurde die Lehrerausbildung abgeschlossen. Durch das Gesetz über Geisteswissenschaftliche und Naturwissenschaftliche Studienrichtungen wurde gesetzlich 1974 (in der Umsetzung an den einzelnen Universitäten in den frühen achtziger Jahren) die universitäre Lehrerbildung als neunsemestriges berufsqualifizierendes Diplomstudium mit einem akademischen Magisterabschluss neu eingerichtet. Im Vergleich zu den fachwissenschaftlichen Studienrichtungen (meist achtsemestriges Diplomstudium) dauerte das Lehramtsstudium um ein Semester länger, um Zeit für die pädagogische, didaktische und schulpraktische Ausbildung zu schaffen. Die fachdidaktischen Studien wurden der fachwissenschaftlichen Ausbildung zugeordnet. Das Probejahr wurde abgeschafft, da die Diplomprüfung für das Lehramt die volle berufliche Qualifikation erteilte.
Die Schulverwaltung hatte damit ihre direkte Einflussnahme auf die universitäre Lehrerbildung verloren, da die Universitäten ihre Studienpläne, insbesondere auch die der pädagogischen und schulpraktischen Ausbildung autonom gestalten konnten. An die Stelle der Staatsprüfung war eine akademische Abschlussprüfung (Diplomprüfung) getreten, die schul- und unterrichtspraktische Ausbildung erfolgte nicht mehr in der Verantwortung der Schulen. An den Universitäten wurden eigene Zentren für die schulpraktische Ausbildung eingerichtet.
Die Schulverwaltung sicherte sich in der Folge ihren Einfluss auf die Lehrerbildung für die höheren Schulen durch die Einführung des „Unterrichtspraktikums" (Gesetz über das Unterrichtspraktikum 1988), welches in der alleinigen Verantwortung der Schulverwaltung eingerichtet und durch die Pädagogischen Institute durchgeführt wurde. Gegenüber den Universitäten schottete man sich ab, die auf Grund einer gesetzlichen Regelung von der Mitwirkung ausgeschlossen wurden. Auf eine kontinuierliche Weiterführung der Lehrerbildung von der Ausbildung in die Fortbildung wurde damit verzichtet. Offiziell wurde die Einführung des „Unterrichtspraktikums" , dessen positive Absolvierung zur Voraussetzung für die Anstellung als Lehrer deklariert wurde, mit dem zu geringen Ausmaß der pädagogischen, didaktischen und schulpraktischen Ausbildung im Rahmen des universitären Diplomstudiums. Zum „Unterrichtspraktikum" werden die Absolventen des Lehramts-Diplomstudiums an den Universitäten zugelassen. Sie treten in ein Ausbildungsverhältnis (nicht Dienstverhältnis) zum Staat ein und erhalten einen Ausbildungsbeitrag von 50 % des Anfangsbezugs eines AHS-Lehrers.
Das „Unterrichtspraktikum" hat zunächst eine Qualifikationsfunktion. Diese umfasst einen Lehrgang, der bisher von den Pädagogischen Instituten des Bundes eingerichtet und geführt wurde (zweitägige Einführung, Hauptlehrgang im Ausmaß von rd. 90 Lehreinheiten) Weiters unterrichtet jeder Unterrichtspraktikant in jedem seiner beiden Unterrichtsfächer eine Klasse in eigener Verantwortung, wobei er vom klassenführenden Lehrer als Mentor (Betreuer) insbesondere bei der Vor- und Nachbereitung des Unterrichts und bei der Schülerbeurteilung unterstützt und beraten wird. Er hat bei diesem auch zu hospitieren und ist verpflichtet, im Bedarfsfall Supplierleistungen zu erbringen. Insgesamt dauert das „Unterrichtspraktikum" ein Schuljahr und umfasst damit die doppelte Ausbildungszeit im Vergleich zu der pädagogischen, didaktischen und schulpraktischen Ausbildung an der Universität im Rahmen des Diplomstudiums. Dies wird häufig bei der Kritik einer unzulänglichen pädagogischen Ausbildung an den Universitäten übersehen. Die in den Schuldienst eintretenden Lehrer sind jedenfalls in höherem Maß ein Produkt des „Unterrichtspraktikums" als eines des Lehramts-Diplomstudiums.
Das „Unterrichtspraktikum" hat weiters eine Selektionsfunktion (§ 1: „Das Unterrichtspraktikum soll die Absolventen der Lehramts- und Diplomstudien in das praktische Lehramt an mittleren und höheren Schulen einführen und ihnen Gelegenheit geben, ihre Eignung für das Lehramt zu erweisen."). Es überrascht, dass in der aktuellen Diskussion um die Überprüfung der Befähigung der Studierenden zum Lehramt, wie sie nun an den Pädagogischen Hochschulen für den Bereich der Pflichtschullehrerbildung eingeführt wurde, diese Eigungskontrolle für das Lehramt an den höheren Schulen nicht erwähnt wurde. Der Vorwurf gegenüber den Universitäten, den Zugang zum Lehramtsstudium nicht zu überprüfen, geht ins Leere. Wird hier ein Versagen entdeckt, kann sich der Vorwurf nur gegen die Schulverwaltung richten, die ja diese Aufgabe des „Unterrichtspraktikums" handhabt. Auf Grund der Bestätigung des erfolgreichen Teilnahme am Lehrgang und der Beschreibung des Arbeitserfolgs durch den Betreuungslehrer wird vom Leiter der Schule ein Zeugnis über die Absolvierung des „Unterrichtspraktikums" ausgestellt.
Wissenschaftliche Studien zur Evaluation des „Unterrichtspraktikums" liegen bisher kaum vor. Erfahrungs- und erinnerungsbezogene Rückmeldungen der Absolventen lassen Probleme vermuten. Im Lehrgang an den Pädagogischen Instituten erfolgt weitgehend eine Duplikation der theoretischen Lehrveranstaltungsthemen des Universitätsstudiums und keine Weiterführung. Auf die durch das Gesetz begründete mangelnde Kontinuität der Ausbildung wurde oben bereits hingewiesen. Die schulpraktische Ausbildung entspricht weitgehend nicht einer Einführung in eine professionsorientierte Praxis, d.h. der Entwicklung einer situationsbezogenen Handlungstheorie auf der Basis allgemeiner wissenschaftlicher Erkenntnisse. Es wird vielmehr eine traditionelle Meister-Lehre des Vor- und Nachmachens praktiziert. Im Sinne eines „hidden curriculum" wird daher im „Unterrichtspraktikum" vor allem eine Sozialisationsfunktion geleistet: die Anpassung der Absolventen des universitären Lehramtsstudiums an die Traditionen und Regulationen der allgemeinbildenden höheren Schulen.
Durch das Gesetz über die Pädagogischen Hochschulen wurden die Pädagogischen Institute abgeschafft und die Aufgaben der Lehrerfortbildung diesen Hochschulen übertragen. Durch eine Novellierung des Gesetzes über das Unterrichtspraktikums 2007 wird daher die Durchführung des Ausbildungslehrergangs den Pädagogischen Hochschulen übertragen. Es ist zu hoffen, dass bei der Erarbeitung der Studienplans für diesen Lehrgang die Chance einer engen Kooperation mit den Universitäten genützt werden, damit die Qualität der Lehrerbildung für die höheren und mittleren Schulen durch die Kontinuität im Aufbau der Ausbildung und durch den Einsatz entsprechend qualifizierter Lehrveranstaltungsleiter gesteigert werden kann. Es muss auch im Interesse der Pädagogischen Hochschulen liegen, die schulpraktische Einführung in das Lehramt für höhere Schulen im Sinne einer professionsorientierten Praxisausbildung zu verbessern, indem sie in Kooperation mit der Schulverwaltung die Aus- und Weiterbildung der Betreuungslehrer auf der Grundlage einschlägiger wissenschaftlicher Befunde einrichtet.