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Klaus Satzke / Schule in Geiselhaft der Bildungspolitik?

von Klaus Satzke
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Wahrscheinlich braucht man viel Optimismus, um in der österreichischen Bildungspolitik Fortschritte erkennen zu können, die mehr sind, als das Reden und Reden und Reden über Fortschritte. Die Ministerin hat diesen Optimismus, wenn sie meint, mit dem Instrument von Schulversuchen auf dem richtigen Weg zu sein. Zweifel sind angebracht!

Es ist zweifellos ihr Verdienst, eine Debatte über die Strukturprobleme im Bereich der Sekundarstufe 1 begonnen zu haben, auch wenn im Regierungsprogramm das Kapitel Bildung geradezu lächerlich wenig konkrete Ansätze (Einrichtung einer Expertenkommission ...) nennt.
Ob jemals die Motive aufgeklärt werden können, die das Ministerium dazu veranlassten, zuerst eine abstrakte „Gesamtschuldebatte" über einen Schulversuchsparagraphen zu führen und dann erst - als die ÖVP und ihre Klientel sich im Verneinen jeglicher Reformperspektive einzementiert hatten - konkrete Reformziele und Reforminhalte aus der Expertenkommission der Öffentlichkeit vorzustellen und zu guter Letzt dann noch die aktuellen Ergebnisse der PISA - Studie nachzuliefern, das bleibt zu bezweifeln. Ein Jahr Zuwarten und die Umkehrung der Reihenfolge, das hätte die seit Jahrzehnten festgefahrene österreichische Bildungspolitik wohl auch noch ausgehalten.

Die Diskussion über den neuen Schulversuchsparagraphen hat jedenfalls gezeigt, dass sich an der ideologischen Fixierung auf unterschiedliche Positionen seit Jahrzehnten nichts geändert hat. Der Verlauf war schlicht und einfach eine Wiederholung der Diskussion, die wir schon in den achtziger Jahren miterleben konnten, als es um die „Übertragung" der Gesamtschulversuche aus den siebziger Jahren ging und die dann in eine (aus heutiger Sicht) erfolglose Hauptschulreform mündete. Die schrillen Töne aus dem Bereich der AHS - Lehrer - Vertretung brachten ein neues Element ein, das phasenweise schon in Richtung eines Kulturkampfes ging.

Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, ob nicht der Ablauf dieser bildungspolitischen Debatte und die nun vorliegenden, mühsam erzielten Ergebnisse Ausdruck einer überholten Bildungspolitik sind. In der Gewissheit, dass sich nichts verändern darf und nichts verändern kann, nimmt sie geradezu barocke, stark ritualisierte Formen an, die in ihrer Vorhersagbarkeit ermüden und nur mehr wenig mit den wirklichen Interessen der von Schule „betroffenen" Eltern und SchülerInnen zu tun haben.

Wirklich betroffen sind Eltern und SchülerInnen vom geltenden System des Schulübertrittes vom Primar- in der Sekundarbereich; eine Konstruktion, die viel zu früh und an Hand fragwürdiger Kriterien zu einer Schulbahnentscheidung zwingt, und damit die weitere Schullaufbahn (siehe minimale Übertrittsquoten zwischen Hauptschule und AHS) nachhaltig beeinflusst. Niemandem, der die Diskussion auch nur halbwegs aufmerksam verfolgt, kann verborgen bleiben, dass es kaum einen Erziehungswissenschaftler auf nationaler und internationaler Ebene gibt, der dieses System gut heißt. In den Länder-Prüfberichten der OECD (gewiss keiner links-orientierten Einrichtung) wird seit vielen Jahren und immer wieder auf die aus der frühen Schulbahnentscheidung resultierenden Probleme hingewiesen.

Es läge nahe, dass die Eltern augrund der Erfahrung mit einer über 4 Jahre erfolgreich arbeitenden Grundschulklasse sagen: Diesen Wahnsinn tun wir uns nicht an! Wenn unsere Kinder in dieser Schulklasse gute Ergebnisse erzielen, dann brauchen wir nicht hektisch um möglichst viele Sehr gut kämpfen und bei einem drohenden Gut den familiären Notstand ausrufen. Wir wollen, dass unser Klassenverband beisammen bleibt und auf dem Niveau der Sekundarstufe 1 mit bestmöglichen Unterrichtsmethoden von engagierten und best-qualifizierten LehrerInnen unterrichtet wird.

Einem derartigen Ansinnen setzt unsere Bildungspolitik ein klares Nein entgegen! Wenn überhaupt eine Veränderung angedacht wird, dann nur im Wege von Schulversuchen mit engen Prozentgrenzen. Aber zuerst müssen sich die Eltern für eine Hauptschule oder eine AHS entscheiden und dann können sie - wenn sie Glück haben - einem Schulversuch a là SchOG - Novelle 2007 zustimmen. Und Glück gehört dazu, denn wenn auch nur ein Drittel der Lehrer an dieser Schule sagt „Wir belasten uns nicht mit einem neuen Schulversuch", dann brauchen die Eltern erst gar nicht abzustimmen! Dann bleibt alles beim Alten!

Der Irrwitz eines bürokratisch rigiden und verpolitisierten Schulsystems ist damit aber noch nicht zu Ende. Die gewiss aufgeschlossene Ministerin kann einen Schulersuch gar nicht genehmigen, sofern dieser nicht zunächst vom zuständigen Landesschulrat goutiert und an das Ministerium weiterleitet wird. Man darf daran erinnern: Der Landesschulrat ist eine Behördenkonstruktion aus den frühen 60er-Jahren mit einem vom Landeshauptmann bestellten „politischen" amtsführenden Präsidenten, mit Schuljuristen und Schulaufsichtsbeamten und entsprechender Administration. Zur Seite gestellt ist dieser Institution ein nach Proporz - Kriterien zusammengesetztes Kollegium, das üblicherweise die Vorschläge des Landesschulrates abnickt. Und wenn dieser Behörde ein Schulversuch nicht passt, dann gibt es eben keinen Schulversuch. Und wenn ein Schulversuch doch zugelassen wird, dann merke, liebe Schule: „Die Modellversuche sind vom jeweiligen Landesschulrat nach bundeseinheitlichen Kriterien (insbesondere Analyse der Ausgangssituation, Definition von Vergleichsgruppen, Festlegung der Ziele, Anwendung der Bildungsstandards, Evaluation des Ressourceneinsatzes) zu betreuen, zu kontrollieren und begleitend zu evaluieren." Und wer noch immer nicht begreift, dass nicht eigene Ideen und Initiativen gewünscht sind: Die Landeshauptleute haben schon vorgedacht - es gibt ein Modell Haider, es gibt ein Modell Pröll (dieses aber nur - vielleicht - nach der Landtagswahl!), es gibt ein Modell Pühringer ... Historiker kennen die Formel aus den Religionskriegen: Wes das Land, des der Glaube! Nur in Wien, dort wo die Probleme der Sekundarstufe I am drängendsten sind, dort gibt es kein Modell, dort diskutiert ein politisches Gremium und diskutiert und diskutiert und kommt zu keinem Ende.

Unter diesen Gegebenheiten sind Schulversuche kein Instrument der Schulentwicklung, sondern lediglich Ausdruck eines Versagens der Bildungspolitik, die ein Problem nicht zu lösen vermag, sondern immer nur aufschiebt. Gleichzeitig gewährt die Bildungspolitik der Schule aber auch keine Freiheitsgrade, die Lösungen „vor Ort" oder im regionalen Bereich ermöglicht. Seit mindestens einem Jahrzehnt hört man große Worte über Autonomie der Schulen und den Wert von Eigenständigkeit und Eigenverantwortung. Tatsächlich sind die Möglichkeiten für eine autonome, von den Schulpartnern getragenen Schulentwicklung minimal und nicht selten tatsächlich nur autonome Mangelverwaltung. Das liegt nicht zuletzt auch daran, weil es für maßgebliche Schuljuristen undenkbar ist, sich von der Fiktion eines Verwaltungsmodells zu verabschieden, bei dem jede schulische Handlung definitiv auf Gesetze und Verordnungen zurückzuführen ist. Es ist schon merkwürdig, dass wir uns in der Weltwirtschaft den Luxus eines weitgehend unkoordinierten Agierens ohne Regelsystem leisten, „zu Hause" im Bildungsbereich aber echte Freiräume als Systemunverträglichkeit betrachten.

Was man der Bildungspolitik (auch schon jener vor Gehrer) vorwerfen muss, das ist das geflissentliche Übersehen von Veränderungen, die auf nationaler, mehr noch auf internationaler Ebene, zumeist ohne Zutun der Bildungspolitik , Platz gegriffen haben.

o Es stehen heute Beobachtungs- und Feedback - Instrumente zur Information der Schule selbst sowie der Öffentlichkeit zur Verfügung, die viel besser geeignet sind, schulische Prozesse zu beschreiben und zu beeinflussen, als dies je das System der behördlichen Schulaufsicht konnte.

o Man weiß heute viel mehr und viel konkreter, was erfolgreichen und effizienten Unterrichts auszeichnet. Ohne nachhaltige Verbesserung von Unterrichtsqualität kann es keine erfolgreiche Strukturreform geben. Die traditionelle Lehrerfort- und Ausbildung weiß erschreckend wenig von diesen Erkenntnissen.

o Schul- und Unterrichtsqualität kann man nicht einfach verordnen, aber es gibt seriöse Modelle der Qualitätsentwicklung und des Qualitätsmanagements, die bislang die Schulen nicht erreicht haben. Voraussetzung für Qualitätsprozesse sind Gestaltungsfreiräume an den Schulen, kollegiale Auseinandersetzung mit Stärke - Schwäche-Analysen inklusive Beratungsangeboten, Leadership - Modelle für Schulleiter, standortübergreifende regionale Kooperationen und eine aktive Beteiligung der Schüler - Eltern - Ebene.

o Durch die Einführung von Bildungsstandards und deren Überprüfung lässt sich viel besser als durch Lehrpläne die Vermittlung grundlegender Kompetenzen für alle SchülerInnen sicherstellen. Bildungsstandards sind als eine Art Garantieerklärung der öffentlichen Schule zu verstehen, dass die basalen Ziele der Schule von allen Schülern erreicht werden. Sie sind aber auch eine Voraussetzung dafür, dass die Berechtigungen für den Übertritt in die Sekundarstufe II nach gleichen Kriterien vergeben werden. Bildungsstandards schaffen somit eine definierte Rahmenbedingung, innerhalb der an den Schulen und zwischen den Schulen Vielfalt herrschen kann und soll.

o Die Fragestellung Gesamtschule ja oder nein ist überholt, weil es nicht um die Etablierung einer Einheitsschule geht, sondern um einheitliche Rahmenbedingungen, innerhalb derer Vielfalt nicht nur möglich, sondern auch wünschenswert ist. Diese wird auch durch den offenen Zugang zur jeweiligen Schule der Sek I und die freie Wahl des Standortes (unter Berücksichtigung organisatorischer Notwendigkeiten) gesichert.

Schulversuche können viele der oben genannten Entwicklungselemente erproben, aber sie sind kein Instrument der Schulentwicklung, weil sie Entscheidungsprozesse nur aufschieben und - unter den Gegebenheiten der österreichischen „Diskussionskultur" - am Ende wieder nur in einer Sackgasse münden. Es bedarf daher der Freiräume für Standort- und Regionalentwicklung, um diese Prozesse in Gang zu setzen, nicht einheitlich und nicht gleichzeitig, aber koordiniert, unterstützt und rechtlich abgesichert. Der ursprüngliche Vorschlag von Ministerin Schmied für eine Veränderung des SchOG ging - zu zaghaft und zu wenig argumentierend - in die richtige Richtung, das Ergebnis der Verhandlungen ist hingegen kann nur als Ergebnis bildungspolitischer Entscheidungsvorgänge betrachtet werden, die mit untauglichen Mitteln auf falsche Fragestellungen alte Antworten zu geben versucht.