Klaus Satzke / Reform der österreichischen Bundesverfassung: Mehr Fragen als Antworten!
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Das Schulgesetzwerk 1962 (Verfassungsbestimmungen und Schulgesetze) wurde zum Zeitpunkt seiner Entstehung als Jahrhundert - Werk bezeichnet. Aus heutiger Sicht, also 45 Jahre später, hat diese umfassende Regelung allerdings auch arge Schwächen, die u. a. mitverantwortlich sind für jene Mängel, die dem österreichischen Schulwesen in seiner heutigen Ausprägung angelastet werden. Ziemlich unbestritten ist sowohl auf Expertenebene als auch in der öffentlichen und veröffentlichten Meinung das Missverhältnis zwischen hohen finanziellen / personellen Investitionen einerseits und durchschnittlichen bis unterdurchschnittlichen Ergebnissen andererseits. Kritisiert wird auch ein sehr hoher Bürokratisierungsaufwand, gepaart mit einer geringen Adaptationsfähigkeit des Systems Schule an neue, zeitgemäße Erfordernisse. Im Folgenden soll der Versuch gemacht werden, den Entwurf der Expertengruppe „Staats- und Verwaltungsreform" an 2 Ansprüchen zu messen: seinem Beitrag zum Problemfeld „effizienter Budget- und Personaleinsatz" und den neuen Möglichkeiten einer „systematischen Qualitätssteuerung".
Effizienter Budget- und Personaleinsatz
Der Verfassungsentwurf beruht bekanntlich auf einer Neuverteilung der Kompetenzen mittels eines 3-Säulenmodells, wobei die erste Säule für die alleinige Bundeskompetenz steht, die zweite Säule für die alleinige Landeskompetenz und die dritte Säule für das neu zu schaffende Verfahren der gemeinsamen Gesetzgebung.
Im Schulbereich ist die „äußere Organisation der Schulen und das Minderheitenschulrecht für Pflichtschulen" der typische Fall einer Zuständigkeit im Rahmen der dritten Säule.
Die Art und Weise der „gemeinsamen Gesetzgebung" wird durch den ausgesendeten Entwurf der Expertenkommission allerdings noch nicht festgelegt, sondern in 2 Varianten zur Diskussion gestellt.
Hinsichtlich der Vollziehung wird im Art. 12 Abs. 3 festgestellt, dass in diesen Angelegenheiten (nämlich jenen der äußere Organisation der Schulen und des Minderheitenschulrechts für Pflichtschulen) die Vollziehung Landessache ist, „soweit die Bundesgesetzgebung damit nicht Bundesbehörden im Rahmen der unmittelbaren Bundesverwaltung oder Landesbehörden im Rahmen der mittelbaren Bundesverwaltung betraut." In weiterer Folge wird im Artikel 106 Absatz 4 die Einrichtung von Bildungsdirektionen zur Wahrnehmung der Angelegenheiten der Schulen innerhalb des Amtes der Landesregierung vorgesehen. An diesen Bildungsdirektionen erfolgt somit die gesamte Vollziehung im Schulbereich auf der Grundlage der mittelbaren Bundesverwaltung.
Das Element „Gemeinsame Gesetzgebung" ersetzt somit die bisher vorgesehene Ausführungsgesetzgebung der einzelnen Länder, das Element „Bildungsdirektion" schafft die Grundlage für die mittelbare Bundesverwaltung und soll den bisherigen Landesschulrat ersetzen bzw. beendet damit die Parallelität von Bundes- und Landesverwaltung in den jeweiligen Bundesländern. Durch die „Verbundlichung" aller Lehrer soll weiters das Problem unterschiedlicher Dienstrechtsregelungen gelöst und die Differenz zwischen dem die Personalkosten generell zahlenden Bund und den die Landeslehrer anstellenden und einsetzenden Ländern beendet werden.
Grundsätzlich ist diesem Konzept ein beträchtliches Maß an Verwaltungslogik nicht abzusprechen, wenngleich auch Fragen zu stellen und Zweifel anzumelden sind:
Wie kann eine „gemeinsame Gesetzgebung" aussehen, die die unterschiedlichen Landesregelungen „einfängt" und dabei sinnvolle Differenzierungen ermöglicht?
Wie kann das Wechselspiel zwischen bundesweiter Personalplanung und einer an den Bildungsdirektionen situierten Vollziehung im Wege der mittelbaren Bundesverwaltung konkret aussehen?
Bedarf es hier nicht einer Neuorientierung der Personalverwaltung sowohl auf Bundes- wie auch auf Landesebene, wenn diese Reform nicht in einem nur neuen, aber nicht besseren Bürokratismus enden soll?
Obige Fragen münden in die Schlussfolgerung, dass die vorgesehenen Veränderungen der Verfassungsbestimmungen jedenfalls
- nachhaltige Veränderungen in den Schulgesetzen,
- im Selbstverständnis der Verwaltung und den dort angewandten Arbeitsformen sowie
- in der Kommunikation zwischen Bund und Ländern
nach sich ziehen müssen. Ist man sich dieser Konsequenzen bewusst und auch bereit, diesen Weg zu gehen?
Erste Reaktionen der Länder zeigen darüber hinaus, dass der Reformvorschlag durchaus noch nicht „gegessen" ist, sondern leider sofort unter dem Gesichtspunkt von Verlusten in der Zuständigkeit diskutiert wird. Zweifellos wird die Reformfähigkeit der großkoalitionären Bundesregierung in dieser Frage auf eine beachtliche Belastungsprobe gestellt.
Fazit: Die Vorteile des Lösungsansatzes liegen auf der Hand, die politische Durchsetzung und wohl auch die Umsetzung bedeutet aber zweifellos, ein Minenfeld zu durchqueren. Da der Personaleinsatz in einem beträchtlichen Teil Vollziehungs- und Verwaltungsaufgaben beinhaltet, erscheint aber die Heranziehung des Instruments der mittelbaren Bundesverwaltung - und das ist ja eine der wesentlichen Neuerungen - grundsätzlich ein geeigneter Weg zu sein.
Sicherstellung eines einheitlichen Qualitätsniveaus
Wie ist nun der Entwurf im Hinblick auf die Aufgaben der Qualitätsentwicklung des Schulwesens zu sehen? Zunächst einmal ist festzustellen, dass alleine schon das Benennen dieser Aufgaben - und wohl auch des Problemfeldes von Qualitätsentwicklung (hier verstanden als Teil von „Schulentwicklung") so etwas wie eine kopernikanische Wende im Hinblick auf das traditionelle Rechtsverständnis von Schule als einer Verwaltungsaufgabe darstellt. Zumindest in den Erläuterungen zum Entwurf wird diese neue Aufgabe klar und unmissverständlich ausgesprochen:
„Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang darauf, dass es der im vorgeschlagenen Art. 10 Abs. 1 Z 13 enthaltene Kompetenztatbestand „Schulen" sowie die Zuordnung der Vollziehung im Bereich der Schulen zur mittelbaren Bundesverwaltung dem Bund ermöglicht, zur Sicherstellung eines einheitlichen Qualitätsniveaus der Schulen sowie zur Steuerung einer dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprechenden Schulentwicklung - im Rahmen der in der mittelbaren Bundesverwaltung zur Verfügung stehenden Steuerungsinstrumente - entsprechende Informationsrechte des zuständigen Bundesministers sowie das Recht auf Zugang zu den Schulen vorzusehen. Ebenfalls normiert werden kann die Unterstützung durch Organe der Schulen oder durch die - im vorgeschlagenen Art. 106 Abs. 4 vorgesehenen - Bildungsdirektionen sowie entsprechende Informationspflichten. Nicht ausgeschlossen ist, dass sich der Bund etwa im Bereich der Forschung oder der Qualitätskontrolle des durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. xx/2007 eingerichteten Bundesinstituts für Bildungsforschung, Innovation und Entwicklung des österreichischen Schulwesens bedient."
So erfreulich diese Formulierungen sind (hier nur inhaltlichen betrachtet; die entsetzliche Mischung aus Juristen - Pädagogen - Kauderwelsch ist ein anderes Kapitel), sie bedürfen wohl auch einer kritischen Analyse:
- Die Sicherstellung eines einheitlichen Qualitätsniveaus ist derzeit kaum, jedenfalls nicht ausreichend und schon gar nicht in dieser Begrifflichkeit in den Schulgesetzen verankert.
- Die durch den Begriff „Schulentwicklung" angedeutete Prozesshaftigkeit des Vorganges wirft jede Menge Fragen für eine sich über weite Strecken traditionell definierende Schulverwaltung auf.
- Dass es in diesem Zusammenhang um Informationsflüsse, um eine erweiterte Zugänglichkeit von Schulen, um Qualitätskontrollen, um Kooperation mit wissenschaftlichen Einrichtungen etc. geht, das steht eben nur in den Erläuterungen, findet aber überhaupt keine Entsprechung in irgend einer Textstelle des Verfassungsentwurfes.
- Wahrscheinlich ist schon die Begrifflichkeit des „Steuerungsinstrumentes" eine Provokation für Vertreter einer Philosophie der klaren Trennung von Bundeskompetenzen und Länderkompetenzen.
- Das zentrale Problem scheint aber die Frage zu sein, ob die „mittelbare Bundesverwaltung" überhaupt das geeignete Instrument für die gegenständliche uneingeschränkt positiv zu bewertende Intention einer „Qualitätsentwicklung" im Schulwesen ist.
o Die Auffassungen dazu waren ja schon im Verfassungskonvent durchaus nicht einheitlich.
o Die in den Erläuterungen genannten Steuerungsmechanismen beruhen letztlich auf Weisungsmöglichkeiten, die in der politischen Praxis der Kommunikation zwischen einem Bundesminister und einem Landeshauptmann nicht wirklich überzeugen können.
o Die Bildungsdirektionen sind Teil des Amtes der Landesregierung. Die Regelung des Geschäftsganges sowie die innere Gliederung und Verteilung der Geschäfte im Amt der Landesregierung werden vom Landeshauptmann mit Zustimmung der Landesregierung getroffen. Es handelt sich also unzweifelhaft um eine Landesbehörde, die eben mit den Aufgaben der Vollziehung des Bundes betraut ist.
o Selbst die Bundesbehörde „Landesschulrat" auf der Grundlage der aktuellen Schulgesetzgebung steht weitgehend unter dem Einfluss des Landeshauptmanns bzw. des von ihm ausgewählten amtsführenden Präsidenten.
o Die EU - bedingt schwindenden Kompetenzen der Länder führen zu auffälligen Klammerreflexen der Länder. Bei der Diskussion um die neue Schulversuchsregelung im SchOG war es schon merkwürdig, wie sehr sich die Landeshauptmänner in Szene setzten (Modell Haider, Modell Pühringer, Modell Pröll), obwohl man von ihnen ja eigentlich keine besondere Kompetenz in Sachen Bildungspolitik erwarten kann / müsste.
Resümee:
1. Zweifel sind angebracht, ob das Instrument der mittelbaren Bundesverwaltung wirklich die geeignete Grundlage für eine so komplexe Materie sein kann.
2. Wünschenswert wäre, wenn der in der im Regierungsprogramm enthaltene Arbeitsauftrag in Richtung „Qualitätssicherung an Schulen" und „Modernisierung von Schulverwaltung und Schulmanagement" schon in konkreten Konturen der Umsetzung erkennbar wäre. Die Dinge sind ja nicht voneinander zu trennen, sondern bedingen einander.
3. Auch die Frage von erforderlichen Veränderungen in den bestehenden Schulgesetzen müsste in diesem Zusammenhang dringend geklärt werden. Eine Einschätzung und Bewertung der Veränderungen ist ohne ein inhaltliches Konzept und ohne Zeitplan kaum möglich.
4. Es besteht die Gefahr, dass sich beim Ringen um die Novellierung der Bundesverfassung Abstriche als notwendig erweisen; dann bleibt u. U. als Restmenge nur die Umstellung auf eine mittelbare Bundesverwaltung als Beitrag für eine Verwaltungsvereinfachung und ein gut gemeinter, aber wenig wirksamer Erläuterungstext. Das wäre zu wenig, um Qualitätsentwicklung als Teil einer dynamischen Schulentwicklung in der Schulgesetzgebung zu verankern.
5. Diese Fragen sind jedenfalls für Zukunft des österreichischen Schulwesens von so großer Bedeutung, dass sie nur in einem umfassenden Konnex von Verfassungsreform - Novellierung von Schulgesetzen - Behördenreform inkl. Schulaufsicht zielführend erörtert werden können. Wo finden diese Erörterungen statt? Ist das Aufgabe der ExpertInnen - Kommission? Mit dem Entwurf für eine Reform der Bundesverfassung sind jedenfalls Antworten auf viele Fragen verbunden, die in der Aussendung gar nicht oder nur ansatzweise Erwähnung finden.